Zum Krieg im Gazastreifen: Zwischen allen Stühlen

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Hans Hahn

Ohne einen souveränen Staat für die arabischen Bewohner Palästinas wird es niemals Frieden geben

Wer zurzeit Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen übt, bekommt Probleme. Einmal erhält er Beifall von der falschen Seite und zum Anderen wird er pauschal als Antisemit diffamiert. Beides ist ziemlich unangenehm. Ich bin natürlich kein Antisemit, eher ein Philosemit, was mir die Auseinandersetzung mit diesem Krieg noch zusätzlich erschwert.

Muss (!) oder darf (?) man als Deutscher angesichts der Shoa zum Tod von über 1.800 Arabern – darunter mehr als 400 Kinder – schweigen?

Ich habe keine Zweifel daran, dass die Hamas eine islamistische Terrororganisation ist, die es zu bekämpfen gilt. Aber das Völkerrecht erlaubt nicht die Tötung von Kindern, Frauen, Alten und nicht am Krieg beteiligten Zivilisten, auch dann nicht, wenn sich der Gegner darunter versteckt.

Selbstverständlich hat der Staat Israel das Recht auf Selbstverteidigung, wenn er angegriffen wird. Und er wird angegriffen, fast jeden Tag mit Raketen aus dem Gazastreifen. Die Raketen richten in der Regel nur geringe Schäden an, da sie abgefangen werden können. Welche psychischen Schäden die betroffenen Israelis erleiden, das können vielleicht unsere Großeltern nachempfinden.

Die Ermordung von drei Talmud-Schülern war ein scheußliches Verbrechen, welches angemessen bestraft werden muss. Das gilt genauso für den Rachemord an einem arabischen Jugendlichen in Jerusalem.

Der Staat Israel verdankt seine Existenz einem UN-Beschluss von 1948, dem auch die damalige Sowjetunion zugestimmt hatte. Vorausgegangen war ein Versprechen der damaligen Mandatsmacht Großbritannien Anfang des 19. Jahrhunderts, in Palästina einen Staat für die Juden zu schaffen.

Dass der Staat, welcher seine Existenz der Weltgemeinschaft verdankt, sich heute kaum an Beschlüsse der UN hält, ist mehr als problematisch.

Auch wenn es in der arabischen Welt noch immer viele gibt, die Israel „von der Landkarte tilgen“ wollen, so würde die Gründung eines arabischen Staates Palästina wahrscheinlich viel Wind aus deren Segeln nehmen.

Dem steht aber vor allem die Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes entgegen. Dahinter steht eine Ideologie, welche sich auf die 5.000 Jahre alte Bibel beruft. Demnach hat Gott dem »auserwählten Volk« dieses Land versprochen. Im angeblich »heiligen Land« sind seither noch zwei weitere Weltreligionen entstanden. Der Jude Jesus begründete (ohne es zu wissen) das Christentum und Mohamed, der Prophet, den Islam. Ein Urteil darüber, ob Religionen im 21. Jahrhundert Grundlage für Politik sein können, überlasse ich den Lesenden. Immerhin berufen sich zwei Regierungsparteien in Deutschland ausdrücklich auf das Christentum (ob sie sich immer danach verhalten, ist eine andere Frage).

Die antisemitischen Ausfälle während Demonstrationen gegen den Gaza-Krieg sind unentschuldbar. Sie sind auch nicht allein auf „importierten“ Antisemitismus zurückzuführen (Bundespräsident Gauck). Es ist bekannt, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung antisemitische Einstellungen hat. Das haben mehrere Untersuchungen in den letzten Jahren immer wieder ergeben (z. B. Friedrich-Ebert-Stiftung). Leider blieben diese Erkenntnisse ohne Folgen.

Aber die Mehrheit der Deutschen steht hinter dem Existenzrecht des Staates Israel. Das Schweigen zu den antisemitischen Abscheulichkeiten könnte auch aus Verunsicherung entstanden sein, angesichts der Toten und der Zerstörung im Gaza. Es ist die Aufgabe von Herrn Graumann und von Frau Knobloch, sich darüber zu beklagen. Aber ich möchte den Vertretern der Juden in Deutschland die Frage stellen dürfen, wie sie zur völkerrechtswidrigen Besetzung und Besiedlung des Westjordanlandes stehen. Allerdings läuft man da Gefahr, als Antisemit hingestellt zu werden.

Semiten sind übrigens auch die Araber. Und wenn man schon die Bibel zu Rate zieht, dann sollte man daran erinnern, dass Abraham der Vater beider Stämme war. Er zeugte mit seiner ersten Frau Hagar den Sohn Ismael (Vorvater der Araber) und mit seiner zweiten Frau Sara den Sohn Isaak (Vorvater der Juden). Sollten die beiden sich nicht schon allein deshalb zusammentun?

Der alte 68er-Spruch »Frieden schaffen ohne Waffen!« trifft in diesem Konflikt den Nagel auf den Kopf. Ohne einen souveränen Staat für die arabischen Bewohner Palästinas wird es niemals Frieden geben. Aber es sieht leider so aus, als ob Frieden gar nicht erwünscht ist, von keiner der beiden Parteien.

Viele Juden in und außerhalb Israels sind verzweifelt über die Lage im Land. Kritiker der Regierungspolitik, Friedensaktivisten und Linke beklagen einen zunehmenden Druck von Seiten ultraorthodoxer und nationalistischer Kreise, bis hin zur Androhung physischer Gewalt. Der Konflikt bedroht das Land auch von innen.
Schweigen hilft da nichts.

Hans Hahn
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