Staatsschulden: Regierende schröpfen Bürger

Herwarth Stadler

Herwarth Stadler

Was sind Schulden? Landläufig habe ich Schulden, wenn ich mehr Geld ausgegeben als eingenommen habe. Selbst als gute(r) HaushalterIn gibt es dafür auch vernünftige, weil Vermögen bildende Gründe: ein Haus bauen, eine Eigentumswohnung kaufen, eine große Maschinenanlage für den Betrieb anschaffen, oder langlebige Verbrauchsgüter wie eine Wohnung einrichten, ein neues Auto, eine Ersatz-Waschmaschine erwerben u. a. m. Also muss ich mir zu dem selbst Angesparten noch Geld auf dem so genannten Kapitalmarkt leihen (Funktion/Aufgabe der Banken).

Beim Staat als Gemeinschaftseinrichtung ist es nicht anders, nur dass er das Recht hat, auch neue Geldmengen für den Wirtschaftskreislauf festzusetzen und in ihn einzuschleusen (Aufgabe der Bundesbank), damit er seine (politisch gewollt) unvollständigen Etats ausgleichen kann. In einer Demokratie sind es wir Bürger, die über Steuern und Abgaben dem Staat das nötige Geld zur Verfügung zu stellen haben und die letztlich die Staatsschulden werden tilgen müssen.[1] Der Staat, das ist nicht nur die Bundesregierung für Deutschland und sind die 16 Bundesländer, sondern auch die fast 8 000 Kommunen (Gemeinden und Städte, Landkreise und Bezirke und deren wirtschaftliche Einrichtungen).

Wenn unsere Regierungen keinen schuldenfreien Jahreshaushalt zustande bringen, dann betreiben sie Klientel-Politik; d. h., sie belasten in jedem Jahr mit Kreditaufnahmen, die höher als 80 Prozent der gesamten Investitionssumme ausfallen, die »starken« Schultern zu wenig bei den direkten Steuern (maximal 42 Prozent) und bevorzugen mit hohen (indirekten) Mehrwertsteuersätzen (derzeit 19 Prozent) die arbeitslosen Einkommensbezieher, also die Reichen, weil deren gehortetes Geld (das »Finanzkapital«) keiner Mehrwertsteuer unterliegt und dessen Zinserträge als Jahreseinkommen bei uns zudem auf 25 Prozent gedeckelt sind. Letzteres ist einer der Gründe, warum unsere fast 100 000 Einkommensmillionäre seit vielen Jahren im Durchschnitt nur rund 35 Prozent Einkommensteuer bezahlen. Gelackmeiert ist dabei auch der leistungsorientierte Mittelstand, dessen individuelle Arbeitseinkommen nämlich bis zum Höchststeuersatz (42 Prozent) unterliegen.

Tabelle Staatsverschuldung DeutschlandUnser Gesamtstaat war Ende 2009 mit rund 1 720 Milliarden Euro Schulden (ohne fast 1 Billion €uro Bürgschaften für die Bankenkrise 2008/2009!) belastet;[2] das sind je Privathaushalt (bei rund 38 Millionen Haushalten) 45 300 €uro, die wir und unsere Kinder und Enkel werden zurückzahlen müssen. Dazu kommt die jährliche Zinslast, die im Durchschnitt bereits weit über 10 000 €uro insgesamt (für Staats-, Privat- und Unternehmenskredite) je Privathaushalt beträgt.[3] Wir merken davon nichts, weil sie gut zur Hälfte in den Waren- und Dienstleistungspreisen enthalten sind, zu fast 30 Prozent aus dem Steueraufkommen finanziert werden und der Rest nur in den persönlichen Kredit-, Leasing- und Hypotheken-Tilgungsraten (mit etwa 6 Prozent) eingerechnet auftauchen (leider macht man sich das meistens nicht klar). Und wer von den gewählten Volksvertretern in den Parlamenten kennt schon die fünf- bzw. sechsstellige Kennziffer[4] für zu zahlende Zinsen (Abschreibungen und Tilgungen) im »Einzelplan 9 – Allg. Finanzwirtschaft« im dicken Wälzer des Jahres-Haushaltplanes?

