Kampf um die Macht übers Genom

Oder nur Kampf gegen Tierkrankheit mittels Ohrstanze

Alles in Ordnung, keine Gefahr! Ist das nicht ein bekanntes Phänomen? Gefährliche Entwicklungen kommen aber bekanntlich oft durch die Hintertür. Diesmal finden sie möglicherweise sogar den Weg durch die Stalltür. Ab Januar 2011 wird der Rinderkrankheit Bovine Virus Diarrhoe, kurz BVD, durch ein staatliches »Sanierungsprogramm« der Kampf angesagt. Ins Deutsche übertragen könnte man von einem durch Viren verursachten Durchfall bei Rindern sprechen. Weitere Krankheitssymptome sind Fieber oder Ausfluss aus Nase und Augen. Die Viren sind übrigens auch mit Schweinegrippe-Viren verwandt. Infektionen bei Trächtigkeit können auch zu Totgeburten sowie Missbildungen bei Kälbern führen. Für Menschen ist das Virus jedoch ungefährlich. Für problematisch hält man, dass das Virus oft vorhanden ist, bei infizierten Tieren sich aber keine Symptome zeigen. Damit ergibt sich jedoch eine permanente Infektionsquelle im Stall.

Die nationale Verordnung zum Schutz der Rinder vor einer Infektion mit dem BVD-Virus sieht eine Untersuchung der Rinder innerhalb der ersten sechs Lebensmonate vor. Als Untersuchungsmethode hat sich die Ohr­stanzmethode durchgesetzt, mit der zu einem sehr frühen Zeitpunkt organisches Material der zu untersuchenden Tiere gewonnen wird. Jedes Kalb muss innerhalb der ersten sieben Tage die Ohrmarke erhalten. Wird dabei automatisch auch eine Gewebeprobe entnommen, die so genannte Ohr­stanze, dann lässt sich anhand dieses Teilchens aus der Ohrmuschel auch das gesamte Genom des Tieres feststellen.

Genetische Datensammlung möglich

Genau deshalb ist diese Methode in die Kritik geraten. Denn durch die Ohrstanzmethode wäre ab Januar 2011 der Weg frei für eine genetische Datensammlung von Rindern in Deutschland. Binnen absehbarer Zeit wäre jedes Rind erfasst. Durch Genom-Daten könnten Veranlagungen von Tieren schon frühzeitig erkannt werden. Und wenn solche Daten vorhanden sind, kann man bestimmte Tiere auswählen und wichtige Erkenntnisse gewinnen, die dann unter Umständen auch eine Patentierung ermöglichen können.

Hier geht die scheinbar unverdächtige tiermedizinische Untersuchung in den Bereich über, wo – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – der entscheidende Kampf um die Kontrolle der Lebensmittelproduktion geführt wird, der Kampf um Patente auf Pflanzen und Tiere.

EU-Gesetzgebung fördert Patentierung

Die Interessengemeinschaft für gesunde Tiere (IggT) verweist hierzu auf die EU-Patentrichtlinie 98/44 (»Biopatentrichtlinie« aus dem Jahr 1998), in der »Patente auf Pflanzen und Tiere, auf Teile des menschlichen Körpers und auf Gene« erteilt werden dürfen.

Einer der Kritiker ist auch Dr. Christoph Then, Experte für biotechnologische Folgenabschätzung aus München. In einem Interview in der B5-Sendung Funkstreifzug gibt er zu bedenken: „Es gibt inzwischen Patentanträge auf diese Untersuchung, es gibt Patentanträge auf Genom-Daten von Kühen. Der bekannte US-Konzern Monsanto hat Patent-Anträge angemeldet, die einige tausend dieser Genom-Daten beanspruchen, also im Grunde, Erfassung des Genoms, mehr oder weniger des gesamten Genoms, die statistische Auswertung und daraus eben abgeleitet bestimmte Merkmale von Kühen für die Zucht.“

Die zuständigen Ministerien in München und Berlin wiegeln ab. Die Ohrstanzmethode sei ja nicht zwingend vorgeschrieben. Das Bundeslandwirtschaftsministerium erklärt: „Von jedem Rind einen genetischen Fingerabdruck zu erstellen, ist ein sehr aufwändiges und teures Verfahren.“ Und ohne Einverständnis des Tierbesitzers sei ein Labor ohnehin nicht befugt, derartige Untersuchungen durchzuführen.

Der Tiergesundheitsdienst (TGD) Bayern, der mit der ARGE BVD die allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Untersuchung von Proben im Rahmen der BVD-Bekämpfung vereinbart hat, gibt Entwarnung: „Die Proben und Daten werden beim TGD ausschließlich für Untersuchungen verwendet, die für die Durchführung der BVD-Bekämpfung erforderlich sind.“

Ähnliches sagen auch Vertreter des Bauernverbandes. Man wolle doch den Bauern helfen. Und die Ohrstanzmethode sei eben die sicherste, kostengünstigste und schnellste Methode.

Kritiker der Methode brauchen aber nur auf die EU verweisen, die das Verbot der Patentierung von Entdeckungen, Pflanzensorten, Tierrassen und Züchtungen aus dem Jahr 1973 aufgehoben und durch die neue Richtlinie 98/44 erlaubt hat.

Sigi Müller
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