»Solidarität ist Zukunft«

Rede zum 1. Mai von Helmut Dinter, 1. Bevollmächtigter IG-Metall Weilheim

»Kampftag der Arbeiterbewegung« auf dem Marienplatz in Weilheim (Foto: IG-Metall)

Die Gewerkschaften weltweit begehen den 1. Mai als Kampftag der Arbeiterbewegung in diesem Jahr zum 132. Mal. Da stellt sich die Frage: Ist dieser 1. Mai so noch aktuell? Ist er unter »Corona«-Bedingungen noch aktuell? Ich sage ja – ja wenn man sich in Erinnerung ruft, warum der 1. Mai begangen wird.

An diesem Tag gehen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihren Gewerkschaften auf die Straßen und sagen was ihnen nicht passt und was sie wollen.

Seit nunmehr gut einem Jahr befinden wir uns alle in einem »Lockdown« – wir haben »Corona«. Alles, was gerade passiert oder nicht passiert, kann offensichtlich mit Corona begründet werden.

Und – in der großen Politik streiten sich ein Söder und ein Laschet darüber, wer der bessere Gockel auf dem Mist ist.

  • Während Tausende von Kulturschaffenden, Künstlern, Gastronomen, kleinen Selbständigen nicht wissen, ob sie den morgigen Tag wirtschaftlich noch erleben.
  • Die Großindustrie hat europaweit mittlerweile 1 800 Milliarden Euro an Staatshilfen kassiert.
  • Hunderttausende von Arbeitnehmern haben zwischenzeitlich ihren Arbeitsplatz verloren.
  • Das Pflegepersonal schuftet auf Anschlag und wir sollen dafür von den Balkonen klatschen.
  • Während einige »unserer« politischen Mandatsträger privat – für sich persönlich – ein gutes Geschäft mit der Vermittlung von Atemschutzmasken gemacht haben.
  • Und still und heimlich erfährt man, dass die Reichsten der Reichen in diesem Land seit Beginn der Pandemie um 100 Milliarden Euro reicher geworden sind.
  • Man erfährt, dass Konzernbetriebe an ihre »Shareholder« Dividenden auszahlen, während sie auf der anderen Seite Staatshilfen kassieren und sich ihre Mitarbeiter mit Kurzarbeitergeld bezahlen lassen.

Über viele der Pandemie-Bekämpfungsmaßnahmen kann man als Normalbürger mit einigermaßen gesundem Menschenverstand nur noch den Kopf schütteln. Andererseits hat dies auch etwas Gutes: Endlich wird hier für alle Bürgerinnen und Bürger zur gleichen Zeit sichtbar, mit welcher Qualität von politischen Entscheidungsträgern wir es zu tun haben. Und das auf allen politischen Ebenen – begonnen in den Landratsämtern über die Landesregierungen und endend bei der Bundesregierung mit ihrer Kanzlerin. Das sage ich auch hinsichtlich der bevorstehenden Bundestagswahl im September – als Denk- und Wahlanstoß.

Mai-Kundgebung auf dem Marienplatz in Weilheim (Foto: IG-Metall)

Der Spruch „Wenn man sich auf die Regierenden verlässt – ist man verlassen“ hat in Corona-Zeiten eine ganz neue »Sichtbarkeit« erhalten.

Also, was bleibt – wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen uns auf uns selbst verlassen, auf unsere Stärke, auf unsere Solidarität, um unsere Interessen durchzusetzen – und damit haben wir auch in Pandemie-Zeiten schon ganz ordentlich gepunktet:

So war es nicht zuletzt Verdienst der Gewerkschaften, dass die Möglichkeit Kurzarbeit zu machen auf zwei Jahre ausgeweitet worden ist.

Wir konnten Tarifverträge durchsetzen mit zwar nur bescheidenen Lohnerhöhungen, dafür aber mit Elementen zur Beschäftigungssicherung:

  • Für den Textilbereich, die Holzindustrie, in der Metall- und Elektroindustrie und auch in Haustarifverträgen z. B. für Bauer Technologie und Xylem in Weilheim.

