Es stinkt zum Himmel

Foto Deutschland-Kuh

Vision 2025: Landwirtschaft 4.0 kennt nur noch die virtuelle Kuh (Foto: W. Fischer)

Bäuerliche Landwirtschaft im Pfaffenwinkel auf dem Rückzug

Nachdem eine Fliegerbombe unser Zuhause in der Pfalz zerstört hatte, fanden wir als Binnenflüchtlinge bei einem Bauern im Westallgäu ein Dach über dem Kopf. Im Frühling sang meine Mutter, „Im Märzen der Bauer die Rösslein anspannt …“, denn nachdem der Schnee geschmolzen war, holte der Bauer das Fendt Dieselross mit 12 PS aus dem Schuppen und zog damit das hölzerne Odelfass mit seinen 400 Liter Fassungsvermögen über den etwa 2 bis 3 Hektar umfassenden Weidegrund für die Handvoll Kühe, die er mit duftendem Heu über den Winter gebracht hatte. Danach wurde der schon weitgehend kompostierte Mist mit dem Mistbreiter ausgebracht. Es roch dann so wunderbar nach Frühling, und Anfang Mai warteten blühende Wiesen auf die Kühe, die vom Bauern liebevoll beim Namen gerufen wurden, sie hießen Emma, Lisa, Anna, Elsa, Berta …

Damals wurde das Allgäu zum Sehnsuchtsort, der in späteren Jugendjahren mitten im Ruhrgebiet, umgeben von Zechen und Hochöfen, wie ein fernes Paradies erschien. Wir mussten dort oft die Fenster schließen, weil draußen die Industrieabgase die Luft verpesteten und Wäsche musste nicht selten, von Ruß verdreckt, von der Leine genommen und erneut gewaschen werden.

All dies wurde mir gegenwärtig, als ich heuer an so manchem Tag fluchtartig den Balkon meiner Wohnung am Dorfrand verlassen musste, weil der Gestank der massenhaft ausgebrachten Gülle und der Lärm der schweren, pausenlos mit mehr als 50 km/h auf die Felder rasenden Traktoren unerträglich war. Als ich einmal frisch gewaschene Wäsche in der Früh auf dem Balkon zum Trocknen aufgehängt und anschließend die Wohnung zum Einkauf verlassen hatte, musste ich nach meiner Rückkehr alles erneut waschen, denn die Kleidungsstücke stanken infernalisch nach Gülle. Wenn ich eine Wanderung durch die traumhaft schöne Voralpenlandschaft unternahm – allerdings mit dem Blick nicht auf zartgrüne, sondern  auf Wiesen im Farbton »kack-braun« – musste ich anschließend die Kleidung wechseln, denn die stank, als hätte ich einen Tag in der Odelgrube verbracht. Kurz: Im Prinzip Zustände ähnlich wie seinerzeit im Ruhrgebiet!

Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich gehöre nicht zu denen, die nostalgisch verkennen, dass der Bauer heute nicht mehr mit sechs Kühen im Stall und zehn Hühnern auf dem Hof überleben kann. Ich gehöre auch nicht zu denen, die sich über den Hahnenschrei oder das Geläut der Kirchenglocken am Morgen beklagen (im Gegenteil, ich freue mich darüber), ich bin auch nicht ärgerlich, wenn mich am späten Nachmittag auf der Dorfstraße eine Kuhherde auf ihrem Weg zum Stall ausbremst – aber ich bin unendlich wütend und traurig, wenn ich sehe, wie auch hierzulande die bäuerliche Landwirtschaft Agrarfabriken weichen muss. Das mag übertrieben klingen, aber wie soll man es benennen, wenn die Fütterung weitgehend auf Silage umgestellt wird (siehe hierzu auch OHA Nr. 404 vom Juli 2015), wenn zigtausende Liter Gülle – anstelle von kompostiertem Mist – auf die Weidegründe (und inzwischen auch auf Streuwiesen) ausgebracht werden (müssen), zunehmend Medikamente zum Einsatz kommen und allenthalben an Fabrikhallen erinnernde Ställe und Schuppen in die Landschaft gesetzt werden?

2016_06_es_stinkt_02Leider sind Politik, Verbände und auch zahlreiche Bauern der Devise »Masse statt Klasse« gefolgt, sie wollten die Allgäuer Bauern zu »Global Playern« machen, die ihre Produkte bis nach Russland und China verkaufen. Jetzt dämmert es so manchem, dass dies der falsche Weg ist, jetzt wird gegen die (zwangsläufig!) Fallenden Erzeugerpreise protestiert, und es beginnt ein Nachdenken über die Folgen für die Umwelt, die Landschaft, den Tourismus und die Qualität der Produkte.

Glaubt z. B. jemand, Milch und Fleisch einer weitgehend mit Silage und sonstigem Kraftfutter gefütterten Kuh seien ebenso gut wie von einer »traditionell« ernährten? Wie würde sich wohl ein Mensch gesundheitlich entwickeln, der unentwegt Sauerkraut als Grundnahrungsmittel zu sich nimmt?

Die Milchbauern im Pfaffenwinkel, sind dabei, die Fehler zu wiederholen, die andernorts zu fatalen Folgen geführt haben. Zum Beispiel an der Mosel, wo die Winzer glaubten, in der Massenproduktion ihr Heil gefunden zu haben und dabei nicht nur den guten Ruf ihrer Produkte, sondern auch eine einzigartige Kulturlandschaft weitgehend zerstört haben. Und die jetzt mühsam versuchen müssen, Wein und Urlaubsfreuden von der Mosel wieder als Qualitätsprodukte auf den Märkten zu platzieren.

Wohin wird die Entwicklung noch führen? Es gibt Leute (aus dem industriellen Sektor, der an sein Geschäft denkt), die arbeiten bereits intensiv an der »Landwirtschaft 4.0«, der vollständigen Digitalisierung der Landwirtschaft also. Das wäre dann das endgültige Ende des ältesten, für uns alle wichtigsten und wohl auch eines der schönsten Berufe der Welt. Der IT-Fachmann würde in Zukunft die Agrarfabrik von seinem Büro aus managen.

Die bäuerliche Landwirtschaft im Einklang mit der Natur würde dann nur noch in meinen Kindheitserinnerungen und im Freilichtmuseum in Glentleiten weiterleben …

Wolfgang Fischer, Prem

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