Grundrechtswidrige Erhebung von Straßenbau­beiträgen erfordert Aufstand der Hausbesitzer

Cartoon Straßenausbaubeitrag Pfeffer

Wo ist da der besondere Vorteil für die Grundstückseigentümer? (Cartoon: Hubert Pfeffer)

Zur Entscheidungsverweigerung des Bundesverfassungsgerichts

Nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen die grundrechtswidrige Erhebung von Straßenbaubeiträgen in nicht nachvollziehbarer Weise verweigert hat, müssen die Hauseigentümer bundesweit aufstehen, um die sachlich notwendige Finanzierung der Straßensanierung aus dem Steueraufkommen gesetzlich regeln zu lassen.

Straßen werden von der Allgemeinheit und nur zu einem geringen Teil von den anliegenden Hausbesitzern genutzt und abgenutzt. Örtliche Verkehrswege werden in der Fachsprache als „öffentliche Güter“ bezeichnet, die eine individuelle Nutzen- oder Vorteilszurechnung nicht möglich machen und die deshalb aus dem Steueraufkommen zu finanzieren sind. Die Belastung der Hauseigentümer mit Straßenbaubeiträgen zur Sanierung der Straßen ist aus diesem Grunde erstens sachlich falsch und zweitens ungerecht. Die Hausbesitzer werden mit Kosten belastet, für deren Entstehung sie nicht verantwortlich sind. Und sie werden gegenüber der Allgemeinheit der Straßennutzer benachteiligt, die die Straßen primär abnutzt, für die Sanierung aber nicht belastet wird. Diese Ungleichbehandlung verstößt eindeutig gegen Artikel 3 Grundgesetz.

Trotzdem hat das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, die sich gegen diesen Grundrechtsverstoß richtete, begründungslos mit der gesetzlich erlaubten Ausrede gemäß §§ 93b und 93a BVerfGG verweigert, dass es sich nicht um eine grundsätzliche verfassungsrechtliche Frage handle oder dass der Beschwerdeführer von der „Nichtannahme“ der Verfassungsbeschwerde keine erheblichen Nachteile erfahre. Die Verfassungsbeschwerde sei deshalb „unzulässig“(!).

Beide Unterstellungen des Bundesverfassungsgerichts sind aber nicht stichhaltig. Erstens handelt es sich bei der Benachteiligung durch die Erhebung von Straßenbaubeiträgen um einen Verstoß gegen Grundrechte, die das wichtigste Element der Verfassung sind. Die Gleichbehandlungsforderung des Artikels 3 Grundgesetz ist ferner die wichtigste Verfassungsregelung für das Steuer- und Abgabenrecht! Die Verfassungsbeschwerde richtete sich also gegen die Missachtung grundsätzlicher Verfassungsrechte. Zweitens ist auch die »Behauptung« falsch, dass der Beschwerdeführer durch die „Nichtannahme“ keine erheblichen Nachteile erleide. Wenn man nur unterstellt, dass sich die Kosten für einen Meter Straßenfront auf 1.000 € belaufen, würde der Beschwerdeführer einen Straßenbaubeitrag von zirka 20.000 € zahlen müssen – für eine Straßensanierung zudem, die er nicht verursacht hat. Zu bedenken ist dabei ferner, dass diese diskriminierende Belastung alle 20 bis 30 Jahre neu auf die Hauseigentümer zukommt und dass davon Millionen von Hausbesitzern betroffen sind.

Die unbegreifliche Entscheidungsverweigerung des Bundesverfassungsgerichts lässt sich nur durch eine interessengeleitete Beeinflussung erklären, da die notwendige positive Entscheidung des Gerichts für die Kommunen bundesweit erhebliche finanzielle Konsequenzen und eine Neuverteilung des Steueraufkommens zwischen Bund und Ländern/Kommunen zur Folge haben müsste. Diese sachlich notwendigen und gerechten Folgen können jedoch Grundrechtsverstöße nicht rechtfertigen. Bemerkenswert ist, dass der verwaltungsrechtliche(!) Propagandist der Straßenbaubeiträge, Professor Driehaus, schon Monate vor der Mitteilung der angeblichen „Unzulässigkeit“ der Verfassungsbeschwerde gegenüber einer Nürnberger Behörde erklärte, dass diese Verfassungsbeschwerde nicht erfolgreich sein werde. Es hat den Anschein, dass zwischen dem Verfassungsgericht und dem früheren Vorsitzenden eines Senats des Bundesverwaltungsgerichts, Professor Driehaus, Informationen ausgetauscht wurden. Dazu muss man wissen, dass die Verwaltungsgerichte die Straßenbaubeiträge seit Jahrzehnten auf der Grundlage einer falschen Konstruktion „besonderer Vorteile“ für die Hausbesitzer rechtfertigen. Sie vernachlässigen zum einen die Unmöglichkeit der Vorteilszurechnung im Falle „öffentlicher Güter“ und damit auch die Unmöglichkeit der Feststellung eines „besonderen Vorteils“ der Hausbesitzer. Sie vergleichen dar­über hin­aus nicht – wie es bei der Ermittlung eines „besonderen Vorteils“ der Gruppe der Hausbesitzer im Zusammenhang mit der Weiterbelastung der Sanierungskosten notwendig wäre – deren vermeintliche Nutzungsvorteile gegenüber den Vorteilen der Allgemeinheit der Straßennutzer. Sie vergleichen vielmehr die sachfremden angeblichen Grundstückswertsteigerungen an der sanierten Straße mit den gleich gebliebenen Grundstückswerten an nicht sanierten Straßen. Die behauptete Grundstückswertsteigerung an der sanierten Straße stellt dann den vermeintlichen „besonderen Vorteil“ dar. Eine solche Grundstückswertsteigerung durch die Straßensanierung gibt es aber nicht. Selbst wenn man eine Grundstückswertsteigerung unterstellte, würde sie den Wertverlust ausgleichen, der durch die Straßenabnutzung entstanden ist, so dass per saldo keine Wertsteigerung eintritt. Noch entscheidender aber ist, dass die Grundstücke – und ganz besonders die Grundstücke an der nicht sanierten Straße – die Notwendigkeit der Sanierung nicht zu verantworten haben. Grundstücke sind im Falle der Straßensanierung daher als Vergleichsmaßstab für die Ermittlung von Vorteilen nicht zulässig.

Dr. Ernst Niemeier

Dr. Ernst Niemeier
Autor der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1892/11

Es gibt also keine „besonderen Vorteile“ für die Hausbesitzer, die Voraussetzung für die Berechtigung wären, Beiträge zu erheben. Da das örtliche Verkehrsnetz ferner ein „öffentliches Gut“ ist, für das Nutzungs- oder Vorteilszurechnungen grundsätzlich praktikabel nicht möglich sind, können auch „besondere Vorteile“ gar nicht ermittelt werden. Aus diesem Grunde ist es zwingend, die Straßensanierung aus dem Steueraufkommen zu finanzieren. Diese Zusammenhänge kennen Verwaltungsrechtler offenbar nicht. Sie sind aber möglicherweise trotzdem in der Lage, Verfassungsrechtler zu einer nicht nachvollziehbaren Ausweichentscheidung zu verführen.

Weil das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall seine wichtigste Aufgabe verletzt hat, die Bürger vor der Verletzung ihrer Grundrechte zu schützen, müssen die Hausbesitzer nun massenhaft aufstehen und von den Politikern die Einhaltung der Grundrechte fordern. Sie müssen von den Politikern fordern, dass die Straßensanierung aus dem Steueraufkommen finanziert und dies eindeutig gesetzlich geregelt wird.

 

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