Erster landkreisweiter Bürgerentscheid im Landkreis Weilheim-Schongau

Seit Einführung von Bürgerentscheiden in Bayern durch einen Volksentscheid im Jahr 1995, den wir dem Verein »Mehr Demokratie in Bayern« zu verdanken haben, hat schon eine Vielzahl von Initiativen dieses demokratische Instrument genutzt. Neben der großen Anzahl von Bürgerentscheiden in Gemeinden und Städten (etwa 2000) sind landkreisweite Entscheide eher selten – gerade mal 70 seit der Einführung im November 1995.
Am 4. Dezember 2022 findet nun im Landkreis Weilheim-Schongau erstmals ein Bürgerentscheid auf Landkreisebene statt.

Auf den Weg gebracht wurde das Bürgerbegehren vom »Aktionsbündnis Pro Krankenhaus Schongau«, das mit folgender Fragestellung 8303 Unterstützer-Unterschriften erhielt: „Sind Sie dafür, dass KEIN Zentralkrankenhaus gebaut wird, sondern dass die beiden Krankenhäuser in Schongau und Weilheim langfristig betrieben werden mit Gewährleistung einer Grund- und Regelversorgung mindestens der Stufe 1 sowie einer Notfallversorgung an 7 Tagen pro Woche und 24 Stunden am Tag und dass am Standort Schongau die Geburtenstation weiterbetrieben wird?“
Auch viele Gründe, die gegen ein Zentralkrankenhaus sprechen, werden von der Initiative genannt. So z. B. der Wegfall von landwirtschaftlichen Nutzflächen beim Neubau auf der grünen Wiese, die hohe finanzielle Belastung für den Landkreis, das eher unrealistische Versprechen eines MVZs in Schongau, die weiten Wege für Patienten, Besucher und Mitarbeiter in einem Flächenlandkreis wie Weilheim-Schongau. Hinzu kommt die Tatsache, dass in den letzten Jahren mehr als 50 Millionen Euro in die beiden Häuser in Schongau und Weilheim investiert wurden.

Die Verantwortlichen der Krankenhaus GmbH, die Landrätin und eine Kreistagsmehrheit sprechen sich für ein Zentralkrankenhaus aus. Es wird jede Gelegenheit genutzt, die Wahlberechtigten für ein »Nein« beim Bürgerentscheid zu gewinnen, so z. B. auch die Bürgerversammlung in Peißenberg und eine Stadtratssitzung in Weilheim, was dann immerhin zu folgenden Überschriften im Merkur führte:

  • »Peißenberg: Bürgerversammlung mit drei Werbeblöcken – Krankenhaus als zentrales Thema
  • »Krankenhaus-Wahlkampf im Weilheimer Stadtrat«

Diese eher kritische Art der Überschriften im Merkur ist allerdings selten.

  • »871 Ärzte haben entschieden: „Wir sind für das Zentralkrankenhaus“«, lautet z. B. die Überschrift eines Artikels, dem dann zu entnehmen ist, dass bei der Jahreshauptversammlung des ärztlichen Kreisverbandes dieses Thema diskutiert worden sei. Wie viele der 871 Mitglieder anwesend waren, ist nicht erwähnt.
  • »Was passiert, wenn der Bürgerentscheid Erfolg hat? „Dann ist Schongau zu“« Dies ist die Überschrift zu einem Artikel, in dem Prof. Norbert Roeder zu Wort kommt, der das Gutachten zur Zukunft der Krankenhaus Weilheim-Schongau GmbH verfasst hat.

Gutachten für die Krankenhaus GmbH gab es übrigens in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder. Eines davon hat dazu geführt, dass der Landkreis Weilheim-Schongau das Penzberger Krankenhaus verkauft hat, was dann in einem späteren Gutachten als Fehler bezeichnet wurde.

Das Aktionsbündnis hingegen erhält nicht so viele Gelegenheiten, seine Argumente darzulegen. So wurde z. B. von Weilheims Bürgermeister die Forderung eines Stadtrats strikt abgelehnt, nach den Befürwortern eines Zentralkrankenhauses in der Folgesitzung auch Mitglieder des Aktionsbündnisses einzuladen. Zudem äußerte sich ein Weilheimer Stadtratsmitglied laut Zeitungsbericht zum Bürgerbegehren so: „Das Dämlichste, was passieren hat können.“

Im Artikel 12 a der Landkreisordnung heißt es:
(14) 1Die im Kreistag und die von den vertretungsberechtigten Personen des Bürgerbegehrens vertretenen Auffassungen zum Gegenstand des Bürgerentscheids dürfen in Veröffentlichungen und Veranstaltungen des Landkreises nur in gleichem Umfang dargestellt werden.

