Ganzheitliche Ferienerleuchtung

Hans Schütz

Hans Schütz

Dieses Jahr, so habe ich mir vorgenommen, fahre ich nicht in Urlaub. Ich bleibe zuhause und versuche mich ganz ohne Ferienstress in der heimatlichen Region zu regenerieren. Baden, Radeln und Bergwandern kamen mir zunächst in den Sinn, unterbrochen vielleicht von einigen kulturellen Unternehmungen wie Museumsbesuchen, Kinoabenden oder dem ein oder anderen Konzert.

Doch dann fiel mir eines dieser überall ausliegenden kostenlosen Freizeitmagazine in die Hände, und ich entwarf einen vollkommen anderen Ferienplan:

Im Heft waren haufenweise vielversprechende Angebote, was Gesundheit und Wohlbefinden betrifft, dass ich mich spontan entschloss, möglichst viel davon in meinen Ferien zu nutzen. Was da alles versprochen wurde, müsste locker reichen, dass ich wie ein neuer Mensch, vor Gesundheit strotzend und mit einem phantastischen seelischen Gleichgewicht in ein neues Arbeitsjahr gehen würde. Diese Körper-Geist-Generalüberholung wollte ich mir unbedingt gönnen.

Zunächst einmal begab ich mich mehrere Tage lang in schamanische Zauberwelten. Dazu gehörte ein Grundlagenseminar mit anschließender Heilarbeit in Wald und Natur. Weiter ging es mit dem Suchen von Lebenshölzern und Baumseelen, Naturkörperproduktionen, einem Theater des Waldes und der Begegnung mit Urweibern, Naturkriegern, Wurzelwesen und der Hüterin des Waldes als Herrin des magischen Reichs.

Als nächstes lernte ich bei einer ganzheitlichen Gesundheitsberaterin eine ganz auf meine Person abgestimmte individuelle Ernährungstherapie kennen, die mich wieder zu meiner Mitte bringen sollte und ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu echter Gesundheit sei.

Gleich mehrere Tage lang machte ich mich nun auf dem Weg zum Tor der Seele. Bei einem energievollen, harmonischen Wochenende der neuen Zeit hatte ich dabei aufbauende Begegnungen auf Seelenebene in einem energetischen Raum mit außergewöhnlich hohen Schwingungen. Ich traf dabei spirituelle Lehrerinnen, Energieexperten, Gesundheitsautoren, Andersweltmedien, Wunscherfüllungs- und Selbstheilungsfachleute und sogar Botschafter des Lichts und durfte mit ihnen unsre wundervolle Welt der fünften Dimension betreten. Hilfreich auf diesem spirituellen Weg waren zusätzlich angebotene Meditationen und planetarische Heiltechniken, die, wie man mir versprach, mich bald von der alten Welt befreien und in das Paradies auf Erden einziehen lassen würden.

Zurück in der realen Welt stellte ich fest, dass mein Ferienbudget doch schon arg zusammengeschmolzen war, und nur ein Griff in die Rücklagen auf meinem Sparbuch auch meinen Geldbeutel wieder in so etwas wie ein Gleichgewicht bringen konnte, welches ich aber sogleich auf einer Gesundheitsmesse erneut in eine bedrohliche Schieflage brachte.

Ein Kästchen und eine Pyramide zur Strahlenabwehr jeglicher Art hatten es mir da angetan. Da ich mich aber nicht für eines der beiden physikalisch strengsten Prüfungen unterzogenen Geräte entscheiden konnte, ging ich auf Nummer sicher, kaufte beide und bestellte zur umfassenden Beruhigung meiner Ängste auch noch ein drittes Strahlenabwehrsystem aus einem der bereitliegenden Kataloge.

Mein nächster Weg führte mich in ein ostasiatisch inspiriertes Aufbauzentrum. Hier genoss ich zahlreiche Wohlfühl- und Gesundheitsangebote zur Unterstützung kommender Problemsituationen des täglichen Lebens, wie zum Beispiel Meridianmassagen, Meridiandehnungsworkshops, energetische Heilweisen und erhielt eine Vitalstoffernährungsberatung.

Als ich auf dem Heimweg in der Stadt an einem Schaufenster vorbeikam, stellte ich fest, dass in der Auslage für Kartenlegen, Pendeln und Horoskopanfertigungen geworben wurde. Auch Kontaktaufnahmen mit Verstorbenen sollten unter günstigen planetarischen Konstellationen ermöglicht werden. Die nächsten drei Tage meines Feriengesundheitsmarathons waren somit bereits festgelegt.

