
Personen: Karin (60) und Robert (62) Wegener und Karins Bruder Heinz (68) als Wochenendgast auf der Terrasse vom Haus der Wegeners in Raisting
H: (drückt Karins linke Hand) Karin, dein Apfelkuchen schmeckt noch besser als der von unserer Mutter.
K: Bist immer noch ein großer Charmeur, Heinz. Aber du täuscht dich, er ist ganz nach ihrem Rezept gemacht.
R: Ja, Heinz, Karin kommt in Sachen Kochen und Backen ganz nach ihrer Mutter. Dabei ist ihre Küche fast so einfach angelegt, wie die Küche eurer Mutter einst war.
H: Angesichts des himmlischen Apfelkuchens aus einfacher Küche und einer zwischen euren Obstbäumen gerade noch sichtbaren Antenne von der Erdfunkstelle, überfällt mich der Gedanke, dass wir auf so manchen technischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte glatt verzichten könnten.
R: Da kann ich dir nur zustimmen, Heinz. Aber letztendlich ist es oft nicht möglich, dem technischen Fortschritt aus dem Weg zu gehen, wir sind von ihm ja regelrecht eingekesselt.
K: Und er hat etwas von einer Walze an sich, die sich verselbstständigt hat.
H: Walze passt gut, Karin. Denn viele Elemente unseres Fortschritts richten zunehmend Schäden an und sind von uns kaum mehr zu beherrschen.
R: Denkst du dabei vor allem ans Auto?
H: Keinesfalls, Robert. Du, ich wüsste auch gar nicht so recht, was ich da als erstes anführen sollte. Ich kann es mir aber einfach machen und sagen, dass sich unser Wohlstand im Laufe der Jahrzehnte zu einem Schadstand entwickelt hat.
K: Bravo, Heinz! Zutreffender kann man die Situation der modernen Welt nicht beschreiben. (lehnt sich zu ihrem Bruder hinüber und drückt ihn an sich)
R: Ja, Heinz, ich bin ja an meinem Arbeitsplatz in der Erdfunkstelle von vielen Topleuten umgeben und manchmal reden wir auch über unsere moderne Welt. Diese Gespräche verlaufen allerdings in aller Regel oberflächlich und enden manchmal geradezu kläglich, weil an so einem Arbeitsplatz System- und Gesellschaftskritik von den meisten als unpassend empfunden wird.
H: Kann ich mir gut vorstellen, Robert. Ja, Teile der Menschheit sind in einer Art Blindflug unterwegs. Getrieben vom zunächst positiven Forscher- und Erfindergeist haben sie allzu oft Grenzen aus den Augen verloren, Langzeitwirkungen nicht bedacht und auch nicht daran gedacht, dass Forschung und Entwicklung immer eine positive und negative Komponente beinhalten.
K: Super, mein großer Bruder! Ja, fast aller Fortschritt der letzten Jahrzehnte läuft uns aus dem Ruder, sodass wir zunehmend mit Folgenbewältigung beschäftigt sind. Allein das Burn- out-Syndrom weist doch darauf hin, dass uns unsere moderne Welt zu viel wird.
R: Die schlimmste Folge ist vielleicht, dass immer mehr junge Menschen nicht mehr mitgehen wollen. Sie streben ein Leben im Einklang mit der Natur an und wollen sie nicht länger mit Werken des Forscher- und Erfindergeistes beherrschen.
K: Was mich inzwischen geradezu irritiert, ist, dass wir immer mehr Strom benötigen, dass die neuen technischen Fortschritte ohne Ausnahme stromgetrieben laufen – eine Entwicklung, die auf den ersten Blick zwar grün wirkt, aber inzwischen riesige Solarfelder und himmelhohe Windräder nach sich zieht, die das Land verschandeln.
H: Ja, Karin, für das Bewegen der winzigen Elektronen zahlen wir einen hohen Preis; und gerade diese Fortschrittsebene zeigt deutlich auf, dass sich die Menschheit verrannt hat.
R: Haben wir überhaupt noch eine Chance, den vor langer Zeit eingeschlagenen Weg zu korrigieren bzw. sind wir überhaupt in der Lage, eine zukunftsfähige Richtung einzuschlagen?
K: Männer, es ist tragisch, denn führende Köpfe der Gegenwart wollen ja gar keinen neuen Weg, sie wollen nur, dass wir mit neuer Technik die alte Richtung halten. Diese Köpfe, Männer, haben es einfach nicht im Kreuz, unsere Zukunft ohne ihr festgefahrenes Denken ins Auge zu fassen.
H: Karin, unsere Zukunft unbelastet ins Auge zu fassen, ist vielen unter uns leider gar nicht möglich.
K: Ach, Männer, wir müssen es trotzdem schaffen!
Guggera
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