Die Stadtratssitzung in Weilheim und die Bürgerversammlung in Peißenberg sind natürlich keine Veranstaltungen des Landkreises, aber es wäre ein Gebot der Fairness, beiden Seiten die gleichen Rechte einzuräumen. Inwieweit sich die Krankenhaus GmbH mit großen bezahlten Anzeigen zum Bürgerentscheid zu Wort melden darf, sei dahingestellt. Denn erstens ist sie eine kommunale GmbH und zweitens trägt der Landkreis seit Jahrzehnten das Defizit und somit natürlich dann auch die zusätzlichen Kosten für diese Anzeigen.

Bürgerentscheid am 2. Advent

Am 4. Dezember haben nun also die Wahlberechtigten im Landkreis die Möglichkeit, per Bürgerentscheid mitzubestimmen. Die Hürden, die der bayerische Staat – oder besser gesagt, die CSU – hierbei aufgestellt hat, sind allerdings alles andere als leicht zu nehmen.
Zum Ergebnis eines erfolgreichen Bürgerentscheids heißt es in der Landkreisordnung: „Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Beschlusses des Kreistags. Der Bürgerentscheid kann innerhalb eines Jahres nur durch einen neuen Bürgerentscheid abgeändert werden, es sei denn, dass sich die dem Bürgerentscheid zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage wesentlich geändert hat.“ In der 1996 per Volksentscheid eingeführten Form war noch eine Bindefrist von 3 Jahren festgesetzt, diese wurde 1999 auf ein Jahr verkürzt.
Erfolgreich ist ein Bürgerentscheid jedoch nur, wenn eine bestimmte Anzahl von Wahlberechtigten zugestimmt hat, eine einfache Mehrheit genügt nicht. „Bei einem Bürgerentscheid ist die gestellte Frage in dem Sinn entschieden, in dem sie von der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen beantwortet wurde, sofern diese Mehrheit in Landkreisen mit mehr als 100.000 Einwohnern mindestens 10 v. H. der Stimmberechtigten beträgt.“, steht dazu in der Landkreisordnung. Im Landkreis Weilheim-Schongau hat das Mehrheits-Ergebnis folglich nur Gültigkeit, wenn mindestens 11 000 Stimmberechtigte dies soll wollten.
Es bleibt also nur zu hoffen, dass eine ausreichende Zahl von Landkreisbürgern dieses demokratische Instrument schätzt und deshalb am Bürgerentscheid teilnimmt. Der Wahlbenachrichtigung wurden diesmal sogar die Briefwahlunterlagen gleich mit beigelegt. So kann jeder, der am 2. Advent etwas anderes vorhat, schon jetzt seinen Stimmzettel ausfüllen und abgeben.


Rückblick auf die Einführung der Bürgerentscheide in Bayern

Hier einige Ausschnitte aus OHA-Druckausgaben aus der Zeit, in der sich der Verein »Mehr Demokratie in Bayern« für die Einführung von Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene in Bayern eingesetzt hat.

OHA Juni 1993:
»Omnibus für direkte Demokratie unterwegs im Pfaffenwinkel«, so lautet die Titelstory dieser Ausgabe.

Das Foto zeigt den Bus am Schongauer Marienplatz. Hier konnten sich die Bürger informieren und mit ihrer Unterschrift die Zulassung des Volksbegehrens unterstützen.

OHA Januar 1995
Auf Seite 2 der Artikel: »Volksbegehren „Mehr Demokratie in Bayern“: Die Eintragungsfrist läuft Anfang Februar an!«
Die erste Hürde zum Volksentscheid war geschafft. Nun folgte die zweite. In der Zeit vom 6. bis 19. Februar 1995 müssen sich fast 900 000 Wahlberechtigte in die Volksbegehrenslisten in den Rathäusern eintragen, damit es dann spätestens sechs Monate darauf zum Volksentscheid kommen kann.
Auf Seite 7 wirbt die Umweltinitiative Pfaffenwinkel e. V. für das Volksbegehren mit der Überschrift: »Mehr Demokratie als Chance für aktive Bürgerbeteiligung« und ruft ihre Mitglieder dazu auf, das Volksbegehren auch aktiv zu unterstützen.

