Attraktive Nahmobilität der Zukunft (Teil 2)

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Irmgard Schreiber-Buhl

Professor Dr. Heiner Monheim zum Holzweg »Motorisierung« und die Vernachlässigung von Bus und Bahn

Pioniere für den Mikro-ÖPNV finden wir in Südtirol und Vorarlberg: In Gemeinden mit 2 000 bis 3 000 Einwohnern gibt es einen »Landbus« (moderner Niederflur-Minibus), der auf Zuruf hält; dieser hat einen Aktionsradius unter 10 km.

In Skandinavien fahren fast überall Kombi-Busse, die Personen und Güter gleichzeitig befördern (auch in der Uckermark gibt es dies seit Kurzem). Das steigert die Effizienz der Systeme und bringt dem Öffentlichen Verkehr Einnahmen. Besonders ärgerlich seien derzeit in Deutschland die vielen sich überlagernden Lieferverkehre. Alle Unternehmen (GLS, DHL, Hermes, UPS u. a.) fahren immer überall hin. Monheim: „Es könnte Aufgabe der Busunternehmer (Schülerbeförderung) werden, wenn sie nicht so satt wären!“

Auch die Usedomer Bäderbahn sei mit ihren Leichttriebwagen, einem Taktverkehr und vielen neuen Haltepunkten ein Erfolgsrezept. In Frankreich ist die Verkehrsabgabe für Unternehmen mit mehr als neun Beschäftigten ein wichtiger Bestandteil des Finanzierungssystems des ÖPNV. Durch sie wurden viele neue Tram-Systeme und eine enorme Steigerung der Passagierzahlen erreicht. O-Ton Monheim: „Sobald die Nutzer ein gutes Angebot bekommen sind sie dabei! Deshalb brauche es einen Ruck für die Entscheidungsträger!“

Innovative Regionalbahnen

Im süddeutschen Raum gibt es viele schöne Beispiele: das Karlsruher Modell, der Seehas am Bodensee, die Vorarlberg-S-Bahn, die Geißbockbahn, die Mittel-Thurgaubahn. Auch hier gilt als Erfolgsrezept: Leichttriebwagen, viele neue Haltepunkte, Taktverkehr, offensives Marketing!

Zukunft Fahrrad

Der Pedelec-Boom ändert Vieles: den Aktionsradius, die Nutzlastfähigkeit, den Wert, das Image, die weitgehende Unabhängigkeit vom Geländerelief. Jedes Jahr wird 1 Million solcher Räder zusätzlich verkauft. 36 000 elektrische Fahrräder gibt es schon bei der deutschen Post. Ein gutes Leihrad-System ist auch für den Tourismus wichtig (z. B. E-Bike-Urlaubsregion Burgenland). Aber vielfach sind wir immer noch »avanti dilettanti unterwegs«, vor allem wenn es um Fahrrad-Parkplätze und Fahrrad-Parkhäuser geht. Sichere Fahrrad-Abstellplätze seien an allen großen und mittleren Bahnhöfen dringend erforderlich, als Bike- und Ride-System mit Abstellhilfen an allen ÖPNV-Haltestellen, an allen Betrieben und in allen Einkaufsstraßen.

Monheim befürwortete den Radverkehr auf der Fahrbahn, jedoch nicht für Kinder. Die Arbeitsgemeinschaft »Fahrradfreundliche Kommunen in Bayern e. V.« (AGFK Bayern) möchte den Freistaat aufs Rad bringen: Derzeit besteht sie aus über 60 Kommunen, die durch konkrete Projekte und Aktionen den Radverkehrsanteil vor Ort erhöhen wollen.

In Deutschland gibt es seit 2014 in Wuppertal (Ruhrgebiet) eine über 20 km lange, kreuzungs- und autofreie Schnellverbindung, ehemalige Bahnhofsgaststätten der »Nordbahn« versorgen die Radfahrer*innen.

Was bleibt für das Auto?

„Im Moment sind wir auf dem Holzweg damit, was unsere Motorisierung betrifft“, so der Referent, denn es werden immer größere Pkws (SUVs) gebaut und es gibt immer mehr Pkws (573 Pkws/1000 Einwohner). Der Diesel- oder Abgasskandal – auch »Dieselgate« – sei als Fiasko der Autoindustrie zu werten. Die Emissionsfrage und eine systematische Täuschung der Behörden und der Öffentlichkeit durch die Hersteller wurden lange ignoriert; die gesundheitlichen Aspekte interessieren leider nur wenige, wichtig sind dagegen die gesunden Absatzzahlen der Autoindustrie.

