Honduras: ein Volk hat sich entschieden (30)

Erneut hatte ich, Karl Heuberger, Gelegenheit, knapp vier Wochen in Honduras zu weilen. Gerne teile ich mit euch stichwortartig einige Eindrücke und Beobachtungen, die ich im Rahmen der Gespräche und Besuche machen konnte.

Politische Krise

Die Ende Januar 2010 ins Amt eingesetzte Regie­rung von Porfirio Lobo kämpft ums Überleben. Hon­duras in der internationalen Staatengemein­schaft wieder zu rehabilitie­ren, gehört zu Lobo‘s wichtigsten Zielen. Zu diesem Zweck gab er anlässlich seines Auf­tritts in Madrid von Mitte Mai sogar öffent­lich zu, dass es in Honduras Ende Juni 2009 einen Militärputsch gegeben hatte. Bereits schon diese und ähn­liche Eingeständnisse gehen den wirklichen Machthabern in Hon­duras, eine Hand­voll Großgrundbe­sitzer und Unternehmer, zu weit. Es gibt bereits Ge­rüchte, dass er seine Zu­geständ­nisse teuer zu bezahlen habe, sprich, dass auch er gestürzt wer­den müsse.

Wahrheitskommissionen

Heute haben wir in Honduras zwei Wahrheitskommissionen: Die offizielle »Comisión de la Verdad y Reconciliación« der Regierung und die »Comisión de Verdad« des Zusammenschlusses der Menschen­rechtsorganisationen. Während die offizielle Kommission vorab die internationale Gemeinschaft zu beruhigen versucht, will die Plattform der Menschenrechtsorganisation untersuchen, wer welche Rolle im Militärputsch vom Juni 2009 und der bis heute anhaltenden Repression gespielt hat und auch weiterhin einnimmt. Die »Comisión de Verdad« soll die Grundlagen liefern, diese Perso­nen zur Rechenschaft auch vor internationalen Gerichten ziehen zu können.

Überschwemmungen und Nothilfe

In Honduras, vorab im Süden, hatte es zwischen dem 27. und 30. Mai 2009 intensiv geregnet. Die Regierung hatte den Notstand ausgerufen und die internationale Gemeinschaft um Hilfe ersucht. Was in Gesprächen mit Partnerorganisationen jedoch immer deutlicher wurde: es waren intensive Niederschläge, aber von einem nationalen Notstand zu reden, steht im krassen Widerspruch zur wirklichen Situation. In den Medien wurde die Katastrophe aufgebläht. Es gibt Grund zur Annahme, dass die Regierung die Gelegenheit benutzte, um wieder in den Genuss von internationalen Gel­dern zu kommen. Zum Zeitpunkt der abgrundtiefen politischen Krise kamen die Überschwemmungen wohl gerade gelegen, um von der Ursache der Krise abzulenken und Honduras durch die Hinter­tür der humanitären Hilfe wieder in die internationale Staatengemeinschaft zu integrieren.

Straflosigkeit und Justizkrise

In Honduras ist das Justizsystem praktisch zusammengebrochen. Der Oberste Gerichtshof stützt die Interessen der Oligarchie und missbraucht seine Macht, um Gegner des Militärputsches auszuschal­ten. Kürzlich wurden Richter, die auf den Missbrauch der Justiz durch die Oligarchie mittels eines Hungerstreiks aufmerksam machen wollten, kurzerhand von ihrem Amt enthoben. Das Vertrauen in die Justiz ist auf einem Tiefststand. In Tegucigalpa allein gibt es an Wochenenden bis zu 25 Ermor­dete. Niemand glaubt mehr daran, dass die Justiz fähig und willens ist, diese und ähnliche Fälle zu ahnden.

Verfassungsreform

Die Frente Nacional de Resistencia, eine nationale Bewegung, die sich für Partizipation und Demokratie einsetzt, hat vor einigen Wochen mit der Unterschriftensammlung begonnen mit dem Ziel, die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung zu erreichen. Am 28. Juni 2010, dem ersten Jahrestag des Militärputsches, sollen die dafür nötigen, rund 1.1 Mio Unterschriften beisammen sein und dem Kongress übergeben werden.

Die Oligarchie fürchtet sich vor dieser Initiative wohl wie vor keiner andern Forderung. Letztlich war es genau die von Präsident Zelaya angestrebte Abstimmung vom 28. Juni 2009 über die Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung, welche die Mächtigen dazu bewogen hatte, den Militärs den Auftrag zum Sturz von Zelaya zu geben. Wir müssen davon ausgehen, dass es Ende Juni dieses Jahres und im Zu­sammenhang mit dieser Forderung des Volkes zu massiver Repression kommen wird.

Menschenrechte und Kirchen

In Gesprächen mit Partnerorganisationen und Einzelpersonen ist mir immer wieder aufgefallen, wie groß die Enttäuschung über das Schweigen der Kirchen angesichts der massiven Gewalt und Repres­sion ist. Dabei hätten es die Kirchen in der Hand, einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Krise zu leisten. Sie haben die moralische Verantwortung, auf die Sündhaftigkeit der heutigen Struk­turen hinzuweisen, welche die Mehrheit der Menschen in die Armut und ins Elend treibt. Hohe Repräsentanten der Kirchen, sowohl der katholischen wie auch von evangelischen Kir­chen, stützen mit ihrem Schweigen die bestehenden Machtverhältnisse und machen sich mitschuldig an der systematischen Verletzung der Menschenrechte.

Mai Kundgebung 2010 Tequcigalpa

1. Mai 2010 in Tegucigalpa: Hunderttausende nehmen teil an den Kundgebungen und fordern ein Ende der Straflosigkeit

Das Volk hat sich entschieden

Honduras erlebt eine Um- und Aufbruchsphase, die es in dieser Art in seiner Geschichte noch nie gegeben hat. Die Arroganz und Brutalität der Mächtigen ist maßlos. Es scheint mir ein Gebot der Stunde, jetzt das honduranische Volk nicht alleine zu lassen. Die Menschen sind auf die Aufmerksam­keit der internationalen Gemeinschaft, auf Zeichen der Solidarität und letztlich auf ein entschiedenes Eingreifen der Staatengemeinschaft zum Schutz der Menschenrechte angewiesen. Weite Kreise in der Bevölkerung sind entschlossen, den Missständen entschlossen entgegenzutreten. In ihrem Rin­gen um Gerechtigkeit sind sie auf die Solidarität von uns angewiesen.

Mit herzlichen Grüßen

Karl Heuberger aus Zürich
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