Ernährungskultur heute: Das Obst und Gemüse – Jungbrunnen nach Jahreszeit (10)

Florian Reistle Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Florian Reistle
Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Durch unsere täglichen Mahlzeiten sind wir in einen größeren Ernährungs-Kreislauf eingebunden und von ihm abhängig. Dieser Kreislauf wird von Conrad Ferdinand Meyer in seinem Gedicht »Der römische Brunnen« auf meta­pho­­­­­rische Weise sehr schön beschrieben:

Aufsteigt der Strahl, und fallend gießt
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfließt
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.

Das ganze Jahr über »strömen« uns verschiedenste Lebensmittel in unseren Mahlzeiten entgegen. Getreide ist das ganze Jahr über verfügbar in Form von Brot, Nudeln, Graupen usw. Gemüse und Obst haben da schon einen etwas flüchtigeren Charakter und sind nicht jederzeit vorhanden. Stellt das Getreide das solide und tragfähige Fundament unserer täglichen Ernährung da, so bereichert das saisonale Obst & Gemüse unsere Mahlzeiten, wie eine schöne und heitere Melodie ein Lied bereichert (natürlich sind Milchprodukte, Fleisch, Fisch, Nüsse & Öle, Hülsenfrüchte und Kräuter sowie Gewürze auch noch bereichernd vorhanden).

Saisonales Obst und Gemüse lassen uns intensiv an den Jahreszeiten teilnehmen. So betrachtet sind sie die fröhlichen und lebensvollen Botschafter von Frühling, Sommer, Herbst und Winter.

Im Frühling kündet z. B. der sauer-frische Rhabarber das Ende des Winters und den beginnenden Sommer an. Auch Spinat mit seinem herben und ernsten Geschmack wächst schon früh im Jahr bei verhältnismäßig niedrigen Temperaturen.

Im Sommer ist dann explosionsartig eine ganze Fülle an Produkten verfügbar: seien es beim Obst die süß-sauren Beeren, wie z. B. Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren, Stachelbeeren, Brombeeren, Heidelbeeren; oder das Steinobst wie Kirschen, Mirabellen, Pfirsiche usw. Beim Gemüse finden wir Blattsalate, Mangold, Tomaten, Paprika, Karotten, Zucchini, Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli. Fast alle dieser Lebensmittel sind nur relativ kurze Zeit lagerfähig und verderben dann recht schnell.

Im Spätsommer/Frühherbst kommen dann Sorten hinzu, die eine längere Reifungszeit benötigen; Lauch, Zwiebeln, Sellerie, Kürbis, Pastinaken, Rote Beete; beim Obst sind nun Birnen, Äpfel, Zwetschgen reif; dafür allesamt aber auch länger lagerfähig.

Im Spätherbst ergänzen unsere heimischen Kohlsorten den saisonalen Speiseplan: Weißkraut, Blaukraut, Spitzkraut, Wirsing wie auch Grünkohl und Rosenkohl, die beide vor der Ernte sogar einen Frost benötigen.  Diese Sorten sind deutlich robuster als ihre »Kollegen« im Sommer und dadurch auch bis weit in den Winter hinein lagerfähig.

Wie »Die Vier Jahreszeiten« von Antonio Vivaldi könnte man sich diesen bunten Reigen der Natur vorstellen: das Getreide bildet das ständig vorhandene stabile Fundament; etwa vergleichbar mit Schlagwerk, Bass und Bläsern; Gemüse und Obst entsprechen dann den Streichern und Flöten, deren heitere und flüchtige Melodie sich auf das Fundament setzt und schnell wechselnd immer wieder in eine andere Richtung führt.

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