Wie viele Länder müssen sich noch kaputtsparen?

Herwarth Stadler

Herwarth Stadler

Auch die Bundesrepublik Deutschland ist nicht gefeit gegen die Macht der Finanzmärkte

Irland – Griechenland – Portugal – Spanien – Italien – Belgien … welches Land ist das nächste, das sich unter das Kuratel der »Troika« (IWF, Weltbank, EZB) begeben muss? Diejenigen, die jetzt die demokratische Macht haben und Verantwortung ausüben, sind in Fragen der Wirtschaftspolitik einseitig informiert und mit Scheuklappen ausgestattet/(aus-)gebildet aufgewachsen.[1] So ist es möglich gewesen, die »soziale Marktwirtschaft« von Ludwig Erhard in eine neoliberale Marktwirtschaft nach Friedman und Hayek umzuwandeln und als »Soziale Marktwirtschaft« zu verkaufen mit dem Slogan »Sozial ist, was Arbeit schafft!«, ohne zu fragen, welche Qualität diese Arbeit denn bietet.[2] Infolgedessen wurden schrittweise die Finanzmärkte dereguliert (aller begrenzenden Regeln/Fesseln entledigt). Die Wirtschafts-Professoren haben verdrängt, dass es beim echten Nobelpreis-Komitee Jahrzehnte lang keinen Titel für Wirtschaftswissenschaften gab, sondern der von einer privaten Stiftung (Banken, Versicherungen und Mäzene) auch so benannte Stiftungspreis zur gleichen Zeit (im November) jedoch nicht in Oslo, sondern in Schweden verliehen wird. Der Grund: Wirtschaftswissenschaften sind keine exakten Wissenschaften, weil ihre Axiome als fiktive/ theoretische Konstrukte nicht verifizier- bzw. falsifizierbar seien.

Die so genannten »Wirtschaftsweisen« als Beratergremium der Bundesregierung und die Lobby-Büros in Brüssel beraten alle einschlägigen Fragen einseitig ausgerichtet durch diese ideologische »Brille«. So drängt sich für die jetzige Situation der ausufernden, seit mehr als fünf Jahren währenden Geldmarktkrise die offizielle Erkenntnis auf: Alle sind ratlos, hilflos gegenüber Lösungsansätzen und die handelnden Regierungen sind zögerlich (Merkel) und kennen nur »alternativlose« Entscheidungen (Merkel), wohl wissend, dass es zwar immer Alternativen gibt, man jedoch mutlos nicht wagt, vorhandene Lösungsansätze auszuloten, wie sie sich beispielsweise nach Keynes’ erfolgreich erprobten Teillösungen anbieten würden. Zu unser aller Schaden: Die reine Lehre nach Friedman/Hayek kennt zwar die Folgen ihrer Theoriegebäude, hält sie jedoch für „tolerierbar” (weil die großen Geldeigentümer kaum betroffen sind – siehe Ausspruch des Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney, dass ihn, den Multimillionär, 47 Prozent der Amerikaner im Lande nicht interessierten; der ist, nebenbei festgestellt, Mitglied des CFR, die die Weltherrschaft anstreben.[3] Sie kennen nur ein orthodoxes »Vorwärts und durch!« So, als hätten wir nicht eine Weltwirtschaftskrise 1929-34 erlebt, die damaligen Handlungsweisen der Regierenden mit den jeweiligen Folgen analysiert und könnten daraus neuere, auf die gegebene Situation angepasste Lösungsansätze entwickeln. Stattdessen werden die erkannten Fehlentscheidungen wiederholt: Kürzen der Gehälter/Renten aus öffentlichen Kassen und Einfrieren der Tariflöhne, Streichen vieler öffentlichen Investitionen, weitere Steuererleichterungen für Unternehmen, laxe Steuereintreibung mangels rigoroser Kontrolle, Kürzen aller Transfer-Leistungen wie Renten, Krankengeld, Arbeitslosenhilfe usw. Dass damit der Binnenmarkt zerstört und die gesamte Volkswirtschaft eines Landes in die Depression getrieben wird, ist zwar bekannt, wird aber bewusst verdrängt. Indem man über die Medien positive Nachrichten aufbauscht: „Noch nie sind so viele Menschen in Deutschland aktiv erwerbstätig gewesen!“ (FDP) Dass zugleich aber um 5 Prozent Jahresarbeitsstunden weniger geleistet wurden, beweist ja nur, dass die Zahl der Vollzeit-Arbeitsverhältnisse um Millionen gesunken sind; mit dem »Volkseinkommen aus abhängiger Beschäftigung« in Beziehung gesetzt, ergibt es den Nachweis, dass immer mehr Berufstätige in prekären Arbeitsverhältnissen sich abmühen und eine manipulierte Arbeitslosenstatistik zwar sinkende Arbeitslosigkeit signalisiert, dem jedoch eine steigende Anzahl von über 7,4 Millionen Menschen ohne ausreichend bezahlte Arbeit liebend gerne länger/besser bezahlt arbeiten würde – bis hinein in die Underdog-Selbständigen der Ein-Mann-Frau-Betriebe, die von der Selbstausbeutung ihr Dasein fristen. Setzt man die geleisteten Jahres-Arbeitsstunden ins Verhältnis zu den »abhängig Beschäftigten« und legt zugrunde, dass von den 52 Wochen eines Jahres 6 Wochen Urlaub genommen werden, je 2 Wochen mit gesetzlichen/religiösen Feiertagen zusammenkommen und im Mittel wegen Krankheit nicht gearbeitet werden, dann haben wir bereits die 30-Stunden-Arbeitswoche für alle verwirklicht, wenn nicht gar unterschritten. Arbeit also fair verteilen!

