Schatzbriefe zum Nulltarif

Das gab es noch nie. Bei der gestrigen Versteigerung von zweijährigen Bundesschatzbriefen mit einem Kupon von 0,0% konnte die Finanzagentur ein Rekordergebnis erzielen. Gegen einen Abschlag von 0,07% kann sich der Bund nun 4,5 Milliarden Euro zinslos von privaten Investoren leihen. Marktbeobachter gehen bereits davon aus, dass in den nächsten Monaten für deutsche Staatsanleihen sogar Negativzinsen erzielt werden könnten. Was vordergründig ein Grund zur Freude ist, weist jedoch auf eine tiefe Verwerfung des Finanzsystems hin. Offenbar spekulieren die Finanzinstitute auf einen Kollaps der Eurozone – anders ist die Flucht in den sicheren Hafen „Bundesschatzbrief“ nicht zu erklären.

Der bei Politikern beliebte Satz vom vermeintlich fehlenden Vertrauen der „Finanzmärkte“ in den Staat sollte nach den jüngsten Entwicklungen auf den Märkten für Staatsanleihen endgültig auf dem – mittlerweile überbelegten – neoliberalen Phrasenfriedhof begraben werden. Der deutsche Staat leiht sich mittlerweile Geld, ohne dass er dafür Zinsen zahlen muss. Bei Geldmarktpapieren mit sechsmonatiger Laufzeit (Schatzwechsel) konnte der Bund bereits vor einigen Wochen eine Negativrendite von 0,01% erzielen – die Gläubiger geben dem Bund also de facto Geld, damit sie ihm noch mehr Geld leihen können. Für die langfristigen zehnjährigen Anleihen zahlt der Bund momentan 1,77% Zinsen. Das ist niedriger als die Zielinflation und entspricht somit einem negativen Realzins. (…)

Wer das Mysterium der zinslosen Bundesschatzbriefe erkunden will, wird die Antwort nicht durch rationale, sondern durch irrationale Erwägungen finden. Es gibt eine Käuferklientel, die sich durch den Besitz deutscher Staatsanleihen eine besondere Sicherheit verspricht. Dies sind reiche Privatpersonen und Unternehmen aus den Ländern, die auf der Angriffsliste der Spekulanten stehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, ist durchaus real. Und aus heutiger Sicht besteht auch eine – wenn auch kleine – Wahrscheinlichkeit, dass in zwei Jahren, also dann, wenn der eingangs genannte Bundesschatzbrief ausläuft, auch in Ländern wie Italien, Spanien, Portugal oder Irland der Euro nicht mehr das einzige Zahlungsmittel ist. Bei einer Währungsreform werden jedoch in der Regel sämtliche Konten in die neue Währung umgewandelt. Der deutsche Staat wird seine Schulden jedoch immer in einer harten Währung zurückzahlen, egal ob sie nun Euro oder – was sehr unwahrscheinlich ist – DMark heißen wird. (…)

Was uns heute als »gute Nachricht« für Deutschland verkauft wird, ist bei näherer Betrachtung also alles andere als eine gute Nachricht – weder für Deutschland noch für Europa. Es wird schon wieder spekuliert und gezockt, was das Zeug hält. Diesmal spekuliert man auf den Zusammenbruch der Eurozone und die größten Krisentreiber sind die Profiteure. (…)

Von Jens Berger, Nachdenkseiten

 

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