Buchbesprechung: Persönliche Familiengeschichte mit aktuellem Bezug

2015_08_Spurensuche_wFischerAngesichts der derzeit zu uns Flüchtenden kommt dieses Buch wie gerufen. Denn es bringt uns von neuem unsere eigene Geschichte und Verantwortung von Kriegstreiberei, verblendender Meinungsmache, Zerstörung und Vertreibung in Erinnerung. So wie die Einzelschicksale und persönlichen Erlebnisse der Menschen, die derzeit zu uns fliehen, uns am meisten zu Herzen gehen und so maximales Verständnis ermöglichen, bilden im Buch die manchmal auch intimen Briefe der Familie Fischer und ihrer Freunde das Rückgrat der erinnerten Geschichten und Geschichte.

Gut, dass der Autor beim Versuch, mit einer treffenden Selektion in etwa chronologischer Zeitreihung ein korrektes Entwicklungsbild herzustellen, mit eigenen Kommentaren nicht spart. Sie erscheinen zuweilen wie Zwischenrufe und unterbrechen den Lesefluss. Das ist gut so, denn erst die aktive Verknüpfung mit der Gegenwart und dem heutigen Denken gibt den Geschichten ihren Wert. Sie lassen der Briefdokumentation die nötige Betroffenheit zuteil werden und verdeutlichen, wie sehr Familiengeschichte prägt und wie lange Geschichte und hinterlassene Geschichten nachwirken. W. E. Fischer ist immer wieder bemüht, seine eigene Distanz und Verurteilung der Geschehnisse zu überwinden und zu verstehen, wie die teilweise nationalsozialistische und kriegsjubelnde Begeisterung seiner Vorfahren entstehen konnte. Die Intention, im Verstehen einen Beitrag zur Prävention einer Wiederholung zu leisten, wird klar. Sein dabei dennoch präsentes inneres Kopfschütteln sorgt dafür, dass Verständnis keinesfalls in Bejahung abgleitet.

Die zusammengefügten Briefe lesen sich nicht immer glatt und leicht. Das ist der äußeren Form und gelegentlich der Ausdrucksweise der Briefeschreiber geschuldet, auch wenn diese im Großen und Ganzen beeindruckt. Ein wirkliches Glück, dass der Autor die Briefe seiner in den Kriegswirren lange getrennten Eltern nicht ausspart, auch wenn sein Respekt und der gebotene Persönlichkeitsschutz ihn das einen Moment zweifeln ließen. Just mit diesen Briefen erhält das Buch seine stärksten Passagen. Sie zeigen, was der Krieg auch an menschlichen Beziehungen verhindert, unterdrückt oder zerstört hat. Gerade weil in den Briefen der Eltern auch in schwierigsten Umständen noch das Licht der Liebe durchscheint, fällt auf, wie dunkel es ringsum war.

Bleibt zu hoffen, dass uns solch finstere Zeiten nicht mehr einholen. Das Buch hat mich motiviert, auch nach meiner eigenen Familiengeschichte zu forschen und zu fragen, solange das noch geht. Fast froh bin ich, dass mir kein Wäschekorb mit Briefen zur Verfügung steht, denn die Anstrengung, die dieses Buch gekostet hat, scheint durch. Viel Lob und Anerkennung für diese mühevolle und wertvolle Arbeit!

Carola Dempfle
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