Albtraum Freihandelsabkommen

Bild: Genmaissilvesterraketen fliegen auf Europa zu

Gen-Mais – und was uns noch überkommt. Freies, neues Jahr 2014! (Bild: Jürgen Müller)

Herwarth Stadler

Herwarth Stadler

Weltherrschaft des Finanzkapitals wird vorbereitet

Was versteckt sich hinter »TTIP[1] / TAFTA«? Man nennt es – positiv eingefärbt – auch »Freihandelsabkommen«.

Was die Welthandelsorganisation (WTO) und der Internationale Währungsfonds (IWF) seit Jahrzehnten mit immer neuen Vorstößen – wie um die Jahrtausendwende durch den Patentrechtsschutzvertrag (MAI) – zu verwirklichen versucht haben, wird jetzt in Geheimverhandlungen, die schon weit gediehen scheinen, vorbereitet: durch Großangriffe auf Teilgebieten schrittweise diese Welt erobern, mit dem Endziel, den bereits entfesselten liberalen Kapitalismus die Vorherrschaft antreten zu lassen. Willfährige Handlanger sind die mittels großzügiger Wahlkampfspenden beeinflussbaren Regierungen der USA und Kanadas, aber auch die von über 4000 Lobbyisten belagerte Brüsseler EU-Kommission. Sie treiben die Vertragspläne voran, ködern mit unbewiesenen Behauptungen „… das schafft weltweit mehrere hunderttausend Arbeitsplätze! …“.

„Verschwörungstheorien!“ – rufen die einen unserer Informationsmedien, ich hätte Hirngespinste,[2] denken die anderen beim Lesen meiner OHA-Kolumnen. Bestimmt nicht, denn: Warum verhandelt man nicht öffentlich? Warum müssen die Vertragstexte investigativ beschafft werden?

Soweit solche bekannt geworden sind, gibt es folgende Schlüsse: Großangriffe werden vorbereitet gegen unsere demokratische Ordnung, die man auszuhebeln trachtet, indem Konzerne eine einzelne Regierung auf Schadenersatz wegen »entgangener Gewinne« in Milliardenhöhe vor einem internationalen »Schiedsgericht« verklagen kön­nen,[3] weil diese ein Gesetz für ihren Staat erlassen hat, das z. B. verbietet, genverändertes Saatgut auf ihrem Staatsgebiet ausbringen zu lassen. Also könnte dann Bayern von Monsanto verklagt werden. Diesen Irrwitz erleben wir bereits jetzt im Kleinen heute in Deutschland auf einem ganz anderen Gebiet mit dem EEG-Gesetz: Vattenfall führt Klage gegen die BRD wegen entgangenem Gewinn aus nicht verkaufbarem Strom, weil er mangels Fernübertragungsnetz nicht nach Süddeutschland weitergeleitet werden kann und deshalb gar nicht in den Nordsee-Windparks produziert werden darf.

Großangriff auf unsere Verbraucherschutzgesetze in der EU: Unser Vorsorgeprinzip bei Nahrungs- und Futtermitteln, dass verwendete Chemikalien vor der Zulassung den Nachweis erbracht haben müssen, nicht gesundheitsschädlich zu sein, soll auf den Kopf gestellt werden – weil in den USA alles exportiert werden darf, was nicht nachweisbar gefährlich ist. Die für die Entscheidungen dazugehörigen Daten liefert die Landwirtschafts-Industrie, die auch festlegt, welche »Grenzwerte« als „belastbare wissenschaftlichen Fakten“ gelten.

Weil die Nordamerikaner ihrer Bevölkerung Antibiotika im Fleisch zumuten und mit Chlor bzw. Peroxinsäure behandeltes rohes Geflügelfleisch, soll es in Zukunft auch uns Europäern schmecken. Ractopamin als Futterzusatzmittel in USA zur Erzeugung mageren Rind- und Schweinefleisches zugelassen; solches Fleisch ist in 160 Staaten einzuführen derzeit verboten, weil es keine unabhängigen Studien über die Auswirkungen für die menschliche Gesundheit gibt. Das würde sich nach den TTIP- und TAFTA-Verträgen grundsätzlich ändern.

