Beschleunigungsrausch – Profitmaximierung – Wachstumsdruck

Titel Schneckentempo Beschleunigungsrausch

Immer größer & noch mehr & schneller … Schneckentempo = mega-out! (Grafik: Petra Altmann)

Ein Plädoyer wider die kurzfristige Denkweise

Foto: Herwarth Stadler

Herwarth Stadler

Wir alle – nicht nur die urbanisierten Menschen, sondern auch die auf dem Land Lebenden – sind seit einigen Jahrzehnten einem Beschleunigungsrausch anheimgefallen. Auch die nachgewachsenen Generationen der Land- und Forstwirte – früher die Repräsentanten für Generationen-übergreifende Betriebsplanung – können sich dem Jetztzeit-Sog kaum mehr entziehen. Die einen fällen nur die über 120 Jahre alten Bäume in den Beständen ohne Nachpflanzung, weil das zu teuer ist; die anderen verwandeln Wiesen in Biogas-Pflanzen liefernde Äcker um, des höheren Ertrages willen. Das bis in die 1970er Jahre herrschende gesunde Erfolgsstreben hat seither begonnen, in ein System der ökonomischen Profitmaximierung umzuschlagen und zugleich den meisten Unternehmern Scheuklappen verpasst, damit das eingegrenzte Entscheidungs-Sichtfeld die Gemeinwohl-Verpflichtungen, wie sie zum Beispiel in der Bayerischen Verfassung verankert sind, nicht mehr wahrgenommen werden. Die Kurzfristigkeit wird für Kapitalgesellschaften auch dadurch verstärkt, dass Quartalsberichte zusätzlich zu der Jahresbilanz veröffentlicht werden müssen. Jede Tageszeitung enthält den Börsenbericht des Vortages, keine Nachrichtensendung während des Tages kommt ohne aktuelle Börsennachrichten aus – und das, obwohl nur weniger als 5 Prozent der Haushalte Aktien- und Wertpapiervermögen besitzen und weniger als 1 Promille mit Devisenhandel zu tun hat. So wird allen verdeutlicht, dass das alles sich anscheinend Welt-bewegend auswirkt. In Wirklichkeit betrifft es die skandalösen Boni-Zahlungen und Bonus-Anteile der Vorstandsgehälter der AGs. Herr Schrempp von Mercedes bezieht ein fürstliches Grundgehalt (2,6 Millionen €) und beispielsweise eine »Erfolgsbeteiligung« von über 5,5 Millionen €; damit er weiterhin die Unternehmens-Unkosten (Klima-schädliche Modelle, kleingerechnete Steuern und Abgaben, Abfallbeseitigung usw.) weitgehend auf die Allgemeinheit abwälzt.

Der vom Zinseszins-Geldsystem ausgehende Wachstumsdruck in allen ökonomischen Regionen fördert den Hang der Manager zu Kurzfrist-Entscheidungen. Das heißt, dass die fast täglich im Unternehmen zu treffenden Entscheidungen bestimmt werden von einem höchstens vier Jahre umfassenden Zeitrahmen. Alle die Zukunft betreffenden ökonomisch wirksam werdenden Entscheidungen werden vom so genannten »Abzinsungsfaktor« maßgeblich vorherbestimmt. Das wiederum bedeutet, dass alle erst in 10 bis 20 oder mehr Jahren zu erwartenden Vorteile aus Investitionen unberücksichtigt bleiben, weil diese heutigen Investitionen sich aus aktueller Sicht »nicht mehr rechnen«. Und was beim Thema Klimawandel erst in 40 Jahren oder später als Katastrophe einzutreten droht, ist für sie einfach nur irrelevant. Damit das auch allen anderen eingebläut wird, schaltet man in Massenmedien Großanzeigen, die einerseits die »herbeigeredete« Klimakatastrophe verleugnen und die Forderung umzukehren ablehnen. Andererseits werden eigene »Nachhaltigkeits«-Entscheidungen hervorgehoben, indem man Mäuse zu Elefanten aufbläst.

Die Menschen haben sich sogar angewöhnt, immer schneller zu reden; mit der Folge, dass Zuhörer sich auf das Mithören konzentrieren müssen und gar keine Zeit mehr haben, das gehörte Neue zu bewerten und im Gedächtnis einzuordnen. Ich stelle seit einigen Jahren als eifriger Seminarbesucher fest, dass diese Untugend auch immer mehr Vortragende übernehmen. Wollen sie nicht mehr verstanden werden? – oder tun sie es, um in der begrenzten Zeiteinheit mehr »rüberzubringen«, koste es was es wolle? Selbst in TV-Talk-Runden macht sich dieser Missstand in jüngster Zeit breit.

Herwarth Stadler
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