Waldspaziergang anno 2020

I.

Es ist schon gegen 12 Uhr mittags und der Nebel will sich an diesem Tag Ende November anscheinend wirklich nicht auflösen. D. h., kein Sonnenschein in Sicht und so beschließen wir, unsere Spazierrunde mal wieder durch den Forchetwald zu machen.

Obwohl heute Samstag ist, wird sich aufgrund dieses Wetters die Gefahr in Grenzen halten, von einem der immer mehr werdenden »Rad-Rennfahrer« umgefahren zu werden und damit den Waldspaziergang zu einer echten Erholungsrunde machen.

Foto: Sigi Müller

Gleich zu Beginn fällt uns ein besonders Naturschauspiel auf. Der Nebel hat sich auf alles nur Erdenkliche niedergeschlagen und ist auf Grund der Kälte zu Raureif geworden. Und so sehen wir erstmals links und rechts vom Weg, dass unser Wald überwiegend aus Spinnenfäden besteht. An jedem Zweig, Grashalm, Busch und Baum hängen feine weiße Schnüre und teilweise auch Netze, die erst durch den gefrorenen Nebel sichtbar gemacht werden. Ein Anblick, der immer wieder fasziniert und den Anschein eines verwunschenen Zauberwaldes erweckt.

Heute ist wirklich kaum jemand unterwegs. Eine Frau mit Nordic-Walking-Stecken kommt uns entgegen. Dann, nach einer Abzweigung, steht eine mehrköpfige Familie auf dem Weg und wartet auf einen Nachzügler. Der etwa 3-4 Jahre alte Junge ist noch ein gutes Stück entfernt und ganz schön langsam unterwegs. Als wir ihm näherkommen, sehen wir den Grund dafür. Er hat den Kopf gesenkt, hält mit beiden Händen ein Handy und spielt darauf. Der wunderschöne »Zauberwald« ist offensichtlich viel zu langweilig für ihn. Mir fallen sofort die erwachsenen Vorbilder ein, die zum Joggen oder auch beim Kinderwagenschieben in der Mehrzahl irgendwelche Stöpsel in den Ohren haben. Vogelgezwitscher oder gar Stille sind einfach nicht mehr angesagt.

Wir gehen weiter. Und wie schon vermutet kommen uns heute nicht einmal Hundebesitzer entgegen, die hier sonst mit 1, 2, 3 oder sogar 4 Hunden anzutreffen sind. Ein einsamer Spaziergänger begegnet uns dann doch noch. Er gehört zu den wenigen, die wortlos vorbeigehen, ohne einen Blick in unsere Richtung schweifen zu lassen. Wir akzeptieren dieses Signal und gehen auch ohne zu grüßen weiter. Die meisten der vielen Waldspaziergänger, die man bei schönerem Wetter hier antrifft, verhalten sich anders. Sie lächeln, grüßen oder reden auch mal mit Menschen, die sie gar nicht kennen. Ein neuer Trend, der mir sehr gefällt.

Foto: Sigi Müller

Bei unserer Runde kommen wir auch an dem Jägerstand vorbei, den wir »Jägerstand de luxe« nennen, da er so stabil und komfortabel aussieht. Wie schon öfter seit den »Corona-Kontaktbeschränkungen« ist deutlich zu sehen, dass hier mal wieder ein »Jugendtreffen« stattgefunden hat. Am Boden liegt ein großer Haufen mit leeren Bierflaschen, Wodkaflaschen, Hugoflaschen, Plastikflaschen mit Orangensaft, ein Glas und mehrere Becher. Das entsprechende Verpackungsmaterial und der V-Markt-Kassenzettel sind auch noch dabei – und auch noch zwei Masken.

Wegen der Brand- und Verletzungsgefahr nehmen wir bei unseren Spaziergängen oft Glasflaschen mit nach Hause, entsorgen sie im Glascontainer oder bekommen sogar Pfand dafür. Da das bei dieser Menge nicht möglich ist, fährt Sigi später noch mal mit den Fahrrad hin, macht ein Foto und verfrachtet den Müll anschließend im Fahrradkorb.

Eigentlich sollten wir einen Ausdruck von dem Foto an den Jägerstand heften und dazuschreiben: „Dass ihr euch treffen wollt, können wir verstehen – das nicht!“

Aber dann lassen wir das doch sein.


II.

Heute ist der 16. Dezember. Der erste Tag des harten Lockdowns. Wie jeden Tag machen wir uns zu einer großen Spazierrunde auf.

Spazierengehen gehört ja zum Sport und ist damit auch hochoffiziell noch erlaubt. Die Sonne scheint nicht, aber es hat deutlich über null Grad und trotzdem begegnen wir auf unserer langen Runde zunächst nur einem Radfahrer auf dem Weg von Burggen nach Schongau. Leider verstehen viele das Wort Ausgangssperre falsch und meinen, sie müssten nun den ganzen Tag in der Wohnung verbringen. Das schadet der Gesundheit allgemein – insbesondere dem Immunsystem – und erhöht durch den Bewegungsmangel z. B. die Gefahr, eine Thrombose zu bekommen.

Dann kommen uns doch noch zwei Menschen entgegen. Der Mann hat eine Maske auf und spricht uns sofort darauf an, dass wir keine tragen. Ich halte das zunächst für einen Witz und sage: „Die Masken haben Ausgangssperre.“ Die Frau erklärt uns dann, dass sie die Maske immer unter dem Kinn hängen habe. Wenn sie dann beim Waldspaziergang jemanden trifft, der sehr nah an sie herankommt, würde sie die Maske hochziehen. Da wir anscheinend etwas verdutzt dreinschauen, schiebt sie sofort die Frage nach: „Seid ihr Gegner?“ Der Mann meint auch noch, wir würden uns falsch verhalten, weil wir zu dritt unterwegs seien. Die Frau wünscht uns dann immerhin: „Bleibt‘s trotzdem g‘sund!“ und erklärt uns noch voller Freude, dass sie auf jeden Fall an Weihnachten alleine sei.

Renate Müller, Schongau

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