Buchbesprechung: Streitschrift für ein runderneuertes Europa

In ihrem Buch »Wir sind Europa« ruft die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Evelyn Roll zivilgesellschaftliche Akteure in Europa auf, sich zusammenzuschließen und eine neue pro-europäische Bewegung zu begründen.

Erfrischend optimistisch vertritt sie die Meinung, dass an Europas Zukunft außerhalb der etablierten Parlamente und Strukturen längst gearbeitet wird. Europas vitale Zivilgesellschaft werde oft unterschätzt, doch die Zeit, in der die Zivilgesellschaft sich darauf beschränke, nur Policy Papers zu produzieren und Demonstrationen zu organisieren, sei in Europa Geschichte. Europas Zivilgesellschaft werde zum Motor eines neuen, bürgernahen und demokratischen Europas.

Die Autorin verharmlost und beschönigt  in keiner Weise die vielfältigen Herausforderungen und Probleme, denen sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten ausgesetzt sehen: Jihadistischer Terrorismus, Massenmigration, Arbeitslosigkeit, Finanz- und Schuldenkrise, ungerechte Einkommensverteilung und auch die in der EU vorhandenen Demokratiedefizite. Sie wehrt sich jedoch entschlossen gegen die Instrumentalisierung dieser Probleme durch Populisten, Nationalisten und Extremisten, die mittels Verleumdung, Halbwahrheiten, Vereinfachungen und oftmals auch dreisten Lügen auf Stimmenfang gehen und auf diese Weise Teile der Bevölkerung manipulieren, die durch inkonsequente und unentschlossene Politik der etablierten Parteien verunsichert sind. Wir dürfen aber nicht zulassen, dass wir Grundrechte und -werte über Bord werfen, die elementar wichtig sind für ein menschliches und demokratisches Zusammenleben und die uns von den zahlreichen Diktaturen und Ideologien dieser Welt unterscheiden.

Wer sich mit den Interdependenzen internationaler Politik in einer globalisierten Welt ernsthaft auseinandergesetzt hat, wird zu dem Schluss kommen, dass Europa künftig nur weiterhin eine Chance hat und eine Rolle spielen kann, wenn es eng kooperiert und die Politik der nationalen Egoismen und Alleingänge wieder hinter sich lässt: „Es gibt keine wirksame Politik isolierter Nationalstaaten mehr. Einmauern ist keine Alternative. Der Verzicht auf Weltpolitik schützt nicht vor ihren Folgen.“ (S. 17)

Es stimmt ja: Wir haben zugesehen, wie die USA uns ihre Kriege aufgezwungen haben, wir haben nichts gemacht, als den Flüchtlingen die Essenszuschüsse in den Lagern rund um Syrien gekürzt wurden. Wir haben die Finanzkrise auf Kosten der Armen verschoben, die Reichen noch viel reicher gemacht und Griechenland gezwungen, die einzigen Besitztümer zu verkaufen, mit denen man noch Geld verdienen kann – und wir haben es zugelassen, dass Europa sich weigert, Flüchtlinge aufzunehmen, deren Fluchtursachen viel mit uns zu tun haben. Gleichzeitig aber erleben wir einen Kontinent mit faszinierender Vielfalt, einer reichen Kultur, mit zivilisatorischen Errungenschaften wie Rechtssicherheit, Gewaltenteilung, Gleichstellung von Mann und Frau, Meinungsfreiheit usw. Nicht umsonst gilt Europa für Millionen Menschen in aller Welt inzwischen als Sehnsuchtsort – sogar in den USA!

Evelyn Roll fordert uns auf, Europa selbst in die Hand zu nehmen, denn die EU ist nicht das Problem, sondern die Lösung – vorausgesetzt, sie mutiert von einem Instrument der Konzerne  zu einer Gemeinschaft ihrer Bürger.

Europa, stellt Evelyn Roll fest, ist bisher immer durch Krisen und durch Druck gewachsen. Dieses Mal muss es der Druck der bisherigen schweigenden Mehrheit sein, schließlich wollen fast drei Viertel der europäischen Bevölkerung, dass Europa weiter besteht! „Habt Mut, euch eures Verstandes zu bedienen. Europäer aller Länder, vereinigt euch!“ Die Autorin stellt am Schluss ihres Büchleins eine ganze Anzahl bereits bestehender Initiativen vor (inklusive entsprechender »Links«), die diesen Aufruf beherzigen. Evelyn Rolls Büchlein ist eine sehr lesenswerte Streitschrift für ein entschlossenes Engagement zum Erhalt des gemeinsamem europäischen Projekts und den Erhalt der hart erkämpften Grundrechte und Grundwerte innerhalb Europas.

Wolfgang Fischer

Evelyn Roll, Wir sind Europa.
Ullstein Verlag (2016), 48 Seiten,
EUR 7,00 (auch als e-book)

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