Stolz auf Schongau: Wir trotzen der Strabs!

Kommentar

Das mit dem Stolz ist ja so eine Sache. Es gibt kaum einen dümmeren Spruch als den der Neonazis vom »Stolz, ein Deutscher zu sein«, also Stolz auf eine naturgegebene Zugehörigkeit. Andererseits ist Stolz eine natürliche emotionale Reaktion auf eine zufriedenstellende eigene Leistung.

Nun haben sich Schongauer Bürger in den letzten Wochen auf die Straße begeben und ihren Unmut über die Straßenausbaubeitragssatzung (Strabs) zahlreich und lautstark Ausdruck verliehen. Sie waren damit nicht nur auf der kommunalen Ebene erfolgreich, denn der Stadtrat hat sich gegen die Einführung entschieden, sondern haben überregionale Aufmerksamkeit und Beachtung gefunden. Man könnte fast sagen: Schongau, die Speerspitze des bayerischen Strabs-Widerstandes!

Das ist nicht nur um der gemeinsamen Sache willen gut, sondern auch, weil es zeigt, dass es andere Formen des Protestes gibt als in dummdeutscher Duckmäusermentalität heimlich eine rechte Partei zu wählen.

Allen Schongauern und allen Bürgern aus Nachbargemeinden, die hier Flagge gezeigt haben, sei Respekt gezollt! Wie ist das aber nun mit dem Stolz auf Schongau? Zugegeben – ich freue mich sehr! Hätte man mich vorher gefragt, ich hätte diese Welle des Widerstandes nicht für möglich gehalten. Mit Stolz hat das aber weniger zu tun. Seien wir ehrlich: Hätte es diesen Protest auch gegeben, wenn es nicht (nur) um den eigenen Geldbeutel gegangen wäre? Und war unser Protest nicht auch dadurch begünstigt, dass er zunächst einen eindeutigen Adressaten nämlich den Stadtrat mit dem Bürgermeister an der Spitze hatte? Was, wenn es um den akuten Pflegenotstand in den Alten- und Pflegeheimen ginge oder die beginnende Klimakatastrophe, um nur zwei gruselige Beispiele zu nennen?

Es wäre gut, wenn vom Kampf gegen die Strabs ein Signal ausginge: Es kann sich nämlich lohnen, nicht alles hinzunehmen. Nicht nur, wenn sich der Erfolg einstellt. Nicht nur, wenn es um Ungerechtigkeiten geht, die einen unmittelbar selbst betreffen. Nicht nur, wenn es einen leicht identifizierbaren Gegner gibt. Widerstand lebt vor allem davon, dass man sich selbst und seinem Gerechtigkeitsempfinden treu bleibt und damit nicht alleine ist. Vergessen wir bitte nicht, dass wir mit unserem Widerstand im Normalfall nicht Knast oder gar das Leben riskieren. Das ist ein Privileg, um das uns viele Menschen beneiden dürften. Ganz nebenbei halten wir das, was wir Demokratie nennen, mit der Aufgabe unserer Gleichgültigkeit und der Aktivierung von Bürgerbeteiligung am Leben. Dann kann sich auch mal Stolz einstellen.

Oliver Koch
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