Lobbyismus im Klassenzimmer

Titelbild Lehrbücher

Der Einsatz lohnt sich – man muss nur früh genug ansetzen! (Bild: Jürgen Müller)

Kostenfreies Unterrichtsmaterial aus der Wirtschaft

Schülerinnen und Schüler als Wähler und Konsumenten von morgen sind für Lobbyisten aus der Wirtschaft offenbar von besonderem Interesse. Vor allem in den letzten zehn Jahren hat sich das Engagement der Industrielobby mit ihren Stiftungen enorm gesteigert, durch entsprechende industriefreundliche Materialien am Weltbild junger Menschen zu feilen und deren politische Grundeinstellung langfristig zu beeinflussen. Dabei gilt: je früher desto besser.

Einflussreiche Akteure

Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)

Die INSM, gegründet von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie, betreibt das LehrerInnenportal »Wirtschaft und Schule«. Es wird inhaltlich und redaktionell vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) betreut.

Im Netz bietet die Initiative auf ihrem Lehrerportal scheinbar uneigennützig kostenfreies Unterrichtsmaterial an. In der Broschüre »Das kleine Einmaleins der sozialen Marktwirtschaft« wird auf Seite 21 auch ganz ungeniert ein Grundgesetzartikel als marktfeindlich kritisiert. Im Grundgesetz Artikel 14 Absatz 2 steht: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Dazu lesen Lehrer und Schüler dann den folgenden INSM-Kommentar: „Zugegeben, dieses Gebot ist ohne Zweifel gut gemeint, doch von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung zeugt es nun wirklich nicht.“ Harter Tobak? Das Grundgesetz freiheitsfeindlich? Der Herausgeber der Broschüre meint dazu, die Stelle sei „sehr pointiert formuliert“, solle aber zum Diskurs einladen. Man wolle damit klar machen, „dass es da unterschiedliche Auffassungen zu diesem Punkt gibt“. Also, verschiedene Auffassungen zwischen Grundgesetz und INSM, ohne eine direkte Gegenposition aufzuzeigen? (Wir dokumentieren dazu eine längere Textpassage des »kleinen Einmaleins…«)[1]

Berliner Zeitbild GmbH – »Full-Service-Dienstleister im Bildungsbereich« nennt sich das Unternehmen, das auch eine PR-Agentur betreibt.

Hier erscheint auch die 36-seitige Broschüre »Braunkohle im Energiemix«. Das Lehrmaterial, erstellt für die Klassen 10 bis 13, liefert Basiswissen zur »Stromerzeugung in Deutschland« und »Entstehung von Braunkohle«. Auch Vor- und Nachteile der Braunkohlenutzung werden angesprochen. Allerdings werden auch Behauptungen aufgestellt, die höchst fraglich sind. Auf Seite 20 heißt es: „Braunkohle benötigt keine Subventionen.“ Laut einer Greenpeace-Studie wurden der Braunkohle in Deutschland von 1950 bis 2008 „finanzielle Vorteile in Höhe von etwa 101 Milliarden Euro“ gewährt. Im Gegensatz zur Braunkohle-Lobby und Bundesregierung fassen die Greenpeace-Forscher den Begriff Subventionen nicht eng. Sie berücksichtigen auch staatliche Forschungsförderung zugunsten von Braunkohle, Steuervergünstigungen oder die Befreiung der Braunkohleförderung von Wasserentnahme-Entgelten. Eine Studie von 2004, im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) erstellt, kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass Braunkohle kein subventionsfreier Energieträger sei. Davon erfahren die Schüler allerdings nichts.

Ein neues Kraftwerk in Neurath bei Köln wird in der Broschüre als „das modernste Braunkohlekraftwerk der Welt“ gelobt. Der BUND bezeichnet die Inbetriebnahme dagegen als „herben Rückschlag für den Klimaschutz“. Die Kritik: Die 2,6 Milliarden Euro teure Anlage werde jährlich 16 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen. Aber auch davon erfahren die Schüler in der Broschüre nichts.

Der Zeitbild-Verlag hat weitere kostenlose Unterrichtsmaterialien im Angebot. Darunter »Personalisierte Medizin« (in Zusammenarbeit mit dem Verband forschender Arzneimittelhersteller), »Güterverkehr« (zusammen mit der Initiative »Unsere Autos«) oder »Kernenergie« (mit dem Deutschen Atomforum).

Institut für Ökonomische Bildung Oldenburg GmbH (IÖB)

Das privatrechtlich organisierte IÖB an der Universität Oldenburg erstellt Arbeitsmaterialien und koordiniert LehrerInnenfortbildungen. Träger sind u. a. die Bertelsmann-Stiftung, die Heinz-Nixdorf-Stiftung, die Stiftung der Deutschen Wirtschaft, die Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg sowie die EWE-Aktiengesellschaft.

