Ein Dutzend Abschluss-Splitterchen (52)

Meine Zeit hier geht zu Ende

1. Das Schönste …

… war sicherlich das Jahr mit meiner Tochter Janina, in dem ich die Welt durch ihre Augen wieder neu entdeckte, sich Alltäglichkeiten zu etwas Besonderem verwandelten und ich einen Teil meiner Jugend wiederfand. Dazu kam noch der Erfolg in der Arbeit, die Anerkennung, meine gesteckten Ziele erreicht zu haben und – mit den Kolleg­Innen ein wirklich gutes Arbeitsklima hinbekommen zu haben – bei all den Unterschieden und Widrigkeiten.

2. Das Gemeinste …

… war für mich wohl die bombige Fehldiagnose meiner Harnleiterentzündung im »besten« Krankenhaus des Landes: 2 Wochen leiden statt 2 Tage. Und gar nicht lustig, die Schmerzen!

3. Das Gefährlichste …

… ist sicher, hier in einem Stadtteil zu leben, der von den Banden kontrolliert wird. Maria, unsere Reinigungskraft, wurde in den letzten 2 Monaten drei Mal überfallen und ausgeraubt. In manche Barrios traut sich die Polizei nicht mehr hinein. Ich hatte das Glück, gleich am Anfang einen sicheren Platz in der Nähe meiner Arbeitsstelle zu finden – reine Glückssache…

4. Das Hässlichste

Wunderschön könnte die honduranische Hauptstadt sein, war sie sicher auch mal, doch durch die jahrzehntelange Untätigkeit der Stadtverwaltung hat sich ein Monstrum entwickelt, das aus allen Nähten platzt. Mit unzähligen krebsartigen Wucherungen an allen möglichen und unmöglichen Stellen der umgebenden Hügellandschaft. Der immer dichter werdende Verkehr quetscht sich durch die Straßen aus den 50er und 60er Jahren – mit entsprechenden Umweltschäden: TÜV ist hier unbekannt…

5. Das Bedrückendste …

… ist diese permanente, unterschwellige Angst, überfallen zu werden, ausgeraubt oder gleich erschossen zu werden. Täglich sind die Bilder in den Medien hautnah zu sehen, täglich berichten Freunde und Bekannte von Gewalttaten im Umfeld. Das schlägt sich dann auf die Stimmung nieder, die Lust, hier zu leben. Und – ich kann hier weg, im Gegensatz zu meinen FreundInnen und KollegInnen. Ein kleines Wunder ist es auch, dass die Menschen hier nicht mehr an psychischen Problemen leiden – nur mit Gewöhnung schwer erklärbar.

Reinhard Böttger

Reinhard noch bis Ende April im Einsatz

6. Das Verrückteste …

… sind meines Erachtens die geplanten »charter cities«, wo Honduras in bestimmten Gebieten ihre Staatsgewalt an international Wirtschaftskonsortien abgibt, die dann auf diesen exterritorialen Gebieten machen können, was sie wollen: Niedrigstlöhne, keine sozialen Sicherheiten, keine Gewerkschaften, nichts. Ausbeutung pur – und alles unter dem Vorzeichen, mit Chinas Niedrigstlöhnen konkurrieren zu können. Und die Menschen werden kommen, denn fast nichts ist immer noch besser als gar nichts – und das trifft auf über die Hälfte der Bevölkerung zu!

7. Das Traurigste

Derzeit sehe ich keinerlei Chance, dass sich Honduras aus diesem Kreislauf der Gewalt, des Verbrechens und der Morde in absehbarer Zeit befreit. Die reiche Oberschicht hat das Land nach dem Putsch 2009 stärker unter ihrer Knute als vorher – und ist jetzt auch vorgewarnt. Da die Banden immer stärker werden und zudem mit den Regierenden verbandelt sind, wird sich das Land vermutlich in einen »failed state« verwandeln, in dem Chaos und Anarchie herrschen.

8. Das Hoffnungsvollste …

… ist trotz aller Widerstände (Morde an führenden Mitgliedern der neuen Gruppierung »Libre«, mediale Nichtbeachtung, Bedrohungen) die sich um den weggeputschten Mel Zelaya und seine Ehefrau Xiomara scharende Gruppe der Widerständler. Sie ist derzeit die Stimme der Menschen von unten, also 60 bis 80 Prozent der Bevölkerung, all derer, die am Rande des Existenzminimums oder darunter leben. Leider haben diese Menschen meist wenig bis kein politisches Bewusstsein oder lassen sich von den Medien oder Kirchen einlullen (wie übrigens auch in Deutschland…).

9. Das Beste

Für mich sicher die Arbeit, die interessant war, oft Spaß gemacht hat und mich überhaupt in die Lage versetzt hat, hier 6 Jahre zu verleben. Auch die Art der Arbeit, was z. B. Terminplanung oder Einhaltung von Arbeitsaufträgen angeht, war für mich machbar (wenn oft auch mit Zähneknirschen…). Offene Kritik ist hier nicht angesagt (Gesichtsverlust), bei Problemen ist die Hau-Ruck-Methode oder das Hire and Fire-System der Gringos angesagt: und raus bist du, aber wirklich von einer Stunde auf die andere (in Ermangelung von Gewerkschaft und Betriebsrat).

10. Das Unangenehmste …

… ist für mich mittlerweile der tägliche Straßenverkehr, der sich in ein anarchisches Spiel »wer ist der Stärkere?« entwickelt hat. Es gibt so gut wie keine Polizeipräsenz mehr auf den Straßen, jeder fährt, wie er will. Und am wildesten die Heerscharen von Moped- und Motorradfahrern.

11. Das Ekligste …

… war für mich die Art und Weise, wie Entlassungen abliefen. Egal, ob jemand 3 Monate oder 10 Jahre für die Firma gearbeitet hat, der Mensch ist von Heute auf Morgen verschwunden. Ohne Abschied, ohne kleine Feier oder Adios-Geschenk, der Mensch ist einfach weg. Auf Nachfrage bekam ich immer nur die Antwort: Ist halt so…!

12. Das Erfreulichste …

… dass meine Zeit hier jetzt bald um ist, ich mir gesteckte Ziele erreicht habe, stellenweise eine gute Zeit hatte und sicher auch noch eine Menge dazugelernt habe. Die Genossenschaften und der Verband, den ich betreute, haben sichtbare Fortschritte gemacht – und nicht nur in Sachen Wachstum und Gewinn, sondern auch bei sozialen Anliegen – jipppeeee!

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