Agrarwende – Wunsch und Wirklichkeit

Demo in Berlin (Quelle: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de)

Seit 2011 organisiert die Initiative »Wir haben es satt« jedes Jahr eine Demo, wenn in Berlin die »Grüne Woche« stattfindet. Demonstriert wird dabei gegen Gentechnik, Tierfabriken, Dumpingexporte und für eine bäuerliche, ökologische Landwirtschaft – kurzum für eine Agrarwende.

Demo in Berlin (Quelle: Nick Jaussi/www.wir-haben-es-satt.de)

Dem Trägerkreis von »Wir haben es satt« gehören 59 Organisationen an, darunter z. B. Bioanbauverbände, kirchliche Organisationen sowie Naturschutzorganisationen. Dazu kommen dann noch Förderer, Medienpartner und Unterstützer. Bei der diesjährigen Demo wurde zeitgleich der »6-Punkte-Plan für die sozial gerechte Agrarwende und gutes Essen für alle« vorgestellt. Über 100 Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen – von Landwirtschaft über Umwelt- und Sozialbereich, Gewerkschaften und Lebensmittelhandwerk bis hin zu Erwerbslosen-Initiativen – appellieren an die Bundesregierung, das Grundrecht auf umweltgerecht hergestelltes Essen umzusetzen, faire Erzeugerpreise zu ermöglichen und gute Löhne zu sichern.

Doch es gibt auch immer wieder Gegenwind bezüglich der geforderten Agrarwende. So sah 2016 der seit 2012 amtierende Präsident des deutschen Bauernverbands Joachim Rukwied beim deutschen Bauerntag in Hannover die Landwirtschaft zu Unrecht in der Kritik. Er warnte davor, die deutsche Agrarwirtschaft mitten in der Marktkrise durch ein immer enger werdendes Regulierungs-Korsett zu ersticken: „Wir brauchen keine Agrarwende – die deutschen Bauern wirtschaften nachhaltig.“ So ist dies in einem Bericht im Merkur Online nachzulesen.

»Dramatischer Bauernhöfe-Schwund«

Die Zahl der Bauernhöfe geht allerdings stetig zurück. Hier die Entwicklung seit 1950 in Baden-Württemberg, die auf der Homepage von »MitWelt« mit der Überschrift »Dramatischer Bauernhöfe-Schwund«zu finden ist: „Um 1950 gab es landesweit noch viele zehntausende Betriebe, die kaum 5 Hektar bewirtschafteten, 5 – 10 Hektar bewirtschafteten noch 78.640 Höfe, 31.686 verfügten bis 20 ha und galten schon als stattlich; Großbauern waren jene 7.893 Höfe, die bis 50 ha bewirtschafteten – und nur 890 lagen noch darüber. Auch 10 Jahre später hatte sich kaum etwas verändert: man zählte in der gleichen Region insgesamt 334.241 Bauernhöfe, davon 215.909, die weniger als 5 Hektar bewirtschafteten, 70.640 mit 5 – 10 Hektar, 38.767, die über 10 – 20 Hektar verfügten, 8.276 mit 20 – 50 Hektar und gerade mal 649 die noch größer waren. Doch schon 11 Jahre später war vieles anders: Nur noch 215.430 Höfe insgesamt in Baden-Württemberg: fast 120.000 hatten aufgegeben. Und 2019 waren es nur noch 39.600 Betriebe! Nur 9.300 von ihnen bewirtschaften mehr als 50 Hektar, fast genau so viele (8.900) 20 – 50 Hektar; für die meisten der 21.400 Landwirte mit weniger als 20 Hektar Fläche ist die Landwirtschaft wohl ein Nebenerwerb; ihren Lebensunterhalt verdienen sie mit ihrer Arbeitsstelle weit außerhalb ihres Dorfes. Ihren dortigen Arbeitsplatz erreichen sie selten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, weshalb das eigene Auto oder eine Fahrgemeinschaft diese ersetzen.“