Nicht gelungen ist dies aber im Pflegebereich: Hier sollte ein Tarifvertrag für alle Pflegenden als »allgemeinverbindlich« erklärt werden. Dies ist jedoch am Widerstand einer kirchlichen Einrichtung gescheitert – der Caritas. Schämen sollte sich die Kirche, und das nicht nur hierfür.

Aber: Wären die Beschäftigten in der Pflege besser in Gewerkschaften organisiert, könnten sie selbst Tarifverträge erkämpfen und wären nicht mehr auf »Go(o)d Will« der Kirche angewiesen.

Die andere Seite dieser Medaille darf natürlich auch nicht verschwiegen werden: Diejenigen in der Politik, die jetzt so viele lobende Worte für das Pflegepersonal finden, wo waren und sind die, wenn es tatsächlich um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege geht? In der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes hat sich Innenminister Seehofer als Arbeitgeberchef nicht wirklich mit Ruhm bekleckert und unsere Landrätin erst: Hat sie mit ihrer Kreistagsmehrheit nicht auch dafür gesorgt, dass der Servicebereich der Kreiskrankenhäuser ausgegliedert worden ist um hier eben nicht mehr den V.erdi-Tarifverträgen zu unterliegen? Worte sind das Eine – Taten das Andere – und woran messen wir diese Leute?
Und dennoch: Trotz Pandemie haben wir gezeigt und zeigen es weiter: »Solidarität ist Zukunft«. Und deshalb müssen wir uns bereits jetzt Gedanken darüber machen, wie es in Zukunft – nach Corona – weitergehen soll. Wir sollten darüber nachdenken, ob prekäre, befristete Arbeitsverhältnisse nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden müssten? Ob ein Mindestlohn nicht auf mindestens 13 € / Stunde erhöht werden müsste? Ob vielleicht sogar ein Grundeinkommen für alle nicht ein richtiger Schritt wäre, der gerade in der jetzigen Krisenzeit viel finanzielles Leid hätte abmildern können?

Auch Fragen sollten wir uns heute schon stellen, um für Morgen gerüstet zu sein, zum Beispiel:

Wo kommen eigentlich – über Nacht offensichtlich – die 1,8 Billionen Euro her, die der Staat als »Hilfe« so ganz nebenbei an die Unternehmen ausschüttet? Wer sind die Institutionen und die Personen dahinter, die so viel »übrig« haben um es auf den Schlag verleihen zu können? Wann und mit wie viel Zinsen muss das ganze zurückbezahlt werden? Etwa auch mit Null- oder Negativzinsen wie das grad bei Omas Sparbuch geschieht? Oder sollen hier am Ende sogar Zinsen fließen an diejenigen, die heute schon nicht wissen, was sie mit ihren Geld machen sollen und es darum dem Staat leihen können, um dann nach Zins und Tilgung noch mehr Geld zu haben, um wieder nicht zu wissen, was man Sinnvolles damit macht?
Und wer soll das letztendlich alles bezahlen? Die, die jetzt schon davon profitieren oder wieder einmal die breite Masse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, der Rentnerinnen und Rentner?

Wäre es nicht an der Zeit, auch über unser Wirtschaftssystem insgesamt nachzudenken? Kann in einer endlichen Welt ein System, das auf unendlichem Wachstum und damit Umweltzerstörung und stetig steigendem Profit aufbaut, der Weisheit letzter Schluss sein? Sollten wir nicht besser versuchen andere »Messgrößen« eines Wirtschaftssystems in dem Mittelpunkt der Aktivitäten zu rücken und zu bewerten: Menschenwürde, Demokratie und Mitbestimmung, ökologische Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Solidarität, so wie das zum Beispiel die »Gemeinwohl-Ökonomie« vorsieht?

Da sehe ich einen Ansatz für einen Weg, den ich gemeinsam mit euch allen gehen will; dann ist Solidarität nicht nur Zukunft, dann führt Solidarität auch in eine gute Zukunft.

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