Bilanz eines Gescheiterten

Welche Welt wollen wir und welche werden wir unseren Kindern hinterlassen?

Welche Welt wollen wir und welche werden wir unseren Kindern hinterlassen?

Kritische Einschätzung unseres Tuns hin zu einem lebenswerten Dasein

Anfang der 1980er Jahre hatten die GRÜNEN noch einprägsame Wahlplakate, eines davon erinnerte die Bürger mit dem Slogan »Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt« an ihre Verantwortung für die Umwelt. Uns gefiel das Plakat damals so gut, dass es jahrelang in unserer Wohnung hing und es wurde so etwas wie eine Richtschnur für mein Handeln. Zwar ahnte ich, dass mein »ökologischer Fußabdruck« in jedem Fall größer war als er sein dürfte, aber ich bemühte mich nach Kräften, wenigstens einen kleinen Beitrag für eine lebenswerte Zukunft meiner Kinder und Enkel zu leisten.

So widmete ich mein Berufsleben der »Entwicklungshilfe« – heute würde man das in die Kategorie »Bekämpfung von Fluchtursachen« einordnen. Ich war nicht am Bau von Flughäfen oder Autobahnen beteiligt, sondern arbeitete an Projekten zur Förderung von Kleinbauern in Afrika und Asien, unterstützte die Verbesserung ländlicher Infrastruktur und half den Menschen, sich zu organisieren, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Gleichzeitig war mir bewusst, dass dies alles nur Erfolg haben konnte, wenn sich bei uns in Europa vieles ändern würde und wenn die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen so gestaltet werden, dass die Menschen in der sog. »Dritten Welt« eine faire Chance haben. Deshalb setzte ich mich – getreu dem Slogan »think globally, act locally« – in Deutschland für einen Bewusstseinswandel ein, war Mitbegründer der »Umweltinitiative Pfaffenwinkel«, arbeitete schon in den 1980er Jahren beim OHA mit, engagierte mich gegen unsinnige Industrieprojekte (wie die Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf), reihte mich in Menschenketten gegen Kriege und Rüstungsexporte ein und beteiligte mich an Demonstrationen so wie zuletzt in Berlin gegen das sog. Freihandelsabkommen TTIP.

In meiner privaten Lebensführung versuchte ich, glaubwürdig zu bleiben. Ein »Umweltengel« war ich freilich nie, aus lauter Bequemlichkeit und Lebenslust beging ich so manche – wie ich meinte: lässliche – Umweltsünde. Aber immerhin: Mein Auto war stets sparsam und klein, wenn es nicht allzu lästig war, benutzte ich ein Fahrrad und öffentliche Verkehrsmittel und ich heizte die Wohnung mit zwei Holzöfen; Gemüse und andere Lebensmittel stammten jahrzehntelang aus eigener (natürlich biologischer) Produktion.

Nun komme ich langsam in ein Alter, wo der Tag nicht allzu fern sein dürfte, dass ich die von den Kindern (und Enkeln) geborgte Erde an diese zurückgeben und mir die Frage stellen muss: Hat das Engagement etwas gebracht? Gibst du die Erde in mindestens dem gleichen Zustand an künftige Generationen weiter, wie du sie einst übernommen hast? Soll ich als Antwort darauf verweisen, dass inzwischen so gut wie alle Parteiprogramme umweltpolitische Forderungen enthalten, für die man vor 40 Jahren als »Spinner« beschimpft und belächelt wurde? Ist es nicht ein großer Erfolg, dass der Ausstieg aus der Atomindustrie beschlossen ist und sich große internationale Konferenzen mit dem Klimawandel befassen? Mag ja sein, dass ohne meine Bemühungen – und die meiner MitstreiterInnen – die Welt in einem noch beklagenswerteren Zustand wäre, als sie es heute ist. Aber kann ich deshalb zufrieden sein?

Zwei Artikel in der »Süddeutschen Zeitung« innerhalb von zwei Tagen haben mir aber wieder einmal brutal vor Augen geführt, dass kein Anlass zu Optimismus besteht, dass wir im Grunde ohnmächtig einem völlig außer Kontrolle geratenen Wirtschaftssystem ausgeliefert sind, das uns alle »vor die Wand fährt«.