Unter den Schulbüchern, die das Institut IÖB herausgibt, ist auch das Buch »Kompetenz Politik – Wirtschaft« für die neunte Klasse. Nach Meinung des Politikdidaktikers Moritz-Peter Haarmann, Leibniz Universität Hannover, lässt sich am Beispiel des Kapitels »Das Unternehmen« zeigen, dass hier die Perspektive des Unternehmers klar im Vordergrund steht, während die Beschäftigten eher eine untergeordnete Rolle einnehmen.

Auch Videos, die mit Unterstützung der IÖB für die Schule produziert werden, haben eine eindeutige Tendenz. Das heißt es beispielsweise: „Ihre Personalkosten sind viel zu hoch.“ – „Ja, die Personalkosten sind wirklich hoch, aber Kündigungen kann ich sozial nicht verantworten.“ – „Soziale und ökonomische Ziele sind nicht immer einfach unter einen Hut zu bringen. Aber als Steuerberater muss ich Ihnen auch sagen, dass Sie unbedingt wieder schwarze Zahlen schreiben müssen, sonst sieht es düster aus für Ihren Betrieb.“ Entlassungen und Lohnkürzungen sind also notwendig bzw. normal. Das soll hier den Lehrenden und Lernenden möglichst drastisch eingebleut werden.

Handelsblatt GmbH im Holtzbrinck-Konzern

Die Initiative »Handelsblatt macht Schule« wird u. a. von der Deutschen-Telekom-Stiftung und der Deutschen Vermögensberatung (DVAG) gesponsert. Sie fördert Kontakte zur Wirtschaft und gibt gratis Unterrichtsmaterialien heraus, u. a. zum Thema »Finanzielle Allgemeinbildung«. Erstellt vom IÖB (siehe oben), ist es im Materialkompass der Verbraucherzentrale mit ausreichend bewertet: »Alleiniger Praxiskontakt ist die DVAG.«

Die Gegenbewegung

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die für Schulpolitik verantwortlichen Stellen auf, eine staatlich verantwortete Prüfstelle für Unterrichtsmaterialien einzurichten. Mit großer Besorgnis beobachten die DGB-Gewerkschaften die Zunahme von schulfremden Unterrichtsmaterialien, vor allem aus der Finanz- und Wirtschaftsbranche. Diese Lern- und Lehrmaterialien unterliegen keiner fachlichen und didaktischen Qualitätskontrolle, heißt es in einem gemeinsamen Schreiben von DGB und GEW an die Kultusministerien der Länder.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sprechen sich zudem erneut gegen die Einführung eines zusätzlichen monodisziplinären Unterrichtsfachs Wirtschaft aus, wie es von den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden gefordert wird. Ein solches Fach, das alle Bezugsdisziplinen ausspart, ist weder sinnvoll noch praktikabel, so DGB und GEW.

Sigi Müller, Schongau
Quellen: E&W-Zeitung, 05/2013; Frontal21 vom 30.04.2013; Lobbyismus an Schulen (Lobbycontrol)

 

[[1]]Aus »Das kleine Einmaleins der Sozialen Marktwirtschaft« Seite 21:
„Wie kann es sein, dass Politiker aller Parteien einerseits lauthals das Loblied der Marktwirtschaft singen, andererseits aber immer und immer wieder Gesetze verabschieden und Maßnahmen ergreifen, die offenbar einzig und allein das Ziel haben, die Menschen vor genau dieser Marktwirtschaft »zu schützen«? Eine Antwort darauf ist die geradezu paranoide Angst der Deutschen vor vermeintlichen Ungerechtigkeiten und davor, als »Kleiner« von den »Großen« gefressen zu werden.
Ein Musterbeispiel für die Haltung, sich möglichst gegen alles und jeden abzusichern, ist die deutsche Interpretation der Freiheits- und Eigentumsrechte. In Großbritannien und den USA sind diese Rechte geradezu heilig, in Deutschland aber werden sie schon vom Grundgesetz drastisch eingeschränkt: In Artikel 14 Absatz 2 heißt es: ,Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.’ Zugegeben, dieses Gebot ist ohne Zweifel gut gemeint, doch von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung zeugt es nun wirklich nicht. Man stelle sich nur einmal vor, Artikel 14 Absatz 2 würde, entsprechend abgewandelt, auch im Sport gelten: ,Siege verpflichten. Ihr Erringen soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.’
Was könnte das bedeuten? Hätte sich Michael Schumacher absichtlich von seinen Konkurrenten ü̈berholen lassen müssen? Oder hätte er seine Gagen mit dem Formel-1- Publikum teilen sollen? Oder mit allen Autofahrern, allen Italienern, allen Deutschen? Wohin solche inhaltlichen Ungereimtheiten und Widersprüche in der Praxis fü̈hren, spüren wir alle Tag für Tag am eigenen Leib. In dem Wahn, es möglichst allen recht zu machen, verheddert sich die deutsche Wirtschaftspolitik seit Jahrzehnten in einem Gestrü̈pp aus Widersprüchen.“[[1]]

Quellenangaben / Hinweise


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