OHA Februar 1995
»Wir sind kein blödes Volk!« lautet der Leitartikel von Hans Schütz zum Volksbegehren zur Einführung des Bürgerentscheids auf kommunaler Ebene. Neben Zitaten von Politikern und Wissenschaftlern pro Bürgerbeteiligung führt er auch Aussagen von Lokalpolitikern an.
„Etikettenschwindel … untergräbt die freie Gewissensentscheidung der Mandatsträger und die kommunale Selbstverwaltung … keine Planungssicherheit mehr … Handlungsunfähigkeit für Städte und Gemeinden … insgesamt weniger Demokratie.“
„ … dass Minderheiten kommunale Vorhaben auf Jahre blockieren oder andererseits Entscheidungen herbeiführen könnten, die unbezahlbar wären … Ermächtigungsgesetz für Querulanten … Bürgerbeteiligung läuft der repräsentativen Demokratie zuwider … Verhinderungspolitik durch Minderheiten … permanente Wahlkampfatmosphäre … schweigende Mehrheiten vor vorteilsbestimmten Minderheiten schützen … die Folgen für unser bewährtes System wären fatal … warne davor, das kommunale Mandat auszuhöhlen und die Handlungsfreiheit der Verwaltung unnötig zu erschweren“.

OHA Juni 1995
Auf Seite 4 ist eine Pressemeldung des Vereins »Mehr Demokratie in Bayern« zum CSU-Gegenentwurf abgedruckt. »CSU-Entwurf mit vielen zusätzlichen Hürden – Bürgermitbestimmung politisch nicht beabsichtigt«, lautet die Überschrift.

OHA Oktober 1995
»Ein großartiger Sieg für alle Bürgerinnen und Bürger!«, so die Überschrift des Kommentars zum Volksentscheid von Hans Schütz. Er zitiert dabei u. a. wie folgt aus einem Kommentar eines heimischen Journalisten: Da ist von „bitterem Beigeschmack“ die Rede und davon, dass diesmal jene Sieger seien, „die bei Kommunalwahlen noch nie die erforderliche Mehrheit erhalten haben und wahrscheinlich auch nie erreichen werden“, und weiter: „Mit Hilfe eines Bürgerentscheids kommen sogenannte Möchtegernpolitiker durch die Hintertür. Muss sich da nicht jeder ordentlich gewählte Mandatsträger verhöhnt fühlen?“


Auf der Homepage von »Mehr Demokratie in Bayern«

findet man u. a. das Ergebnis des Volksentscheids und ein Zitat aus dem Tagesanzeiger Zürich, 3.10.1995:

1. Oktober 1995:
In 86 von 94 Landkreisen fällt der Volksentscheid zugunsten des Gesetzentwurfs von Mehr Demokratie aus.

  • Ja zur Initiative von Mehr Demokratie: 57,8%
  • Ja zum CSU-Landtagsentwurf: 38,7%
  • Ablehnung beider Entwürfe: 3,4%
  • Ungültige Stimmen: 0,5%

Zitat:
„Bayern ist Spitze. Was auf dem Fußballfeld schon fast selbstverständlich ist, dürfen nun alle Bürgerinnen und Bürger für sich in Anspruch nehmen: Mit ihrem Ja zur Volksinitiative haben sie auch auf Gemeindeebene die direkte Demokratie eingeführt und sich ein Maß an demokratischer Mitsprache gegeben, das in Deutschland seinesgleichen sucht.“

Renate Müller, Schongau

Print Friendly, PDF & Email

Schreibe einen Kommentar

Bitte bleiben Sie sachlich. Beiträge mit beleidigenden oder herabwürdigenden Inhalten oder Aufrufen zu Straftaten werden ebenso gelöscht wie solche, die keinen Bezug zum Thema haben. Ein Anspruch auf Veröffentlichung besteht nicht!

Es wird Ihr Vorname, Nachname und Wohnort veröffentlicht. Straße, E-Mail-Adresse und Website bleiben unveröffentlicht.