Die Grundrechte als Notfallpatient

2 Sanitäter in Schutzanzug mit Masken tragen eine Krankenbahre, darauf liegt ein Grundgesetz

Gaby Kerscher, Wessobrunn


Sanitäter 2 (= S 2) zu Sanitäter1 (= S 1): „Jetzt ruaf scho d’  Zentrale o!“
S 1 ruft an.
Man hört per Lautschaltung, wie sich jemand meldet: „Rettungsleitstelle, Franz Hofer.“
S 1: „Ja hallo, Franz, du bist es heit’ – hier ist der Hans. Du mia ham an Notfall, lebensbedrohlich.“
Rettungsleitstelle: „Hans, des is koa Problem, mir ham Intensivbetten ohne Ende, es is ja bisher koa Welle kumma. Wo wuistn hi? Glei in Weilheim oder liaba Murnau? Worum geht’s denn?“
S 1: „Naja, Risikopatient über 70, mehrere schwere Vorerkrankungen, akute Atemnot mit beginnender Chronifizierung.“
Rettungsleitstelle: „Dann bleib doch glei in Weilheim!“
S 1: „Naja, die Sache is a bissl speziell, bei dem Patienten handelt si’s um die Grundrechte. I woaß ned, ob a normals Krankenhaus da die geeignete Ausstattung hat?“
Rettungsleitstelle: „Die Grundrechte? Ja wie kommt denn der Patient zu eich?“
S 1: „Naja, die, die si normalerweis um die Grundrechte kümmern, san alle Corona-Panik-infiziert und ham den Patienten im Stich glassn. De san in freiwilliger Quarantäne. Der letzte, der ganga is, hat wenigstens no an Notruf abgsetzt, und jetzt ham wir ihn hier.“
Rettungsleitstelle: „Ja, des ist natürli a Spezialfall, da muass i a bissl rumtelefonieren.I meld’ mi dann wieda.“
S 1: „Aber beeil di, es is dringend!“
Pause
Anruf Rettungsleitstelle: „Hans, jetzt bin i’s wieda. Schaut leida schlecht aus, da fühlt si neamand zuständig. Als erstes hab i an Politik gedacht – aber es gibt ja grad ned amol a Opposition.
S 1: „Und die Medien?“
Rettungsleitstelle: „Woaßt es ja selba, die ham si alle freiwillig gleichgschaltn!“
S 2: „Aber die Gerichte, des Bundesverfassungsgericht! Mia ham doch in Deutschland a unabhängige Rechtsprechung!“
Rettungsleitstelle: „Ja, des hab’ i a gmoant, aba des san alles selba Hochrisikopatienten, die ham si a für die Sicherheit entschieden.“
S 2: „Es gibt doch no diese ganzen politischen Plattformen, Attac, Campact und wia se alle hoaßn!“
Rettungsleitstelle: „De san leider a alle Corona-Panik-infiziert.“
S 1: „Aber was soll ma denn jetzt macha? Mia könna den Patienten doch ned auf offener Straß verreckn lassn!“
Rettungsleitstelle: „Hans, Du hast ja Recht! I bin grad a ratlos! I fürcht’, da bleiben jetzt nur no die Bürger, die ham si die Rechte ja vor langer Zeit selba erkämpft.“
S 1: „Aber da riskiert ma fei a Mords-Bußgeld, wenn ma si da dagegenstellt!“
Rettungsleitstelle: „Ja, des stimmt scho. Aba wenn ma überlegt, wie vui da im Lauf der Jahre ihr Leben g’opfert ham bis mia da warn, wo ma bis vor Kurzem gwen san, da sollts oam auf a paar Euro eigentlich net okomma.“
S 1: „Hast a wieda Recht. Aber was, was soll ma denn toa?“
Rettungsleitstelle: „Da hob i a ned glei a Lösung. I glab, da miass ma jetzt einfach mal zamm überlegen. Was is denn des, wos den Patienten im Moment am meisten gefährdet?“
S 1 und S 2 wie aus einem Mund: „Des is die Angst!“
Rettungsleitstelle: „Angst vor was?“
S 2: „Die oana vor der Krankheit – die andern vor de Maßnahmen dagegen!“
S 1: „Und jetzt ham alle Angst vor de Strafn.“
Rettungsleitstelle: „Hm, Angst – ja, ihr hobts scho Recht, des is grod des Gefährlichste! Was machma denn do normalerweis?“
S 1: „Naja, do dadma a angstlösends Medikament gebn. Aba mia kenna doch ned die ganze Bevölkerung ruhigstelln! I moan, da Spahn dad des vielleicht scho gern macha, aba soweit samma na do no ned!“
S 2: „Außerdem wiss mas ja seiba – des lindert bestenfalls die Symptome …“
Rettungsleitstelle: „I überleg grod, wos i in meiner Ausbildung glernt hob. »Angst« kommt ja von »Enge« und hot a a starke körperliche Komponente. Des Körperliche komma am schnellstn runterfahrn, wemma si weitmacht und tiaf atmet!“
S 1 und S 2 öffnen weit die Arme – und lassen die Bahre fallen.
Rettungsleitstelle: „Ja, habts ihr des jetzt glei wörtlich gnomma? Habts ihr am End den Patienten foiln lassn?“
S 1: „Ja, des war jetzt a bissl unbedacht, des stimmt. Aber jetzt issa wenigstens wieda bei Bewusstsein!“
S 2: „Des mid dera Weite hot fei scho wos gholfa. Aba des mit dem tiafn Atmen is echt schwierig, wemma soa Maskn aufhot!“
Rettungsleitstelle: „Des stimmt! Hm – da muaß ma jetzt abwägn. Dann miassn die Masken einfach runter!“
S 1 und S 2 nehmen die Masken ab und atmen tief durch. Beide: „Des fühlt si glei bessa o!“ S 2: „Aba ob des scho reicht? Da Patient atmet jetzt zwar scho ruhiger, aba er macht imma no an recht dahautn Eindruck.“
Rettungsleitstelle: „Wos ma sonst no eifoilt bei Angst is einfach gsunda Menschenverstand: Vaständnis zoagn, ois Mensch da sei, in Arm nehma …“
S 1: „Und genau des derf ma ja jetzt nimma!“
Rettungsleitstelle: „I woaß scho – aba des huift jetzt nix: es geht schließli um Leben und Tod von unsam Patienten!“
S 2: „Ma konn doch neamand gegen sein Willn umarmen!“
Rettungsleitstelle: „Na,na, um Godswuin, da dad ma ja den Patienten scho wieda gefährden! Ma miassat hoit mit dene ofanga, die si jetzt scho traun!“
S 1 und S 2 schauen sich einen Moment lang in die Augen. Dann atmen sie tief durch, gehen aufeinander zu und schließen sich fest in die Arme.
Gleichzeitig nähern sich aus allen Richtungen Menschen mit Masken, gehen aufeinander zu, nehmen die Masken ab, werfen sie zu Boden und umarmen sich.

Gaby Kerscher, Wessobrunn
(Redebeitrag zur Demo für die Grundrechte in Weilheim am 04.07.2020; auch als Video im Internet bei Vimeo unter https://vimeo.com/438689130)

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