Einmal musste ich meinen Vorsatz hier im Lande zu bleiben dann doch höheren Erfordernissen opfern. Ein Quantenheilungsseminar, das es mir besonders angetan hatte, wurde nämlich nur auf einer spanischen Mittelmeerinsel angeboten, auf die sich einst die Weisen von Atlantis gerettet haben sollen.

Auf Powerwege zu mehr Selbstvertrauen, auf Förderung der Eigenliebe zur Öffnung des Herzens und ein Matrixkraftausbilderseminar wollte ich keinesfalls verzichten, zumal auch noch besondere Erlebnis- und Heilabende auf dem Programm standen.

Wieder zuhause widmete ich mich bei mehreren Führungen heimischen Kraftplätzen, magischen Wegen und alten spirituellen Orten. Ich lernte unterschiedliche Energiequalitäten kennen, begann mich an Kraftorten selbst zu spüren, konnte die Natur als geistigen Freund gewinnen, fand Stille im Innen und im Außen und frischte so meine brachliegenden Lebensenergien kraftvoll wieder auf.

Eine magische Schluchtreise und ein Workshop zur Herstellung alter keltischer Kraftzeichen und Schutzamulette sowie ein indianisches Wochenende mit Trommelmeditation, Schwitzhütte und heiliger Räucherzeremonie rundete das Programm dieser Woche ab.

Am nun notwendigen Ruhetag zog ich mich mit Hilfe von spiritueller Himalayamusik und dem Lesen alter indonesischer Weisheitslehren ganz in mein innerstes Seelenleben zurück. Sicherheitshalber begleitete ich das aber mit dem mehrmaligen Auflegen hawaiianischer Algen auf mein Sonnengeflecht, die von den dortigen Ureinwohner in traditionellen Erntezeremonien an klaren Vollmondnächten um Mitternacht geerntet worden waren.

Tags darauf begleitete mich eine diplomierte Klangschalentherapeutin mit langjährigen Erfahrungen in der Sufi-Tradition bei der Energiearbeit zur Selbstfindung und der Erkenntnis der vier Elemente, und schon wieder war ich mit Erdung, Reinigung und Belebung auf dem Weg zu meiner Herzensmitte.

Erneut musste ich mich einen Tag lang intensiv mit meinen finanziellen Defiziten beschäftigen, was mich doch psychisch und seelisch stärker belastete als ich gedacht hatte. Zum Glück gab es aber auch für diese Problematik das passende Seminarangebot. Der sichere Weg zu neuem Wohlstand wurde hier angeboten, um finanzielle Visionen Wirklichkeit werden zu lassen.

Am Abend blieb sogar noch Zeit für einen Diavortrag mit dem Titel »Die Wunderheiler des Himalaya«, auf dem ich meine wiedergewonnene finanzielle Zuversicht sogleich nutzte, und mich mit Tibetsalz, Ayurvedakochbüchern und einem kleinen Messingbuddha beschenkte.

Nachdem mir aufgefallen war, dass die geheimen südamerikanischen Heilmethoden in meinem Programm noch gänzlich fehlten, war ich dankbar, ein Seminarangebot über heilende Inka-Urmusik mit heiligen Melodien und verborgenen Botschaften zwischen den Tönen kurzfristig noch wahrnehmen zu können.

Eine einmalige Schnellausbildung zur Meisterschaft in der integrativen Körperarbeit schloss sich übers Wochenende an.

Nach einem Vortrag über Heilsteine und deren kosmische Bedeutung für das Gesunden der Welt, musste ich in meinem Wohnzimmer einige Umstellungen vornehmen. Jetzt liegen für alle persönlichen aber auch die Gesamtmenschheit betreffenden Problemsituationen die jeweils helfenden Steine griffbereit.

Neben der bereits vorhandenen finanziellen bahnte sich die nächste Katastrophe aber bereits an:

Ich stellte fest, dass die Ferien schon am nächsten Tag vorbei sein würden. Ich konnte mir um nichts in der Welt vorstellen, schon morgen mit der Arbeit loszulegen. Der wochenlange Gesundheitstrip war schließlich so anstrengend gewesen, dass ich jetzt dringend eine Ruhepause benötigte.

Ich ging sofort zum Arzt und ließ mich für eine Woche krank schreiben. Diagnose: Gesundheits- und Seelenstress!

Hans Schütz
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