Weilheim: Seenot-Rettung ist kein Verbrechen

Kleine Papierboote auf einer Plane – von Kindern gefaltet und von Erwachsenen beschriftet

Als letzte Aktion rund um die »Interkulturelle Woche« und den »Tag des Flüchtlings« am 28. September setzte der Weilheimer Unterstützerkreis Asyl am Freitag, den 5. Oktober, ein Zeichen für Menschlichkeit.

Ein Schlauchboot, in dem Flüchtlinge über das Mittelmeer gekommen waren, wurde auf dem Weilheimer Kirchplatz mit Unterstützung des THW aufgepumpt und gezeigt. In dem 11 Meter langen, 3 Meter breiten und 130 kg schweren Boot haben bis zu 150 Personen Platz und als am späteren Nachmittag 60 Weilheimer*innen einstiegen, machte sich sehr schnell ein beklemmendes Gefühl der Enge unter den Anwesenden breit. Es kann nur eine ungefähre Ahnung davon geben, wie es sein muss, dicht gedrängt, voller Angst, mit vielen Menschen gemeinsam in einem schwankenden Boot mitten auf dem Meer zu sitzen.

Es sind bei Weitem nicht nur Männer, die über das Meer fliehen, sondern auch Frauen und Kinder. Laut Vereinten Nationen sind mindestens 50 Prozent der Fliehenden Frauen und Mädchen. Sie fliehen meist allein, da Ehemänner, Väter und Brüder gefangengenommen oder getötet wurden oder selbst in Kriegen kämpfen.

In eindrucksvollen Worten erzählte Herr Friedrich Reich vom Seenotrettungsverein »resqship« in Augsburg von seinen Rettungseinsätzen auf dem Mittelmeer. Von seinen Gefühlen, wenn es gelingt, Menschen, die oft nicht schwimmen können, zu retten und an Land zu bringen oder wenn vor seinen Augen die Menschen ertrinken. Humanitäre Gründe waren ausschlaggebend, warum er sich zu dieser Tätigkeit entschloss, die politische Dimension wurde ihm mit der Zeit jedoch immer bewusster: Es macht sich jeder mitschuldig am Tod der im Mittelmeer ertrunkenen Menschen, der eine solche Politik der Abschottung unterstützt.

Ein seit 3 Jahren in Weilheim lebender pakistanischer Asylsuchender erzählte anschließend von seiner eigenen Flucht über das Meer. Da wurde es, genauso wie bei den Schilderungen des Kapitäns, sehr ruhig auf dem Platz.

Rund um das Boot gab es Informationen über das Menschenrecht auf Asyl, die aktuelle Situation in Europa und im Landkreis sowie über Unterstützungsmöglichkeiten. Auf Stellwänden wurden Bilder von Rettungsaktionen auf dem Mittelmeer gezeigt, aus dem Buch »Beyond survival – Flucht.Ankunft.Zukunft. Kinder erzählen ihre Geschichte« vorgelesen. Zudem wurden Papierboote gefaltet und mit Wünschen, Hoffnungen und Gebeten beschriftet. Diese legten die Anwesenden am Ende der Veranstaltung während eines ökumenischen Gebets von Dekan Axel Piper und der katholischen Pfarrhelferin Gudrun Grill auf einer großen blauen Plane nieder.

Das Boot steht als Symbol für die vielen, vielen Menschen, die auf der Flucht vor Gewalt, Verfolgung, Krieg und Armut ihr Leben verloren haben und unter anderem im Mittelmeer ertrunken sind (seit Anfang 2018 bereits über 1500 Personen!) Das Flüchtlingsboot als Mahnmal erinnert daran, wie sich die Situation an den Außengrenzen Europas leider in den letzten Jahren nicht verbessert hat. Sondern im Gegenteil: Die vielen Ertrunkenen erinnern daran, dass sie von der Politik als Kollateralschaden der Abschottung Europas hingenommen werden.

Schlauchboot-Aktion auf dem Kirchplatz als Zeichen für Menschlichkeit

Die Seenot-Rettung darf nicht kriminalisiert, sondern muss als eine humanitäre Pflicht gesehen werden! Eigentlich sagt es jedem der gesunde Menschenverstand, dass Menschen in Not gerettet werden müssen, ganz gleich, warum sie in diese Notlage gekommen sind. Das sollte humanitärer und menschlicher Grundkonsens sein. Das Sterben auf dem Mittelmeer darf nicht weiter so hingenommen werden und gar politisch gewollt sein.

Der Nachmittag auf dem Weilheimer Kirchplatz war nicht die einzige Aktion des Weilheimer Unterstützerkreises zum Tag des Flüchtlings. Am 28.09. zeigte er im Starlight Kino den Film »Seefeuer«, einen italienischen Dokumentarfilm von Gianfranco Rosi. »Seefeuer« verschränkt den beschaulichen Alltag der Bewohner der Mittelmeerinsel Lampedusa mit dem Sterben und Überleben von Flüchtlingen an den Rändern der Insel. Der Regisseur filmte ein Jahr lang auf Lampedusa und zeigt ein Nebeneinander paralleler Welten, das zur Metapher für Europa wird: Hier der beschauliche Alltag der Insulaner, dort die täglichen Tragödien der Flüchtlinge, die übers Meer kommen.

Dieser Kontrast zweier Parallelwelten in unmittelbarer Nachbarschaft wird zum Synonym für den Abgrund, der sich am Rande unseres europäischen Alltags auftut. Das Sterben und Überleben von so vielen tausend Menschen spielt sich gewissermaßen vor der Haustür ab und scheint doch unendlich weit entfernt.

»Seefeuer« wurde als bester Film der 66. Berlinale 2016 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet.

Die Begründung der Jury lautete damals: „Angesichts dieser parallelen Struktur und angesichts der zum Teil schwer auszuhaltenden Bilder von den Flüchtlingsbooten rüttelt der Film an den eigenen Positionen und vor allem hinterfragt er die eigene Verantwortung (…) die Protagonisten werden zum Spiegel unseres Verhaltens in Westeuropa zwischen Machtlosigkeit und Ignoranz. Und weil dieses Verhalten vorherrscht, wird im sicheren, reichen Westeuropa über Zahlen und Herkunftsländer, über Bleiberecht und Fluchtmotivationen debattiert (…)“

Bei der Preisverleihung sagte der Regisseur: „Wir leben in einer Welt, in der gerade viele Mauern und Grenzen gezogen werden. Am meisten habe ich Angst vor den geistigen Grenzen, die hochgezogen werden.“

Das war im Februar 2016, wir befinden uns jetzt im Herbst 2018 – es hat sich nichts zum Positiven geändert.

Wir sagen ganz klar: Seenot-Rettung ist kein Verbrechen! Wir brauchen eine europäische Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik, die sich an den Werten, auf welche sich die EU gründet, orientiert: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Dafür wird sich Asyl im Oberland weiter einsetzen.

Ingeborg Bias-Putzier
Asyl im Oberland, UK Weilheim

 

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