Aus dem Tagebuch eines Asylhelfers (TEIL ZWEI) – Jetzt heißt es: »Wir schaffen was!«

2016_11_tagebuch-asylhelferIm letzten OHA berichtete ich aus dem Alltag eines Asylhelfers – Erlebnisse, Eindrücke, Freuden, Enttäuschungen, Erfahrungen gleichermaßen.

Hier nun eine zweite Folge dieser Notizen:

  • Zu Weihnachten und Ostern organisieren wir eine Feier im Gemeindehaus. Es gibt Kaffee, Tee und Kuchen und für die Kinder kleine Geschenke. Diese Feiern enden für manche von uns recht frustrierend: Um die Geschenke (wie auch um die gespendeten Kleidungsstücke) gibt es heftige Balgereien, von Geschrei und Gezänk begleitet. Die Aggressiven setzen sich durch, andere stehen verschüchtert daneben und gehen leer aus: »Survival of the fittest!«. Haben Krieg, Flucht und Überlebenskampf einige unserer Schützlinge so egoistisch werden lassen?
  • Apropos Geschenke: Wir wurden überschüttet mit zahllosen Kleidungsstücken, Schuhen und Bergen von Spielzeug. Ganze Zoos aus Plüschtieren, Bären so groß wie ein Kleinkind, wir bekamen Möbel, Geschirr, Bettwäsche, Decken … Unsere Schützlinge sind dankbar für alles, mussten sie doch all ihr Hab und Gut zurücklassen. Mir wurde wieder einmal bewusst, dass wir heute in einer Überflussgesellschaft leben und ich erinnerte mich an die Zeit meiner Kindheit, als ein Paar abgetragene Winterschuhe, ergattert auf dem schwarzen Markt, die Rettung bedeuteten.
  • Wir versuchen, Geflüchtete in Praktika zu vermitteln. Diallo[1] aus dem Senegal sagt, er sei Schreiner, er habe den Beruf daheim im väterlichen Betrieb erlernt. Ich denke an die Zeit in Dakar, als ich meine Wohnung mit wundervollen, von lokalen Schreinern mit der Hand und einfachen Werkzeugen gefertigten wunderschönen Möbeln aus Massivholz ausgestattet hatte. Aber nach drei Tagen bricht Diallo das Praktikum ab: Er kommt mit all den modernen Maschinen nicht zurecht. Jetzt will er nicht mehr Schreiner in Deutschland werden, vielleicht Frisör …
  • Es gibt aber auch andere Fälle: Omar[2] aus Syrien, gelernter Bildhauer, hat bei einem Steinmetz Arbeit gefunden. Als ich ihn einmal besuche, strahlt er mit seinem Arbeitgeber um die Wette: Omar gefällt die Arbeit und der deutsche Chef, der jahrelang verzweifelt einen Mitarbeiter gesucht hatte, ist ebenfalls rundum zufrieden.
  • Hin und wieder bemühe ich mich, Geflüchtete mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt zu bringen und sie mit hiesigem Brauchtum vertraut zu machen. Mit zwei syrischen jungen Männern bin ich z. B. zum Heimatabend in Burggen gegangen. Auf der Fahrt dorthin einige Hinweise meinerseits: Die jungen hübschen Mädels in ihrem Dirndl sind allenfalls zum (diskreten) Anschauen da, keinesfalls grapschen! Und es gibt nicht nur Bier (die beiden sind ja Moslems), sondern auch Wasser und Limo. Meine Gäste benehmen sich dann vorbildlich, genießen die bayerische Folklore, trinken jeder zwei Mass, und die Burggener am gemeinsamen Tisch prosten ihnen immer wieder freundlich zu.
  • Für mich sind solche Abende eine besondere Erfahrung: Wenn ich mit einigen der Geflüchteten auf eine öffentliche Veranstaltung gehe, erlebe ich quasi am eigenen Leib, wie sich ein dunkelhäutiger Fremder in einer derartigen Situation fühlen muss. Ich fühle die fragenden, misstrauischen und ablehnenden Blicke, glaube Getuschel hinter meinem Rücken zu vernehmen, fühle mich unwohl und möchte am liebsten wieder gehen. Sind dann die ersten Kontakte hergestellt, wird so ein Abend in der Regel für alle Beteiligten schön und bereichernd – es sind die ersten Schritte, die so schwer fallen.
  • Das zuständige Land­ratsamt Ostallgäu unterstützt uns in vielfältiger Weise, schickt uns regelmäßig Infobriefe mit wertvollen Tipps, organisiert oder vermittelt Fortbildungsseminare für Ehrenamtliche und Mitarbeiter des Landratsamtes halten regelmäßig persönlichen Kontakt mit uns. Als »Dankeschön« für die geleistete Arbeit hat Landrätin Zinnecker die Asylhelfer kürzlich zu einer abendlichen Schifffahrt auf dem Forggensee eingeladen.

Fazit:

Das zurückliegende Jahr hat mich bereichert. Ich habe viele neue Bekanntschaften gemacht, liebenswerte und interessante Menschen kennen gelernt, Deutsche und Geflüchtete gleichermaßen. Manchmal war es auch etwas frustrierend und ein wenig anstrengend. Aber das war unbedeutend im Vergleich zu der Dankbarkeit und Herzlichkeit, die mir die meisten unserer Schützlinge entgegenbrachten, und es wurde auch aufgewogen durch das befriedigende Gefühl, als Bürger an der Lösung eines schwierigen Problems, vor dem unser Land steht, mitgewirkt zu haben. Ich habe den Eindruck, die Ehrenamtlichen, die Geflüchteten, die lokalen Behörden und viele, viele freundlich gesinnte Menschen in unserer Region können guten Gewissens sagen, „Wir schaffen das!“ Was nicht heißt, dass nicht noch viel zu tun bleibt: Jetzt geht es vor allem darum, für die Geflüchteten mit Bleiberecht Wohnung und Arbeitsstelle zu finden.

Wolfgang Fischer

 

Quellenangaben / Hinweise


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  1. Namen geändert
  2. Namen geändert
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