Nestlé kann geduldig darauf warten, durch die Hintertür sich wieder zum Herrscher über das Trinkwasser in Europa aufzuschwingen, weil keine Kommune es wagen wird, keine PPP-Gesellschaft mit ihnen einzugehen.

Das Dubioseste sind die geplanten Schiedsgerichte! Sie bestehen jeweils aus drei Juristen, die sich auf internationales Recht spezialisiert haben. Es sind 15 überregionale Kanzleien mit einer vierstelligen Anzahl(!) Fachanwälten, die den »Markt« dominieren, überwiegend als Berater von Regierungen. Sie mischen bereits bei den Geheimverhandlungen mit und erschließen sich so für die Zukunft ein ausuferndes Berater- und Parteivertreter-Geschäft, bei dem der gebührenträchtige Streitwert stets mehr als siebenstellig ist.

Die hinterfotzigste Regelung scheint in meinen Augen auch bereits festzustehen: Sollte irgendeine beteiligte Regierung nachträglich eine (Teil-)Änderung durchsetzen wollen, so muss das einstimmig(!) beschlossen werden. Das ist ja in der Vergangenheit bei (nur) 27 EU-Staaten kaum erreichbar gewesen.

Die totale Unterwerfung lauert nicht nur meiner Meinung nach in der Verflechtung von den 2014 unterschriftsreifen TAFTA- mit den erst für 2015/16 geplanten TTIP-Vereinbarungen. Denn dann könnten beispielsweise der US-Luftfahrtverband unsere EU-Klimapolitik mittels Klageführung von einem Schiedsgericht kippen lassen und Investorengruppen die mühsam zustande gekommenen Finanzmarkt-Regulierungen zurücknehmen lassen beziehungsweise eine 10-stellige Wiedergutmachungszahlung wegen »entgangener Gewinnmöglichkeiten« erstreiten. Auch aus dem planvollen (bis 2021) Ausstieg aus der Atomenergie ließen sich noch nachträglich Milliarden an entgangenen Profiten vor einer internationalen Schiedskammer einklagen. Im Dienstleistungssektor gäbe es noch zahlreiche einträgliche leistungslose Einkommensmöglichkeiten zu erschließen. So z. B.: im Gesundheitswesen, bei ärztlichen Leistungen; das gesamte Bildungswesen hätte dafür offene Türen, ja sogar die kommunale Raumordnung bei uns böte offene Tore an.

Wie eingangs bereits kritisch festgestellt: Hier handelt es sich nicht nur um Peanuts! Es handelt sich um einen konzentrischen Großangriff auf die Demokratie schlechthin und ein Zurückdrehen der im vergangenen Jahrhundert mühsam etablierten sozialen Errungenschaften und die laufenden Bestrebungen, auch die Milliarden Menschen in den Entwicklungsländern an diesen Errungenschaften teilhaben zu lassen. Ganz zu schweigen von der verlorenen Zukunft unserer Enkel.

Herwarth Stadler

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. TTIP = Transatlantic Trade and Investment Partnership / TAFTA = Transatlantic Free Trade Agreement
  2. LE MONDE diplomatique, dt. Ausgabe November 2013, S. 1, 16, 17, TTIP; Ausgabe Dezember 2013, S.23 f, TAFTA
  3. In bisherigen ähnlichen Verfahren nach dem NAFTA-Vertrag (USA, Canada, Mexiko) wurden bereits 400 Mio $ Entschädigungen bezahlt und Verfahren mit über 14 Mrd.$ Streitwert sind anhängig – s. FN in obigen Artikeln der LE MONDE d. XI u. XII/2013
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  1. […] Sorge sehen meine Frau und ich dem Freihandelsabkommen mit den USA entgegen. Und siehe da: Der Artikel von Herwarth Stadler (OHA, Jan. 2014, Titel) bringt unsere Ängste genau auf den Punkt. Wort für […]

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