Volkszählung: Widerstand bisher gering

Jürgen Arnold

Jürgen Arnold, Oberhausen

Volkszählung 2011 – alles andere als harmlos

Mit seinem ZensG 2011 hat der Gesetzgeber für das nächste Jahr eine Volkszählung vorbereitet. Im Gegensatz zur Volkszählung 1987 gibt es sehr wenig Proteste dagegen. Heißt dies, dass die Datenerfassung rechtlich unbedenklich ist? – ich meine: NEIN!

Ein langjähriger Freund von mir, der italienische Rechtsprofessor Dr. Mario Losano, eröffnet seine Vorlesung zum Datenschutz gerne mit der provokanten Frage: „Was für einen Sinn hat denn Datenschutz noch in einer exhibitionistischen Gesellschaft?“ In die gleiche Richtung ging die Antwort einer jungen Journalistin, die mich neulich für den BR »Zündfunk« zur Volkszählung interviewte, als ich sie nach Ende der Aufzeichnung zu ihrer eigenen Meinung befragte. Sie sei doch in so vielen Portalen wie »Facebook«, »Lokalisten« u. ä., dass man über sie öffentlich schon mehr wisse, als man anlässlich des Zensus 2011 wissen wolle. Bei der letzten Volkszählung war dies völlig anders. Wie viele Anwältinnen und Anwälte engagierte ich mich damals in der sog. Boykott-Bewegung gegen die Volkszählung 87. Meine Broschüre »Volkszählung 87« und die spätere Auswertung »Volkszählung – verzählt« (Verlag 2001) verkauften sich massenhaft. Ebenso massenhaft waren Informationsveranstaltungen zum Thema »Volkszählung« besucht. Man konnte mit Recht von einer breiten Bürgerbewegung gegen die unüberschaubare Datensammlung des Staates reden. Nach dem Zähltag wurden damals von einer Initiative 600 000 nicht ausgefüllte Fragebögen der Öffentlichkeit präsentiert.

Der SPIEGEL (16.03.1987) schrieb damals in seiner Titelstory zur Volkszählung ’87: „Denn bundesweit formiert sich derzeit eine Boykott-Bewegung, die das Volk zur Flucht vor der Volkserfassung aufwiegeln will. Die Befragungsgegner, die mit Hilfe des Verfassungsgerichts 1983 die damals geplante Totalerhebung verhindert haben, sind plötzlich wieder da, als hätten sie nur überwintert. In nahezu jedem Stadtteil, jeder größeren Gemeinde kommen regelmäßig Zählungsunwillige zu »Ini-Treffs« zusammen. Von einem Boykott-Ratgeber aus dem »Zweitausendeins-Versand« („Was Sie gegen Mikrozensus und Volkszählung tun können“) sind bereits 130 000 Exemplare verkauft worden.“

Die für 2011 beschlossene Zählung geht von den Fragestellungen weit über die von 1987 hinaus, dennoch gibt es bisher weit weniger kritische Stimmen, es zeigt sich bisher kein Ansatz von mehr als nur vereinzeltem Widerstand. Die staatliche Seite geht diesmal auch geschickter vor. Nur 10 Prozent der Bevölkerung werden persönlich befragt, ansonsten bedient man sich der vorhandenen, an unterschiedlichen Stellen gespeicherten Daten, um unter einer einheitlichen Kennzahl einen großen Datensatz über jeden Bürger unseres Landes anzulegen (so § 9 ZensG 2011). Sogar nach der Religionszugehörigkeit wird dabei gefragt. Zwar soll diese Superdatei spätestens in vier Jahren wieder gelöscht werden (§ 12 VIII ZensG 2011) – sie lässt sich aber auch beliebig erweitern, z. B. mit Hilfe von Google-Street-View oder anderen allgemein zugänglichen Daten. Dass staatliche Instanzen auf diese einmalige Chance einer Totalerfassung aller Bürgerinnen und Bürger aus Datenschutzgründen wieder verzichten, muss angesichts der schwachen Lobby des Datenschutzes bezweifelt werden. Man sollte meinen, dass ein solcher Versuch, eine Datei mit so umfassenden Persönlichkeitsprofilen anzulegen, dass davon die Stasi nur träumen konnte, Anlass genug sei für Proteste. Das ist aber nicht der Fall. Die beschriebenen freiwilligen Selbstdarstellungen in diversen Internetportalen haben wohl dazu geführt, dass selbst Bespitzelungen durch Suchmaschinen wie »google«, der »Elektronische Entgeltnachweis ELENA« und ähnliche Sammlungen von Privatheit schon fast als Selbstverständlichkeit hingenommen werden. Die Stasi sollte noch nicht vergessen sein. Aktuelle Skandale in Betrieben mit Bespitzelungen von Mitarbeitern über Videos und Mikrofone haben kürzlich dann doch für eine gewisse öffentliche Empörung gesorgt. Solche Vorfälle zeigen, wie anderes eine Datensammlung und Überwachung gesehen wird, wenn sie nicht freiwillig geschieht. Immer mehr wird inzwischen das freiwillig in »Facebook« und ähnlichen Portalen Gezeigte bei Bewerbungen genutzt – und das wohl selten zum Vorteil des Bewerbers. Eigentlich Grund genug, sich mit der Volkszählung 2011 rechtzeitig auseinander zu setzen. Welcher Protest ist adäquat? Wenn der Bundestagsvizepräsident a. D. Baum warnt, dass „ein Zwang die Gefahr befördert, dass die Leute Fantasie-Daten angeben“, so könnte hierin eine Anregung zu einem fantasievollem Umgang mit dem Zensus 2011 gesehen werden.

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