US-Imperialismus in Verbindung mit Covid-19

Wladimir Lenin sagte einmal: „Es gibt Jahrzehnte, in denen nichts passiert. Und es gibt Wochen, in denen Jahrzehnte passieren.“ Zutreffender kann man die Gegenwart momentan nicht erklären.

Dinge vergehen. Die Zeit verstreicht. So wird auch die gegenwärtige Coronaseuche vergehen. Aber was danach kommt, gibt Grund zur Sorge. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Seuchen wie die Pest, Cholera und neueren Datums auch die Spanische Grippe in verschiedenen Regionen der Welt massive sozioökonomische Not zur Folge hatten. Sie lösten politische Umwälzungen sogar Kriege aus und schufen neue Machtkonstellationen.

Angesichts von mehr als 350 000 Corona-Toten, fast sechs Millionen Infizierten und der lahmgelegten Weltwirtschaft gibt es keinen Grund zu denken, dass die heutige Welt davon unberührt bleiben wird. Natürlich kann der angerichtete Schaden nicht exakt benannt werden, aber eines ist sicher: Unsicherheit. Es ist vernünftig, aus früheren Ereignissen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Das heißt, sich nicht ins Reich der Fantasien zu begeben, sondern sich auf den schlimmsten Fall vorzubereiten. Lasst uns zunächst die allgemeinen Rahmenbedingungen unserer globalisierten Welt untersuchen.

Erstmals in der Geschichte der Menschheit wird die ganze Welt von einer globalen Weltmacht dominiert, die nach der alten Doktrin handelt: Wer die Macht hat, hat auch Recht. Die Fassade der Demokratie, die Menschenrechte und die Einhaltung der Gesetze bestehen zwar, aber das hindert die Weltmacht nicht, ihren Willen schwächeren Staaten aufzuzwingen. Die Weltmacht mit ihren Verbündeten, präziser gesagt »befreundeten Staaten«, geht davon aus, die Vorsehung habe sie dazu bestimmt, die Weltordnung aufrecht zu erhalten. Folglich müssen alle anderen gehorchen! Und wer nicht mitmacht, muss mit Repressalien rechnen. Das ist die Logik der Weltmacht, weil es auch die Natur der Macht ist. Diplomatischer Druck, Sanktionen, Regierungswechsel, das Entfachen von Aufständen, notfalls auch Militärinvasionen sind gängige Methoden, um die gewünschte Ordnung wieder herzustellen.

Ja, dagegen gibt es intern Widerstand von Seiten »humanerer Elemente«. Ja, die Verbündeten, die befreundeten Staaten murren durchaus. Ja, und andere Machtstaaten geben sich alle Mühe, anderen das Leben schwer zu machen, aber letztlich dominiert die Weltmacht. Die USA-Dominanz beruht auf ihrer militärischen Stärke und weltweiten Finanzkontrolle. Die treibende Kraft ist die Weltmachtslogik, die – von unersättlicher Gier getrieben – meint, die Ressourcen der ganzen Welt kontrollieren zu müssen.

Mit fast 800 Militärbasen in 70 verschiedenen Ländern ist klar, wer die militärische Kontrolle hat. Etwas komplizierter ist die Kontrolle der Finanzen. Nach dem 2. Weltkrieg ersetzte der US-Dollar das britische Pfund Sterling als Weltreservewährung. Der Krieg verschonte die Vereinigten Staaten einigermaßen und sie waren jetzt die größten Gläubiger. Die amerikanische Wirtschaft ist gewaltig und robust genug, sie abzusichern. Der Dollar war so gut wie Gold. Der enorme Wohlstand basierte größtenteils auf der Munitionsproduktion im 2. Weltkrieg und dann während des Kalten Krieges. Nach dem Krieg verlagerte sich die Produktion auf eine Vielzahl von Produkten. Amerika entwickelte sich zum globalen Lieferanten und Käufer verschiedenster Waren und Dienstleistungen aus der ganzen Welt. Eine breite industrielle Basis schuf ideale Bedingungen für amerikanische multinationale Unternehmen und die Folge waren Vollbeschäftigung und das Gefühl, Außergewöhnliches zu leisten. Das wiederum ermöglichte der herrschenden Elite, eine »Weltherrschaftsidee« zu entwickeln, etwas, was alle mächtigen Nationen im Lauf ihrer Geschichte erlebten.

