Ernährungskultur heute: Kochkunst am Kochtopf (6)

Florian Reistle Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Florian Reistle
Koch, Diätassistent und Heilpraktiker, Weilheim

Was ist eigentlich Kochkunst …?!

Geschafft! Abgeschlagen vom langen Arbeitstag sitze ich zu Hause mit einer Tasse Schwarztee. Wie üblich gebe ich einen guten Schuss Milch in den Tee und beobachte was passiert. Helle Milchwolken türmen sich auf, ringen mit dunklen Teewolken um die Vorherrschaft, überwerfen sich gegenseitig; erst schneller, dann immer langsamer, bis sich die Unruhe im Tee und in meinem Kopf gelegt hat. Warum wirkt das immer so beruhigend? Khalil Gibrans wunderbare Worte kommen mir in den Sinn: „Denn im Tau der kleinen Dinge findet das Herz seinen Morgen und seine Erfrischung“ …

Sich Zeit für das Kochen zu nehmen, ist heute keine Selbstverständlichkeit. In unserer wirtschaftlich dominierten Gesellschaft werden Tätigkeiten, die kein Einkommen generieren, wie z. B. eine Mahlzeit kochen, leider oft als nur wenig wertvoll eingestuft. Dabei könnte gerade die Verbindung von Kochen und Kunst – die Kochkunst – eine reizvolle und zugleich entspannende kreative Beschäftigung sein und der Nahrungszubereitung neuen Sinn und Stellenwert verleihen.

Vor einiger Zeit besuchte ich einen Kunstworkshop. Ein Maler erzählte, dass einer Stunde malen an der Leinwand, acht Stunden beobachten am Objekt vorausgehen. Sich Zeit für eigenständige Wahrnehmungen zu nehmen, scheint also eine wichtige Voraussetzung zu sein, um künstlerisch tätig zu werden. Was lässt sich beim Kochen alles beobachten?

Zunächst lässt sich der Kochprozess in drei Stufen teilen: das Waschen und Putzen am Waschbecken, das Schneiden und Zerkleinern auf der Arbeitsplatte und zuletzt das »Verwandeln« am Herd durch die Wärme.

Das Waschen der Lebensmittel hat nicht allein eine reinigende Wirkung von Erde und Staub, sondern darüber hinaus auch eine neu belebende oder erfrischende Wirkung auf das Lebensmittel. Ist der Salat schon leicht schlaff und weich geworden, so wirkt er nach dem Waschen wieder kräftiger und fester.

Das Schneiden oder »Zupfen« gibt dem Salat nun die vom Koch gewählte Form. Diese Form fügt sich ganz besonders dann harmonisch in ein Gericht ein, wenn es mit den restlichen Zutaten in einer Beziehung steht. Zum Beispiel könnte Salat klein geschnitten werden, wenn die restlichen Teile eines Gerichtes eher groß sind; oder der Salat wird in größere Blätter gezupft, wenn ansonsten kleine Formen vorherrschen … usw.

Der spannendste Bereich ist dann sicherlich das »Verwandeln« der Speisen durch Wärme. Bei Teigwaren wird es ja sehr deutlich, wie die Wärme mit Hilfe von Wasser die harten geruchlosen »stumpf-farbigen« Nudeln in elastische duftende gelb-leuchtende Pasta verwandelt. Aber wie kann man diesen Wärmeprozess nun beim Salat beobachten?

Auch der Salat wird durch Salz und Essig auf sanfte Art »gegart«. Wird angemachter Salat nämlich längere Zeit stehen gelassen, so wird er welk und fällt in sich zusammen – und verhält sich damit genau so, als würde er gekocht werden. Salz und Essig können demnach wie ein sanfter Garprozess betrachtet werden, der die Rohkost auf schonende Art für die Verdauung vorbereitet.

Wenn das Kochen für uns wieder attraktiv und interessant werden soll, dann kommen wir – meiner Ansicht nach – nicht um eine Verbindung mit der Kunst herum, die alles belebt, veredelt, anhebt und sogar zum ganzheitlichen Heilmittel werden kann.

Die Kochkunst ist dann nichts Exklusives, das nur von wenigen begabten Individuen in Museen ausgestellt wird, sondern die Kochkunst passiert dann jeden Tag in unseren Kochtöpfen. Wenn wir ihr nur unsere Aufmerksamkeit schenken.

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