Von der »Willkommenskultur« zur »Integrationsstruktur« (Teil 1)

Wolfgang Fischer

Wolfgang Fischer

Schaffen wir das?

„Wir schaffen das!“, so die Antwort von Angela Merkel, und ich freue mich über diese klare Ansage, die eine Zuversicht ausdrückt, die ich sonst bei unserer Kanzlerin vermisse – z. B. beim Thema »Energiewende«.

Dabei ist die Aufgabe, die Deutschland im Zusammenhang mit Flüchtlingen und Migranten in Zukunft zu bewältigen hat, in ihrer Dimension noch gar nicht allen bewusst. Ich möchte einmal die wichtigsten Fragen skizzieren, auf die wir Antworten finden müssen. Eines ist jetzt schon klar: Wir werden Herz und Verstand benötigen – und einen langen Atem!

Wie bewahren wir den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Deutschland vermittelte in den vergangenen Wochen ein höchst unterschiedliches Bild: Euphorische Willkommensinszenierungen auf der einen Seite und menschenverachtende Hetze sowie brennende Flüchtlingsunterkünfte auf der anderen. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass knapp 40% der Bevölkerung in Umfragen zu Protokoll geben, dass sie die weitere Aufnahme von Flüchtlingen ablehnen. Wie gehen wir mit dieser Situation in einer Weise um, dass Merkel Recht behält?

In der öffentlichen Debatte von „Dunkeldeutschland“ (Bundespräsident Gauck) oder „Pack“ (Vizekanzler Gabriel) zu reden, ist wenig hilfreich, gießt nur Öl ins Feuer und vertieft die Spaltung in unserer Gesellschaft. Noch schlimmer ist allerdings die fremdenfeindliche Polemik einiger Politiker (vor allem der CSU), die rechtspopulistisches Gedankengut letztlich »salonfähig« macht. Was notwendig ist, ist eine schnelle und harte Bestrafung derjenigen, die ihren Fremdenhass kriminell ausleben. Das Strafgesetzbuch ent­hält ja ein ganzes Arsenal von Strafen, mit denen Vergehen wie Beleidigung, Sachbeschädigung, Körperverletzung, Mord, Volksverhetzung, Landfriedensbruch usw. verfolgt werden können. Wer aber im Rahmen der Gesetze gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik agiert, mit dem müssen wir uns auseinandersetzen und ihn zu überzeugen versuchen. Dies wird nur gelingen, wenn wir uns in die Gemütslage derjenigen versetzen, die den Zuzug von Migranten ängstlich ablehnen: Da gibt es z. B. Mitbürger, die sich in unserer Gesellschaft abgehängt fühlen und nun eifersüchtig erleben, dass Menschen aus fremden Ländern warmherzig und voller Hilfsbereitschaft begrüßt werden. Andere, die es für eine unzumutbare Überforderung halten würden, den heimischen Stammtisch (beispielsweise in Schongau) wegen besserer Berufschancen (etwa in Duisburg) zu verlassen, ahnen vielleicht, dass sie künftig zu den Verlierern gehören könnten, wenn sie die Fernsehbilder von Zehntausenden junger Menschen sehen, die risikofreudig, voller Energie und Optimismus in ein völlig neues Leben fern der Heimat aufbrechen. Stellen wir die Verzagten in unserem Land nicht ins Abseits, sondern versuchen wir, sie mitzunehmen in ein insgesamt mitfühlenderes, freundlicheres, besseres Deutschland!

Wie kann die »Willkommenskultur« verstetigt werden?

Die Bilder vom Münchner Hauptbahnhof (und aus anderen Städten) von Anfang September haben mich tief bewegt. Ich hatte dabei das Gefühl, dass viele – vor allem junge – Menschen glücklich waren, die Welt der Schnäppchenjäger, das Land der »Geiz ist geil«-Anhänger und oberflächlicher Fernseh-Soaps hinter sich zu lassen und eine sinnvolle Aufgabe gefunden zu haben. Glücksforscher wissen ja schon lange, dass nichts den Menschen glücklicher macht, als das Glück zu teilen, sich dem Mitmenschen zuzuwenden. Man musste nur in die Gesichter der ehrenamtlichen Helfer schauen und fand diese These bestätigt. (Wie verschlossen und finster sehen dagegen die hasserfüllten Demonstranten vor brennenden Asylantenheimen aus!)

Aber: Es kamen mir auch die Bilder vom Mauerfall 1989 in den Sinn, sie waren ja ganz ähnlich, voll Überschwang und Herzlichkeit. Und wir mussten doch erleben, dass schon kurze Zeit später nicht wenige (beiderseits des verschwundenen eisernen Vorhangs) sich die Mauer zurückwünschten. Wird es diesmal wieder so kommen? Die Gefahr besteht. Denn voll spontaner Begeisterung am Bahnhof den ankommenden Flüchtlingen zuzuwinken und ihnen Obst oder Schokolade zu schenken, ist das eine. Etwas anderes ist es, auf Dauer und regelmäßig ehrenamtlich Freizeit zu opfern, eine Tafel zu organisieren, Deutschkurse zu geben, Kinder zu betreuen, Behördengänge zu machen usw. Wer jemals bei so etwas mitgewirkt hat, weiß wovon ich rede und wie schnell sich ein Gefühl der Überforderung einstellt. Auch Ärzte und Krankenschwestern, die ihre Freizeit für die Versorgung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen, können dies nur eine begrenzte Zeit tun. Die Ehrenamtlichen können die notwendigen staatlichen Strukturen nur ergänzen, nicht ersetzen. Wenn die »Willkommenskultur« auf Dauer nicht erlahmen soll, muss sie sich im Rahmen einer staatlichen »Integrationsstruktur« entwickeln können.

Sind wir mental auf Enttäuschungen vorbereitet?

Erfahrungsgemäß schlagen Euphorie und Begeisterung schnell in Enttäuschung und Frust um, wenn die (allzu) hoch gesteckten Erwartungen sich nicht erfüllen. Es ist absehbar, dass es Enttäuschungen geben wird: Es kommen ja nicht nur niedliche Kinder (obwohl die im Fernsehen besonders häufig gezeigt werden), sympathische junge Männer mit Abitur und hübsche Mädchen nach Deutschland. Wir müssen davon ausgehen, dass unter den Hunderttausenden auch Schwindler, Betrüger, Undankbare, Unverschämte – vielleicht sogar Terroristen sind. Also unangenehme Zeitgenossen, die es auch unter den »Einheimischen« in Deutschland gibt. Darauf müssen wir vorbereitet sein, alles andere wäre naiv. Angst habe ich vor dem Tag, an dem BILD auf der ersten Seite titelt: »Flüchtling mordet deutsche Frau!« Dann wird sich zeigen, ob die gegenwärtige »Willkommenskultur« so eine Meldung überlebt.

Wolfgang Fischer, Prem
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