Bildungsinhalte der Gemeinwohl-Ökonomie (3)

Herwarth Stadler

Herwarth Stadler

Demokratiekunde wurde bei uns bisher seit Jahrzehnten als Gegebenheit gelehrt. Sie wurde uns vor 6 Jahrzehnten in der so genannten »Umerziehung« übergestülpt und seither als Faktum gelehrt. Demokratie wird unterrichtlich den Kindern nicht nahe gebracht als gebrechliche Struktur, die immer wieder von Neuem gestärkt werden muss. Im Sinn des demokratischen Vordenkers Jean-Jaques Rousseau entspräche das einer Haltung, die er so formulierte: „Je besser der Staat verfasst ist, desto mehr siegen im Denken der Bürger die öffentlichen Anliegen vor den privaten (…) Sobald jemand angesichts der staatlichen Angelegenheiten sagt: »Was geht mich das an?«, darf man annehmen, dass der Staat verloren ist (…) Jedes vom Volk nicht persönlich ratifizierte (m. E.: wichtige) Gesetz ist nichtig; es ist kein Gesetz.“ Die wieder erstarkte Anti-Atomkraft-Bewegung und »Stuttgart 21« zeigen deutlich, dass das ein wichtiger Teil des Volkes erkannt hat und »zurück zu den Wurzeln« will.

Wir müssen als Lehrende uns bemühen, dem weit verbreiteten Frust, ja Ekel, die unsere Mitbürger bei Problemen der »polis« und »agora« immer stärker befallen, nicht nur entgegenzutreten, sondern schon den Kindern vermitteln, dass Demokratie die zukunftsweisende Form des Zusammenlebens auf allen Ebenen des Alltags ist. Dass dafür das Engagement jedes Einzelnen täglich aufs Neue erforderlich ist und nicht bequemlichkeitshalber delegiert werden darf, damit sich nicht (wie erlebt) Partikularinteressen durchsetzen können. Rousseau hat das zugespitzt so formuliert[1]: „In dem Augenblick, in dem das Volk sich Vertreter gibt, ist es nicht mehr frei; es besteht nicht mehr.“[2] Denn schon die alten Römer wussten, dass »panem et circenses« – also Konsum und Ablenkungen – leicht imstande sind, sich über das Erfordernis der allgemein zugänglichen Verhandlungen der kollektiven Freiheit zu erheben.

Dieses Fach Demokratiekunde soll vermitteln, wie aus vielerlei Einzelinteressen eines wird, bei geringstmöglichen Abstrichen aller in wertschätzendem Umgang mit den abweichenden Bedürfnissen anderer zur Grundvoraussetzung für eine zufrieden stellende, von einer großen Mehrheit mitgetragenen Willensbildung wird. Darum muss sich jeder immer wieder engagieren und mitgestalten. Dass das Zeit erfordert, ist erkennbar; Zeit, die wir eigentlich alle bereits hätten, wenn der durch den allgemeinen Fortschritt in den vergangenen Jahrzehnten erwirtschaftete Mehrwert (Wohlstand) an alle weitergegeben worden und nicht einseitig den Kapitalbesitzern zugeschanzt worden wäre, zum Beispiel in Form einer (5 x 6 =) 30-Stunden-Arbeitswoche für alle plus 6 (z. B.: 3 x 2) Wochenstunden fürs Ehrenamt (im Sportverein, in der Nachbarschaftshilfe u. ä.).

Waldkindergärten existieren bereits in vielen Landkreisgemeinden und haben einen großen Schatz an Erfahrungen erarbeitet für den fünften Themenkreis – Naturerfahrens- und Wildniskunde –, für den es in großen Städten nur in Randlagen erste Ansätze gibt. Es fehlt mir bisher ein tragfähiges und finanzierbares Modell für die Großstadt-Kitas. Der Themenbegriff mag fremd klingen; aber wenn Felber[3] ausführt, dass darunter eine Wiederherstellung der Beziehungen zu sich selbst und anderen Menschen ebenso eingeschlossen ist wie zur natürlichen Umwelt und vor allem das Erfahren der heilenden Wirkung der Natur am eigenen Leib zählt, dann wird alles klar für Lehrende, denen das Ideengut Steiners und der Waldorfbewegung nicht fremd geblieben ist.

Gemeinwohl Ökonomie

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. J.J.Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag …, Insel Taschenbuch, 2000, 128f.
  2. Dass wir von den Siegermächten nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nur eine repräsenta­tive Demokratieform zugestanden bekamen, ist verständlich. Nach drei Generationen müssen wir aber nun unser Staatswesen (basis)demokratischer organisieren.
  3. C. Felber, a.a.O., 90
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