Echte Menschlichkeit für falsche Flüchtlinge

Carola Dempfle

Carola Dempfle

Die Unwortkür 2014 ist bei der Entstehung dieses Textes noch im Gang. Sie hätten auch Vorschläge einreichen können! Haben Sie auch nicht? Ich, ich hätte den Ausdruck »FALSCHE FLÜCHTLINGE« vorgeschlagen. Ich habe ihn Ende vergangenen Jahres aus einem Politiker-Statement eines bayerischen Radiosenders aufgeschnappt. Von wem und ob richtig oder falsch zitiert kann ich nicht mehr sagen. Selbst google hat die Wortschöpfung wieder vergessen. Ich nicht. Sie klebt seitdem in meinem Kopf.

Der Ausdruck suggeriert die Existenz einer richtigen oder falschen Flucht, lässt mich auch an sogenannte illegale Menschen denken und macht mir unsere Privilegienverliebtheit – meine eigene ebenfalls – bewusst. Was gibt uns das Recht, uns nur mit für uns scheinbar nützlichen Menschen zu umgeben? Ich bin mir sicher, dass ein solchermaßen selektierendes Vorgehen bereits in der ganz normalen Nachbarschaft nicht guttut – genauso wenig unserem Land.

Keine Hilfe mit Überlegenheitsgefühl

Ausgangspunkt waren meine Reflektionen zur Entwicklungshilfe. Sie wurde vor längerer Zeit in Entwicklungszusammenarbeit umbenannt, da man mit der Sprachänderung einen Wechsel hin zu partnerschaftlichem Vorgehen und Begegnung auf Augenhöhe markieren wollte. Denn das Wort »Hilfe« kommt oft einher mit einem Überlegenheitsgefühl und verleitet zu einem »Von-oben-herab-Blick«. Er begegnet mir in Gesprächen über meine Arbeit im Entwicklungsdienst natürlich oft und ist in den kurzen Nachfragen nicht leicht umzubiegen. Von diesem Besserwisser-Gefühl bin ich keineswegs frei, es überfällt mich auch gelegentlich, aber ich stoppe es in der Regel und frage, was es in einer konkreten Situation zu suchen hat. Meistens kann ich es dann einfach wegkicken, weil es aufkam, wenn ich wieder einmal vergaß, dass meine gefühlte Überlegenheit nichts mit meiner Leistung zu tun hat, sondern dem Privileg, dass ich in einem reichen Land aufwachsen und lernen durfte.
Rang- und Statussicherung liegen in unserer animalischen Natur, doch unsere Menschlichkeit ist nicht darauf begrenzt. Sie kann gelegentlich darauf zurückfallen, doch dann halte ich das für einen Rückschritt.

Diversität macht uns stärker

In der Entwicklungszusammenarbeit hatte ich jede Menge Gelegenheit, verschiedene Problemlösungsstrategien kennen zu lernen. Wenn jetzt mehr Menschen von woanders hierherkommen, sehe ich das als Chance, diese Art Lernen fortzusetzen. Migration erhöht die »Diversity« – das ist im Management der Begriff für »gewollte Vielfalt«. Sie kann helfen verschiedenartige oder neue Herausforderungen besser zu meistern. Ich freue mich auch auf die Wertedebatten des globalen Lernens, die durch Migration entstehen.

Angstfreiheit und sichere Zugehörigkeit verringern Eifersucht und Neid

„Ich habe mir meinen Geburtsort und meine Nationalität nie aussuchen können und nichts dafür getan“ – das war immer eine sehr hilfreiche Aussage, wenn Berührungsängste oder vermutete Statusunterschiede in meiner Arbeit mit ärmeren Menschen störend waren. Doch 100 Prozent wirksam war dieser Satz nicht immer. Denn wer das Geld hat, hat die Macht. Die Macht bestimmt die Regeln, die Debatte, und leitet Zugehörigkeitswünsche. Schon von daher befürchte ich nicht, dass Deutschland gefährdet ist. Auch nicht, wenn noch mehr neue Bürger mit anderen Werten hinzukommen. Zwei weitere Gründe lassen mich das so sehen.