Die chinesische Regierung will keine Autos mehr, die mit fossilen Treibstoffen fahren. Auch in den deutschen Großstädten ist ein Wertewandel sichtbar. Die junge Generation in den Großstädten macht zum Teil schon vor, dass ein Abschied vom Auto durchaus möglich ist.

Die Sharing Economy (Ökonomie des Teilens) verändert ganze Branchen: Das Car-, Ride- und Bike-Sharing boomt. Um flexibel 24 Stunden pro Tag unterwegs sein zu können, bietet Sharing Mobility in den meisten Orten der Schweiz die verschiedensten Fahrzeuge an.

Auch bei uns wäre dies durchaus realisierbar, z. B. ein Bürgerauto, vom Rathaus her organisiert. Der Anteil der Elektro-Autos, die in Deutschland mit Milliarden von Forschungs- und Entwicklungsgeldern gefördert wurden, beträgt derzeit 1 %. In China sollen E-Autos bald generell obligatorisch werden. Das Reichweite-Problem mit den Akkus wäre leicht zu lösen: In der Schweiz gibt es Akku-Tauschstationen für Pedelecs in Kooperation mit den Schweizerischen Bundesbahnen.

Und bei uns? Fehlanzeige! Jeder Autokonzern kocht sein eigenes Süppchen, es gibt keine einheitlichen Standards, keine Vorgaben durch politisch Verantwortliche …

Autonomes Fahren

Autonomes Fahren besitzt das Potenzial, im Mobilitätsmarkt völlig neue Strukturen entstehen zu lassen, vor allem im innerörtlichen, langsamen Verkehr. Auf Schweizer Straßen rollen fahrerlose Busse im öffentlichen Nahverkehr. Die autonomen Busse der PostAuto Schweiz AG verfügen über 11 Sitzplätze und sind derzeit mit maximal 20 km/h unterwegs.

Neue Mobilitätskultur benötigt

Das Umweltbundesamt (UBA) und Bundesministerium für Umwelt und Naturschutz (BMU) haben zwar Projekte zur klimafreundlichen Mobilität gestartet, aber um die globale Erwärmung langfristig zu verhindern, reicht dies nicht. Der Bund muss den Rahmen verändern. Minister Scheuer müsste hier schnellstmöglich tätig werden.

Wir brauchen eine Nahverkehrsabgabe für Betriebe. Die Rücknahme der vielen Subventionen und Finanzierungsautomatismen für den Autoverkehr sind überfällig, z. B. muss das Dienstwagenprivileg fallen.

Die Beendigung absurder Großprojekte (z. B. von Hochgeschwindigkeitsstrecken, Stuttgart 21 etc.) ist dringend erforderlich. Die Bahn darf nicht das gesamte Budget in Großprojekte versenken!

Unsere Kommunen brauchen mehr Geld, z. B. für neue Investprogramme beim Radverkehr (sie können dabei von den Niederlanden viel lernen!). Wir brauchen bundesweit viele Radstationen, Radschnellwege und Leihradsysteme. Der Öffentliche Verkehr braucht ebenfalls neue Investprogramme: Neue S-Bahnsysteme und Stadt-Umlandbahnen sind unverzichtbar, eine Renaissance der Tram ist unerlässlich, neue Haltepunkte sind überfällig, ebenso Streckenreaktivierungen und vor allem die Bahn-Elektrifizierung.

Aus der Diskussionsrunde

In den Großstädten sind wir »besoffen« von Park&Ride. Es entsteht jedoch dadurch mehr Autoverkehr! Ein attraktiver Bus-Zubringer-Verkehr von frühmorgens bis spätabends würde individuelle Autofahrten zum Bahnhof reduzieren.

Die Schweiz als Vorbild: Dort kann man alles lernen!

Die Diskussion endete mit Begebenheiten aus dem »wahren Leben«: dem zu frühen Betriebsschluss für Busse, den dringend notwendigen Schulungen für Busfahrer, die ein neues Verhältnis zu Rad- und Rollstuhlfahrern entwickeln müssen, damit sie diese nicht als Störfall betrachten!

Irmgard Schreiber-Buhl, Schongau

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