Der erste Artikel (SZ Nr.11 vom 15. Januar 2016) handelt von einem gigantischen Projekt im fernen Nicaragua: Da soll von einem privaten Investor ein Kanal gebaut werden, vom Atlantik quer durch das Land und einen 160 Kilometer langen Binnensee zum Pazifik, der soll dem Panamakanal Konkurrenz machen. Der Bau wird das Entwicklungsland grundlegend verändern, wobei äußerst umstritten ist, ob die Veränderungen im Sinne der sechs Millionen Einwohner Nicaraguas sein werden. 400 000 Hektar Regenwald und Feuchtgebiete müssen weichen. Umweltexperten warnen: „Das Ökosystem ist sehr fragil, das Wasser des Sees gleichzeitig sehr wichtig für die Menschen!“

Mehr als 30 Klagen gegen das Projekt hat der Oberste Gerichtshof Nicaraguas mit einem einzigen Richterspruch abgewiesen und bereits vor einem Jahr kam es im kleinen Dörfchen Brito an der Pazifikküste zum ersten Spatenstich. Zwar ist die vollständige Finanzierung des Megaprojekts noch nicht gesichert, sicher aber dürfte sein, dass es realisiert wird.

Der zweite Artikel (SZ Nr. 12 vom 16./17. Januar 2016) beschreibt, illustriert mit erschreckenden Fotos, die beispiellose Landschaftszerstörung vor unserer Haustüre, in Niederbayern, wo „eine alte Sakrallandschaft mit brutaler Gewalt einer Betonlandschaft weichen muss“, wie es die SZ formuliert. Markus Söder (CSU), der sein Amt als »Heimatminister« vor allem als Vehikel auf dem Weg zum Amt des nächsten bayerischen Ministerpräsidenten zu verstehen scheint, fördert die Umweltzerstörung mit einer Politik („Lockerung des Anbindungsgebots“), die dem Vorrang von Wachstum vor der Bewahrung der Schöpfung huldigt. Lokale Politiker applaudieren, ebenso Teile der ansässigen Bevölkerung – in freudiger Erwartung der versprochenen Arbeitsplätze. Umweltschützer und Heimatpfleger protestieren – wie meistens – vergeblich.

Zwei Fälle, einer aus Bayern, der andere aus Mittelamerika und überall auf der Welt gibt es ähnliche, jeden Monat, jedes Jahr. Sie alle folgen dem gleichen Muster, sie alle haben die gleichen Folgen: Die Lebensgrundlagen künftiger Generationen werden unwiderruflich zerstört, zugunsten von »Wachstum« und »Wohlstand«, letztlich zugunsten einer verschwindend kleinen Schicht, deren Einkommen und Vermögen unaufhörlich wächst. (Die Organisation OXFAM hat gerade erst darauf hingewiesen, dass nicht einmal 100 Reiche mehr besitzen als die arme Hälfte der Menschheit, also etwa 3,5 Milliarden Menschen!) Die Interessen des Kapitals setzten sich (fast immer) durch, nicht zuletzt, weil sie die Ängste der »kleinen Leute« zu schüren und deren (meist vergebliche) Hoffnungen auf ein besseres Leben zu missbrauchen verstehen. Und weil lokale Politiker sich vor den Karren von Banken und Konzernen spannen lassen, springen doch in aller Regel persönliche Vorteile für sie dabei heraus. Diejenigen aber, die sich für Menschenrechte, Umwelt und Natur einsetzen, können bestenfalls kosmetische Korrekturen erreichen.

 

Was also kann ich sagen, wenn mich demnächst einer meiner Enkel fragt: „Opa, wo warst du eigentlich die ganze Zeit, was hast du gegen die Zerstörung der Erde und unserer Zukunft getan?“

Wenn ich ehrlich bin, muss ich dann wohl antworten: „Ein wenig habe ich getan, aber nicht genug. Wir waren viele, aber viel zu wenige und vielleicht waren wir nicht laut und nicht radikal genug. Wir sind gescheitert, es tut mir leid, dir das sagen zu müssen.“

Aber ich würde meinem Enkel auch das Martin Luther zugeschriebene Zitat mit auf den Weg geben: „Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“

Wolfgang Fischer

 

 

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1 Kommentar

    • Blume-Hedemann auf 29. April 2016 bei 18:08
    • Antworten

    Bin erst durch den Aushang in Weilheim, in dem ein Vortrag zur »Gemeinwohlökonomie« am 2. Mai angekündigt wurde, auf diese Seite hier aufmerksam geworden. Und ich finde den Artikel sehr gut! Auch mir, 62 Jahre alt, gehen ebensolche Gedanken durch den Kopf. Zu dem o. a. Vortrag werde ich wahrscheinlich leider nicht kommen können, aber ich werde die Augen offen halten, wenn so etwas wiederholt wird!
    Aus Tutzing herzliche Grüße, M. Blume-Hedemann

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