Auch wir in der Bundesrepublik Deutschland sind nicht gefeit gegen die Macht der Finanzmärkte mittels des Zinshebels und der eingegangenen Bürgschaften für Zentralbank-Kredite. Schon heute ist das Zinsaufkommen der drittgrößte BRD-Haushaltposten nach dem Sozialetat. Ein Drittel aller Kommunen in Deutschland kann die Zinsbelastung für die aufgenommenen Kredite nicht mehr aus eigener Kraft stemmen. Eine Erhöhung des Zinssatzes um nur 1 Prozent (von derzeit 1,75 auf 2,75%) belastet das Finanzministerium um mehr als 22 Milliarden €uro oder 8 Prozent des Gesamthaushaltes; das ist mehr als die noch vorhandene »freie Verfügungsmasse« im Jahres-Haushalt. Würde ein Euroraum-Durchschnittszins eingeführt, müsste der Bundesfinanzminister über 50 Milliarden €uro in anderen Haushaltstiteln einsparen. D. h. dann: Personal entlassen, Abgaben erhöhen und Pflichtaufgaben vernachlässigen.

Griechenland macht es vor, um überhaupt vor dem Staatsbankrott davonzukommen, Spanien und Portugal sind dabei, um kreditwürdig zu bleiben; mit der Folge, dass die einen schon über 25 Prozent Arbeitslosigkeit haben und das dritte Land bereits 16 Prozent verzeichnet – bei einer Jugendarbeitslosigkeit von um die 50 Prozent beginnt eine verlorene Generation heranzuwachsen mit allen in der Zukunft zu erwartenden sozialen Verwerfungen.

Die derzeit (2008/9) in den globalen Finanzmärkten kursierenden reinen Geldvermögen betragen 75 Billionen $ neben einem weltweit in Aktien etc. kapitalisierten Börsenwert von 58 Billionen $, in Steueroasen werden mindestens 6 Billionen $ vermutet; Finanzderivate haben einen geschätzten Umfang von 720 Billionen $.[4] Dieses Ganze dominiert das Welt-Sozialprodukt (62 Billionen $ BSP, sogenannte Realwirtschaft), das im Moment nicht von der Flut an Staatsverschuldung belästigt wird, weil diese Billionen ausschließlich in den Finanzmarkt fließen und ihn weiter aufblähen: Der große Crash ist dadurch zwar vorprogrammiert,[5] nur der Zeitpunkt steht noch nicht fest. Die Regenten im Hintergrund wissen noch nicht, ob sie ihn mit einem großen Dritten Weltkrieg inszenieren oder auf eine andere Art und Weise über die Welt-Bühne bringen wollen.

Ist das alles Schwarzmalerei oder sind es Verschwörungstheorien? Wenn man die Fakten der Zahlenreihen für sich sprechen lässt, kann man, muss aber nicht diese (meine) Schlüsse daraus ziehen.

Herwarth Stadler

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. Seit Mitte der 60er Jahre gibt es kein verbindliches »studium generale« mehr an den Hochschulen und Universitäten; die bis dahin vorgeschriebenen (weil man sie nach freier Auswahl die ersten Semester lang testieren musste) vier bis sechs Wochenstunden-Vorlesungen machten alle Studierenden mit Grundfragen aus anderen Fachrichtungen bekannt und boten Einblick in deren Basis-Denkkategorien. Für konträre Theorien gab es in den einzelnen Fachbereichen immer weniger Lehrstühle. Sie wurden alle der Fachhuberei geopfert.
  2. Wird angemessen bezahlt? Kann man eine 2-Kinder-Familie vom Nettolohn menschenwürdig (Art. 1 GG) unterhalten? Wird der Betroffene nicht ausgebeutet? U. a. m.
  3. Michael Morris, 2012, 160
  4. Atlas der Globalisierung, Die Welt von morgen, Le Monde diplomatique, Nov. 2012
  5. Prof. Otte, Der nächste Crash kommt, 2009
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