Ernährungskultur heute: Der Lebensmitteltransport – eine soziale Frage? (3)

Florian Reistle Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Florian Reistle
Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Orientieren wir uns am Ernährungskreislauf, dann folgt, nach der »Arbeit der Natur« und den Mühen der Lebensmittelproduktion, der Transport der Lebensmittel. Globale und regionale Warenströme sind hier vorhanden. Sicherlich hat die Globalisierung hier mancher Orts sehr ungerechte Spuren hinterlassen. Um den Kraftfutterbedarf unserer heimischen Fleischproduktion zu decken, muss Soja aus Lateinamerika importiert werden. Dort fehlen dann allerdings Lebensmittel und mancherorts hungern die Menschen. Bei uns aber kann das viele günstige Fleisch kaum verzehrt werden. Nur die besten Teile werden gegessen. Die übrigen Fleischteile verschifft die EU zu Dumpingpreisen weiter nach Afrika. Dort wird der heimische Fleischpreis gedrückt und lokale Bauern müssen aufgeben.

Der Blick auf den Transport kann aus sozial-ökologischem Blickwinkel sehr negativ und bedrückend wirken. Ohne diese unhaltbaren Zustände schönreden zu wollen, bringt Goethe mit seinem bekannten Zitat einen neuen Blickwinkel ins Spiel:

„Wie wohl ist mir’s, dass mein Herz die simple harmlose Wonne desjenigen Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoss, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hatte, alle in einem Augenblick wieder mitgenießt.“ (J. W. Goethe)

Interessanterweise entsteht die „Wonne“, von der Goethe spricht, in diesem Fall nicht aus der direkten Tätigkeit des Anbaus (der selbstverständlich auch sehr viel Freude bereiten kann!!!), sondern aus seiner Vorstellungskraft. Er stellt sich mit poetischer Fantasie vor, welche Fürsorge einem Kohlkopf – hier liebevoll Krauthaupt genannt – widerfahren muss, bis er verzehrt werden kann.  Und dass diese Fürsorge beim Essen nochmals miterlebt werden kann.

Daraus entsteht ihm seine Freude. Diese ist nicht mehr an das ja durchaus legitime individuelle Geschmacksempfinden gebunden; das heißt, ob es mir schmeckt oder nicht schmeckt. Sondern Goethe wendet den Blick weit hinaus zu all jenen, die am Erzeugerprozess mitgewirkt haben. Wie viele Menschen lassen heute ihre Fürsorge walten, bis ein Mittagessen auf unserem Tisch steht?

Gehen wir einmal davon aus, der Landwirt hatte 2 Helfer (3), dann kommt der Transporteur zum Großhandel (1), dort wird die Ware von jemandem entgegengenommen (1) und anschließend den Bestellungen nach wieder kommissioniert (1), dann wiederum von einem Transporteur abgeholt (1) und zum Supermarkt gebracht, wo Sie wiederum von jemandem abgenommen und einsortiert wird (1) bis der Einkäufer kommt und beim Kassierer (1) dafür bezahlen muss. Wir kommen auf 9 Personen. Wenn unser Mittagessen zirka 20 Zutaten beinhaltet, und der Erzeugerprozess für jede einzelne Zutat geleistet werden muss, dann kommen wir für ein normales Mittagessen auf zirka 180 Personen.

Wenden wir auf diese Überlegung die poetische Vorstellungskraft Goethes an, so entsteht die Freude, wenn uns die Fürsorge von 180 Personen für ein gewöhnliches Mittagessen bewusst wird. Denn diese menschliche Fürsorge verspeisen wir immer mit.

Florian Reistle
Koch, Diätassistent und Heilpraktiker
Weilheim
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