Zum einen war mein eigenes Zugehörigkeitsbedürfnis von jeher nicht sehr ausgeprägt. Seit ich erwachsen bin, habe ich kaum mehr Angst, nicht dazuzugehören. Das hat »Deutschland«, also meine Sozialisation erreicht – ohne allzu viele patriotische Gesten. Dabei hilft natürlich auch mein relativer Wohlstand und mein Alter. Damit habe ich vielleicht etwas weniger diffuse Zukunftsangst. Wäre ich jünger, weniger gebildet, abhängiger oder fühlte mich zu kurz gekommen, ließe ich mich von Neid sicher leichter verführen.

Zum anderen hatte ich während meiner Auslandszeiten viel Gelegenheit, meine Prägungen und Wertvorstellungen zu erforschen, zu debattieren und dabei zu lernen, was davon ich wirklich brauche und was sich getrost auch ändern kann, ohne dass mir meine deutsche Identität und meine Vorstellung von einem gutem Leben davonschwimmt. Ich bin mir sicher, „wir bleiben Deutschland“, auch wenn es sich verändert.

Geben macht auch glücklich

Der Alltag in einem armen Land ist trotz aller Privilegien, die man hat, wenn man Entwicklungshilfegeld mitbringt, mitunter mühsam. In unbequemer Umgebung bekommt Zwischenmenschliches größeren Wert. Kleine Aufmerksamkeiten spürt man intensiver. Sie werden oft unverdient oder auch unerwartet beschert. Wenn wir Teilhabe an unserem Leben und Wohlstand ermöglichen, ist das nicht auch ein Glücksfall für uns? Bekanntermaßen machen Geschenke den Schenkenden oft genauso zufrieden wie den Beschenkten. Wer kennt nicht die Mühe, Geschenke zu finden für jemanden, der eigentlich schon alles hat. Wieder leichter schenken können, das machen Flüchtlinge möglich. Solche, die »nur« der Armut entkommen wollen genauso wie diejenigen, die vor politischer Verfolgung fliehen.

Wohlstand durch Umverteilung

Ist es glaubwürdig, wenn dieselben Politiker, die vor wenigen Jahren noch laut sagten, Deutschland leide unter einer Asylantenflut und sei kein Einwanderungsland, jetzt zu einer Willkommenskultur für echte Flüchtlinge aufrufen? Gleichzeitig wird einem vorgerechnet, dass uns Migration im Schnitt wirtschaftlich nützt. Dieser Rechnung misstraue ich! Insbesondere dann, wenn man den neu angekommenen Menschen einen ähnlich hohen Lebensstandard zuspricht, wie wir ihn haben. Bereits die Möglichkeit, dass dies einmal so sein könnte, schürt die Angst der X-IDA-Leute. Insofern halte ich die derzeitigen politischen Ansagen für feige. Das ist momentan bequem, lenkt aber von einer profunden, offensichtlich dringend nötigen Debatte ab. Populistische Parolen scheinen oft schlagkräftig, sind aber meist nur von kurzer Dauer. Was leider sehr beständig ist und sich weiter verstärkt, ist die berühmte Arm-Reich-Schere. Wurde die »Reiche immer noch reicher«-Tendenz je gestoppt oder wenigstens gebremst? Nein, sie wird nur schön­gerechnet.

Das Einzige, was mir als Wohlstandsversicherung einfällt, ist Umverteilung. Wirkliche, spürbare, von oben nach unten. Vermögensteuer, Spitzensteuersatz, hat man diese Begriffe je gehört in der Flüchtlingsdebatte?
Es wäre ein Leichtes, den Ängsten der X-IDA-Gruppen zu begegnen, wenn man sagt, nicht die einkommensschwachen, sondern nur sehr wohlhabende Bürger werden zur Finanzierung der Migration herangezogen. Dann könnten wir womöglich auch für unseren Lebensstil heute bezahlen und die Kosten für Umwelt- und Klimaschutz nicht auf morgen verschieben. Ob wir unseren ökonomischen Status bewahren können? Ich glaube nicht. Doch vielleicht können wir unsere Menschlichkeit bewahren!

Carola Dempfle
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