EU-Fördergelder für Agrarfabriken

Die EU trägt durch ihre Fördermittelvergabe zum Bauernhofsterben bei, denn der Großteil der Gelder geht nicht an die bäuerliche Landwirtschaft, sondern an riesige Agrar-Unternehmen. So findet sich in der 2013 vom BUND herausgegebenen Broschüre »Bauernhöfe statt Agrarfabriken« die Aussage: „Der wohl größte Profiteur dieser pauschalen Subventionsverteilung in Deutschland ist die KTG Agrar. Das ist kein Bauernhof, sondern ein börsennotiertes Unternehmen, einer der größten Agrarkonzerne Europas.“ Und weiter: „Der BUND fordert, dass die Direktzahlungen umverteilt werden zugunsten von kleineren Betrieben und für Betriebe mit besonders hohen ökologischen bzw. Tierschutz-Standards.“ Das Fazit des BUND im Jahr 2013: Die EU-Agrarpolitik führt zu „Überproduktion und sterbenden Höfen“.

Auch 8 Jahre später hört sich das in der BUND-Broschüre »Faire Erzeuger*innenpreise in der Landwirtschaft« dargestellte Subventionssystem nicht wirklich besser für die bäuerliche Landwirtschaft an. Unter anderem heißt es dort: „Mit diesen angestrebten Reformen bleibt die pauschale Flächenprämie, also die Bindung der Direktzahlungen an die Größe der landwirtschaftlichen Nutzfläche, weiterhin erhalten.“

Auch die Tagesschau berichtet im Dezember 2022 mit dem Titel: »Große Unternehmen bleiben Hauptprofiteure« über die Agrarsubventionen und stellt dabei fest: „Anders als versprochen profitieren noch immer große Unternehmen.

Es scheint so, als ob die Mitglieder der Initiative »Wir haben es satt« noch einen langen Atem haben müssen.

»Und es geht doch … Agrarwende jetzt!«

Ihren eigenen Weg zur Agrarwende haben Rudolf Bühler und die Bauern im Einflussgebiet der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall (BESH) bereits vor vielen Jahren eingeschlagen.
In seinem Film »Und es geht doch … Agrarwende jetzt!« zeigt der Filmemacher Bertram Verhaag wie Rudolf Bühler 1988 die Agrarwende im Hohenloher Land einleitete, stets weiterentwickelte und damit die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Situation der Menschen bis heute positiv beeinflusste. Durch die Direktvermarktung profitieren nicht nur die nahezu 1600 Bauernfamilien, sondern auch Metzger, Bäcker, Käser und Handwerker und somit die gesamte Region. Nachhaltige Landwirtschaft, tiergerechte Haltung, faire Preise für die Erzeuger und gesunde Lebensmittel für die Verbraucher sind das Ergebnis dieses außergewöhnlichen Projekts.

Sind Sie neugierig auf den Film geworden? Hier der Trailer zum Film.

Renate Müller, Schongau

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1 Kommentar

    • Roland Brendel, 82362 Weilheim auf 28. Februar 2023 bei 18:13
    • Antworten

    Die EU ist der falsche Adressat für soziale, menschengerechte Maßnahmen. Sie wurde von Händlern für bessere Gewinne gegründet. Nur das, und nur Das wird vorangetrieben. Alles andere sind Deckmäntelchen, um die “Kunden” der “Wähler” bei Laune zu halten. Im Geldhandel werden unvorstellbare Gewinne gemacht. Zahlt eine Bank für 100 angelegte Euro Einen, nimmt sie dafür beim Ausleihen z.B. 5 Euro ein. Bei einer Sparkasse mit jährlich ausgewiesenen Zinszahlungen von einer Million € sind das am Jahresende 5 Millionen €. Bei dem bewußt von den USA an der Börse zugelassenen Weizenhandel werden entsprechende “Mitnahmen” zu Lasten der hungernden Menschheit gemacht. Die kleinen Landwirte sind gut beraten, wenigstens die kleinen Margen im Lebensmittelendhandel sich zu nehmen.

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