»Pflegemarkt«: Blick hinter die Kulissen

Vor allem ein gutes Geschäft soll der demografische Wandel für viele Unternehmer werden. Gemäß einer Studie werden bis 2030 in Deutschland rund 320.000 neue Pflegeheimplätze benötigt, 845.000 gibt es bereits. Dabei hat das Kuratorium Deutsche Altenhilfe festgestellt: 80% der Bewohner sind unfreiwillig im Pflegeheim.

Warum werden dann immer neue Heime gebaut? Und was soll in diesen Demenz- und Pflege-Wohngemeinschaften anders sein? Wir werfen einen Blick hinter die wirtschaftlichen Kulissen. Und warum ein Strukturwandel Not tut.

Private Heime: Investoren-Betreiber-Modell

Bei Privaten Pflegeheimen gibt es immer eine Zweiteilung der Aufgaben: Der Investor baut die Immobilie und sucht sich einen Pflegeheimbetreiber, der die Immobilie anmietet und dann den eigentlichen Betrieb des Pflegeheims durchführt. Der Betreiber stellt die Mitarbeiter ein, wirbt und pflegt dann die Patienten.

Für den Investor ist natürlich wichtig, dass seine Immobilie eine gute Rendite abwirft, schließlich hat er für zig Millionen gebaut und muss die Banken und seine eigenen Anleger bedienen. Daher gelten 8% Rendite aus der Vermietung als das, was der Investor mit dem Pflegeheim verdienen sollte.

Und der Betreiber? Auch für den gelten klare Anforderungen: Er soll bereits etliche Heime betreiben, und die Personalkosten sollen höchstens 50% des Umsatzes ausmachen – mehr Personal gibt es also nicht für die Bewohner.

Und weil der Gesetzgeber seit Jahren die Pflegesätze für die Heime nicht mehr angehoben hat, stehen die Betreiber natürlich unter erheblichen Renditedruck: Sie müssen genug erwirtschaften, um

  • die 8% Rendite für den Vermieter bezahlen zu können und
  • selbst auch noch einen Gewinn zu machen.

Kein Wunder also, dass die neuen Heime, die gebaut werden, häufig sehr groß sind: Ein Heim schreibt oft erst ab 60 Betten eine schwarze Null. Und erst darüber hinaus beginnt die Gewinnzone. Also soll das Heim möglichst groß werden, am besten 100 oder mehr Plätze.

Sehr beliebt ist es auch, überregional möglichst viele Sozialhilfeempfänger zugewiesen zu bekommen: erstens haben die weniger Mitspracherechte, in welches Heim sie kommen, und zweitens ist Vater Staat ein pünktlich zahlender Kunde.

Da fragt man sich nur noch: wo bleiben da eigentlich die Menschen?

Die Großen Wohlfahrtsverbände

Ist bei den Wohlfahrtsverbänden da alles besser? Immerhin gehören ihnen ja die Immobilien meistens, und auch der Renditedruck ist bei BRK, Caritas, AWO, Diakonie usw. nicht so hoch meint man – schließlich sind sie ja gemeinnützig?

Ja, meint man. Am 15. Mai 2011 hat die Sozialministerin Hader­thauer in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung ein paar aufschlussreiche Sätze gesagt: „viele Mittel kommen gar nicht bei der Pflegekraft am Bett an. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass große Träger ihre unterschiedlichen Geschäftsfelder über Pflegeeinnahmen quer subventionieren. Pflegeheime scheinen immer noch ein lohnendes Geschäft zu sein, aber nicht für die Menschen, die pflegen, sondern für diejenigen, die ein Heim betreiben.“ Die Heime also als Cash Cow für die restlichen Geschäftsfelder.

Strukturwandel

Weil viele einfach „nicht ins Heim“ wollen, haben sich Alternativen dazu gebildet – und das sind die Demenz- und Pflegewohngemeinschaften. Hier hat der Gesetzgeber ein Modell in ein Gesetz gegossen, bei dem die Selbstbestimmung der Bewohner und die Macht der Angehörigen so sehr gestärkt werden, dass von einem „Betreiber“ nicht mehr gesprochen werden kann.

Die Angehörigen nehmen eine starke Rolle wahr – sie entscheiden alle wesentlichen Punkte in der WG. Pflegen und Betreuen müssen sie nicht, wobei sich viele in der WG engagieren, weil sie Anteil nehmen möchten und ihre demenzkranken Verwandten nicht „einfach abgeben“ wollen.

Betreuung und Tagesgestaltung übernimmt z. B. die Alzheimer Gesellschaft, die Pflege ein ambulanter Dienst. So ist an 24 Stunden am Tag und an 7 Tagen die Woche professionelle Hilfe anwesend. Eine Wohngemeinschaft kann maximal 12 Bewohner haben, häufig werden die WGs mit zirka 9 Bewohnern aufgebaut.

Und ein weiterer Unterschied zu den oben genannten Modellen: die Verträge für Miete, Pflege und Betreuung sind getrennt. D. h. es kann jeder nachvollziehen wohin und wofür das Geld geflossen ist. Oder die Angehörigen wechseln den Pflegedienst, wenn sie nicht mehr zufrieden sind.

In Bayern gibt es inzwischen 165 Wohngemeinschaften dieser Art – davon drei auch in der Nähe: Eine in Fuchstal-Asch, zwischen Schongau und Landsberg, und zwei in Starnberg. Ganz neu entstehen nun in Weilheim zwei Demenz-Wohngemeinschaften: in Kooperation mit der Alzheimer-Gesellschaft und im Genossenschafts-Modell, um Anleger an der Immobilie zu haben, denen vor allem an der Sache gelegen ist.

Martin Okrslar, Ohlstadt
Quellen:
Statistische Bundesamt, gbe-bund.de
Bertelsmann Stiftung / Kuratorium Deutsche Altenhilfe 2003 (Kremer-Preiß/Stolarz)
IKB Immobilienbrief 02/2008
Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 15. Mai 2011
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