Im Energierausch

Die Oberammergauer Veronika und Hans Neuner mit ihrer Enkelin Sara Kerscher (Studentin in Berlin) im Eiscafé Dolomiti

S: Also, Opa, ich hätte nicht gedacht, dass immer noch so viele Gäste mit dem Auto zu euch kommen. Der Ort ist ja überfüllt mit Nummern aus ganz Deutschland.

H: Ich kapier das auch nicht, wir sind doch mit der Bahn gut erreichbar, oder?

S: Ich war gestern nach nicht einmal acht Stunden Fahrt bei euch.

V: Benzin und Diesel sind immer noch zu billig, Sara.

S: Du, Oma, ich glaub, da steckt letztlich etwas anderes dahinter. Die Leute haben immer noch kein Gespür dafür, welche Auswirkungen der Einsatz von Energie mit sich bringt.

H: Mein’ ich auch. Die moderne Welt hat sich in den letzten Jahrzehnten in einen Energierausch gestürzt. Wenn ich nur daran denke, wie die Leute hier und im ganzen Land noch in den Siebzigern gelebt haben; fast alles wurde von Hand erledigt.

V: Genau, und heute brummen überall Motoren.

H: Und die Wartezimmer sind voll mit Übergewichtigen.

S: Ich weiß ja nicht, ob ihr den Macron Ende vergangenen Jahres mitgekriegt habt, als er sich geradezu euphorisch an sein Volk gewandt und gelobt hat, dass die Franzosen mit ihm nie in Energienot geraten werden, weil er sie mit neuartigen Atommeilern davor bewahren will.

V: Ich hab das nur in unserer Zeitung gelesen und mich erschrocken bekreuzigt.

S: Das wird vermutlich nicht viel nützen, Oma. Der Macron beflügelt alle, die im Energierausch weiterleben wollen; im Energierausch, wie der Opa so treffend gesagt hat.

H: Ja, ich fürcht’ auch, dass man diesen Rausch mit dem Kreuz nicht aus der Welt schaffen kann. Das ist wie mit jeder anderen Sucht, man rutscht leicht hinein, findet aber nur schwer heraus.

V: Also ich mein’ ja, dass die Natur der Menschheit immer deutlicher sagen wird, dass sie zu einem bescheideneren und weniger aufwendigen Leben zurückfinden muss.

S: Richtig, Oma! In Berlin gibt es inzwischen ganze Gruppen von Leuten, die sich mit wenig Wohnraum zufrieden geben, die also wenig heizen, die nur ein gemeinsames Auto haben und sich fast ausschließlich mit Lebensmitteln aus der Region versorgen.

V: Sehr gut, Sara. Ich mein’ aber auch, dass unsere neue Regierung Schluss machen muss mit dem Wachstumsdenken und der Strom fressenden Computerisierung des Landes, in die uns die alten Regierungen hineingeritten haben.

S: Sehr gut, Oma! (beugt sich zu ihr hinüber und küsst sie auf die Wange)

H: (nickt den beiden schelmisch lächelnd zu) Vielleicht, ihr zwei, brauchen wir in Zukunft nur mehr Frauen wie euch in der Politik.

Guggera

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