B wie … Bestandsaufnahme

Irmgard Deml, Weilheim

Das Jahr 2019 neigt sich rasant dem Ende zu, obwohl es gefühlt – wie alle Jahre – erst vor Kurzem begonnen hat. Jetzt kommt die »schdaade Zeid«, die schon seit Jahrzehnten oft hektischer ist als die Monate davor. Welch ein Geschenk, dass es bei uns Jahreszeiten gibt, die uns darauf verweisen, dass die Natur, und der Mensch als Teil von ihr, Ruhe, Stille, Erholung – und auch Dunkelheit – brauchen.

Wie könnten denn Blumen, Sträucher sowie Bäume blühen und teils Früchte bringen, ohne im Welken ihrer Blüten und Blätter in einer Regenerationsphase neue Kräfte für Frühjahr und Sommer oder Herbst zu tanken? Nur der Mensch mit seinem Verstand denkt, er könne der Schöpfung ein Schnippchen schlagen, tagaus, tagein im gleichen rasanten Tempo leben, dabei aber immer gleich jung, fit und dynamisch sein. Hier könnten wir manchmal Pflanzen fast beneiden, die (vermutlich?) nicht denken, aber genau wissen, wann sie im Frühjahr ihre Triebe ans Licht strecken können.

Als ich dieses Jahr in einem Kalender statt eines Heiligennamens »Halloween« las, war ich irgendwie geschockt. Das sehe ich schlicht als eine »tolle« Möglichkeit, Geschäfte zu machen. Persönlich finde ich es angenehmer, Aller-Heiligen und Aller-Seelen zu gedenken, was uns alle an die Vergänglichkeit erinnert. Abgesehen davon, dass jede/r von uns davon betroffen sein kann, dass er oder sie selbst aus diesem Leben geht oder ein geliebter, nahestehender Mensch. Wenn allerdings in einer Todesanzeige zu lesen ist: „Plötzlich und unerwartet …“ kommt bei mir stets der Gedanke auf: Ja, plötzlich kann es aus sein, aber unerwartet? Nein. Denn wir müssen genau genommen stets damit rechnen, dass sich irgendjemand für immer in eine andere Welt verabschiedet.

Bei einer vor Kurzem im ehemaligen Kloster Beuerberg stattgefundenen Podiumsdiskussion zum Thema »Sterben« (aufgezeichnet vom Bayerischen Fernsehen) gab es auch Erzählungen von Situationen, die einer gewissen Komik nicht entbehrten. So wie einfach alles zum Leben gehört, kann dies auch den letzten Abschied betreffen. Und nachdem wir ja nicht wissen, wann das sein wird, finde ich es gut, immer wieder dran zu denken, ohne in Pessimismus zu baden oder in Angst zu verfallen. Das hilft uns, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben und möglichst mit uns selbst und den Menschen um uns herum in weitestgehendem Einvernehmen zu sein.

Zum letzten Tag des Jahres denke ich oft an meinen Großvater mütterlicherseits, der mit Vornamen Sylvester hieß. Ein Bauer. Kein leichtes Leben mit zwei Weltkriegen; einen Bruder hat er im Ersten Weltkrieg bei Verdun verloren. Rheuma mit starken Schmerzen, viele Schmerztabletten, die vermutlich mit ihren Nebenwirkungen zu seinem Tod beitrugen. Seine Frau – meine Oma, Jahrgang 1901 – war das uneheliche Kind eines Bauern und einer Magd, die nicht heiraten durften. Was für Biografien … Und worum mache ich mir, machen wir uns, heute Gedanken?

Irgendwann fing ich an, zum Jahresausklang Rückschau zu halten, so wie es jeweils am Abend für den Tag angebracht ist, um hier einen wohltuenden Abschluss zu finden. Was lief gut, was nicht so sehr? Was habe ich gedacht, was ich vielleicht besser nicht hätte denken sollen? Was habe ich nicht gedacht, was ich besser hätte denken sollen? Was habe ich getan, was ich vielleicht besser nicht getan hätte? Was habe ich nicht getan, was ich besser hätte tun sollen? Und hierzu fällt mir fast immer etwas ein, wenn ich die vergangenen vierundzwanzig Stunden Revue passieren lasse. So sammelt sich für den Ausklang des Jahres zumindest nicht ganz so Vieles an.

Dieses Mal kommt bei mir ganz bewusst schon ein Teil des Frühjahrs mit Ordnung schaffen hinzu, da ich in letzter Zeit immer mehr feststelle, was ich nicht wirklich brauche. Lange Zeit hob ich alles mögliche auf, da es ja noch »gut« wäre – für den Notfall. Zudem hatte ich lange Zeit die Vorstellung, für die Dinge, die ich abgebe, noch irgendetwas Materielles zurückzubekommen, aber das konnte wohl nicht funktionieren. Überspitzt ausgedrückt, ist es ist ganz einfach so: Wenn niemand Gold haben möchte, ist es wertlos.

Jetzt, da ich einen Punkt erreicht habe, der mich Diverses »einfach loslassen«, herschenken, lässt, stelle ich fest, dass ich dadurch viel mehr bekomme, als mit Geld zu bezahlen wäre: Freiraum, Freiheit, Freizeit. Es fällt immer mehr weg, das nicht mehr abzustauben oder von A nach B zu räumen ist. Es ist schlicht nicht mehr da, betrifft mich nicht mehr persönlich. Eine unsagbare Erleichterung! Und ganz besonders schön: Jemand anderer hat seine Freude daran.

Irmgard Deml, Weilheim

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