Der Bund der Steuerzahler hat sich 2003 an einer Tilgungsrechnung[5] versucht und sich genau so blamiert, wie damals noch Ministerpräsident Roland Koch im April 2008,[6] jetziger Aufsichtsratsvorsitzender des Konzerns Roland Berger: Beide haben vergessen, die fälligen Zinszahlungen während der Tilgungsjahrzehnte mitzurechnen! Welch verqueres Verhältnis zu Zahlen haben viele akademisch gebildeten politischen Entscheider![7]

Der Mitbegründer des Fördervereins Neue Wirtschaftsordnung e.V., Wirtschaftsanalytiker und Publizist Helmut Creutz, hat nachgewiesen,[8] dass auf diesem Weg von 1970 aus (umgerechnet) 64 Mrd. Staatsschulden (= 19% des BIP) bis 2005 1 489 Mrd. € (= 68% BIP) wurden, sie sind somit auf das 23fache gestiegen, während das BIP in den 35 Jahren sich versechsfacht hat;[9] und jetzt kommt der Hammer: die in diesem Zeitraum überwiesenen Zinsen dafür haben 1 305 Mrd. € betragen und somit der Schuldenberg gerade zur Deckung der Zinslast reichte ohne eine einzige echte Tilgungsrate zu beinhalten.

Die öffentlichen Investitionen, die als Impulse für den Binnenmarkt fehlten und Arbeitsplätze in Millionenhöhe gekostet haben, sind in dieser Zeit rapide zurückgefahren worden. Die Kredit-Billionen € stärkten den reinen Geldmarkt, auf dem kreative Bankster im Zusammenspiel mit renommierten Rating-Agenturen bei sich aus der Finanzmarkt-Regulierung zurückziehenden Staaten als Finanztitel durch den bekannten Zinseszinseffekt[10] und Spekulation auf ein Vielfaches (aus der Finanzstatistik u. a. Quellen geschätzt das 12-fache) des BIP (2009 rund 4,3 Billionen €) angewachsen ist.

Die Zinszahlungen vervielfältigten sich 33-fach – von rund 2 Mrd. € auf über 64 Mrd. €; das BIP der Realwirtschaft hat sich nur versechsfacht!

Herwarth Stadler

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. Ob durch eine Inflation mit nachfolgender Depression, über Währungsreform oder andere Wege wie zum Beispiel einer neuen weltweiten Wirtschaftsordnung, die auch die Profiteure einschließt … wer kann das heute schon sagen?
  2. Fast ausschließlich seit 1990 aufgelaufen, also in 20 Jahren, in denen alle Altschulden einschließlich Reparationszahlungen für den verlorenen 1. Weltkrieg (letzte Rate am 1. Oktober 2010) getilgt worden sind.
  3. H. Creutz, Grafik 035b; Humane Wirtschaft, Heft 4/2010
  4. in den 70er Jahren war es für die kommunalen Haushalte in Bayern: im Verwaltungshaushalt für zu zahlende Zinsen 912 800. 9xx 00 – Einzelplan 9, allgemeine Finanzwirtschaft im Vermögenshaushalt mit den Unterabschnitten (UA) 912 nnn Kredite, 915 nnn kalkulatorische Kosten wie AfA .270, Zinsen für Anlagen .275, 970 nnn Tilgungen, Kreditbeschaffungskosten 990 10; Beispiel aus Etat des Bezirkstages von Oberbayern
  5. Staatsschulden einfrieren und sofort monatlich 1 Mrd. € tilgen – das hätte beim damaligen Schuldenstand 110 Jahre gedauert und bei 5% Zinssatz wären insgesamt weitere 4,950 Billionen Zinsenzahlungen fällig geworden.
  6. Lt. FOCUS-Online vom 25. 4. 2008; auch hier wären in den 50 Jahren Tilgungszeit zu den Raten á 30 Mrd. € nochmals im Schnitt 38 Mrd. € Zinsen je Jahr gekommen.
  7. In der universitären Wirtschaftsforschung gibt es seit Jahren, bisher ein Schattendasein führende Forscher und Institute, die an diesem Problem arbeiten, aber noch keinen Nobelpreis erhielten, jedoch schon vorgeschlagen waren.
  8. s. Humane Wirtschaft Heft 4/2008, S. 10 – 19
  9. neueste Zahlen liegen vor für 2009, s. Heft 4/2010, S. 14 – 19: Gesamtschulden 1,768 Bill. € = 68% BIP, das 28-fache von 1970
  10. in den zurückliegenden 2 Jahrhunderten des Wirtschaftskapitalismus waren es neben häufiger Börsencrashs vor allem die Kriege und Wiederaufbau-Jahrzehnte, die sich bildende Finanzmittel absorbierten. 1965/70 jedoch schuf der Rüstungswettlauf immer neue Kreditberge/Finanzmarktmittel-Zuwächse
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