Unter dem Vorwand, den Kommunismus einzudämmen, entwickelte sich in den USA eine breite, sozioökonomische Struktur, die als »militärisch-industrieller Komplex« bekannt wurde und die seitdem überdurchschnittlich wuchs. Was allerdings – außer einigen wenigen, scharfsinnigen Akademikern – niemand so recht bemerkte, war, dass der sogenannte »amerikanische Traum« in ständiges Kriegführen eingebunden war. Das Ganze ist ein Gemenge aus Verteidigungs-, Energie-, Banken- Technologie- und Medienindustrien, die absolut alles in Amerikas Wirtschaft und Politik im Griff haben. Das bedeutete, dass Kriege, vom Standpunkt der Wirtschaft aus gesehen, auch heute noch notwendig sind. Der gesamte Bereich der Politik, Außen- oder Innenpolitik, unterliegt dieser Notwendigkeit!

Jedoch kamen in den vergangenen 30 bzw. 40 Jahren neben der Verteidigungs-/Kriegsindustrie die höchsten Profite nicht aus dem Fertigungssektor, sondern aus dem Finanzsektor. Dabei geht es hauptsächlich um Einkünfte aus Finanzmanipulationen, Spekulationsgewinnen und nicht zuletzt aus regelrecht offiziellen Betrügereien! »Gewinne ohne jede Produktion« hieß das Mantra der Ultrareichen! Während 1 Prozent(!) der Amerikaner unfassbare Gewinne verbuchten, verloren Millionen von Arbeitern ihre Arbeit an noch billigere Arbeitskräfte im Ausland! Und die fortschreitende Globalisierung beschleunigte diesen Prozess noch zusätzlich. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geriet der amerikanische Druck dann völlig außer Kontrolle. Jede Ausrede war gut und recht! Man darf also mit Fug und Recht sagen, dass die USA in den letzten 30 Jahren fast ein Dutzend Länder angegriffen und/oder zerstört haben.

Während sich also Amerikas Eliten auf ihr Imperium konzentrieren, lebt fast ein Drittel aller Amerikaner von einem Gehaltsscheck zum nächsten. Trotzdem geht das Geschäft mit dem Krieg weiter, weil es das lukrativste ist. Ständiges Kriegführen ist mit enormen Kosten verbunden, mit wirtschaftlichen Ausgaben und menschlichen Verlusten. So lange sich die meisten arbeitsintensiven Industrien im Inland befanden, bezahlten die Steuerzahler der Mittelklasse die Rechnung und die jungen Männer der Arbeiterklasse wurden in den Krieg geschickt. Seitdem aber die Fließbänder ins Ausland verlagert wurden, kam Amerika ins Defizit. Dennoch wurde die Kriegsmaschinerie nicht gestoppt. Sie kostete Billionen, die Mittelklasse schrumpfte und die Zahl der Arbeiter, die unter die Armutsgrenze fielen, nahm ständig zu.

Wie aber ging man mit dem Defizit um? Die meisten Länder behielten ihre ausländischen Devisen in US-Dollar beim Zentralbank-System der Vereinigten Staaten (= Fed) als Reservewährung. Selbst nachdem die Fed 1971 den Dollar vom Gold abgekoppelt hatte, litt das Vertrauen in die amerikanische Weltbank nicht. Die Fed deckte ihr Defizitbudget mit Krediten aus den Ersparnissen anderer Länder ab, in der Hoffnung, die amerikanische Wirtschaft und die ausländischen Gewinne würden die Gläubiger im Laufe der Zeit wieder entschädigen. Mit den Kriegsausgaben stiegen auch die Kreditaufnahmen. Die Schulden stiegen immer weiter. Die Fed reagierte mit der Ausgabe/Emission von Staatsanleihen. Länder mit überschüssigen Mitteln begannen, solche Anleihen zu kaufen, um ihre Währungsreserven aufzustocken. Amerikas Verschuldung in den letzten drei Jahrzehnten gegenüber 194 Ländern wird bis Ende dieses Jahres mehr als 25 Billionen US-Dollar betragen, drei Billionen davon alleine an China. Die alarmierenden Privatschulden sind bei diesen Summen noch gar nicht berücksichtigt!

Bankiers und Kunden stecken in einer verzwickten Lage. Es ist einfach alles zu kompliziert. Erstens bedeutet es, dass jeder verrechnete US-Dollar einen Betrag an die Fed abgibt, und sei es noch so wenig. Zweitens bedeutet es, dass alle Transaktionen von der Fed überwacht werden. Transaktionen, die den USA nicht gefallen, können zurückgehalten oder schlimmstenfalls beschlagnahmt werden. Das wiederum hat zur Folge, dass jeder Kunde, bzw. jedes Land, das nicht bereit ist, Washingtons Regeln einzuhalten, das Risiko eingeht, sein Geld zu verlieren.

Genau das passierte 2019, als die USA und Großbritannien kurzerhand die Dollar- und Goldreserven Venezuelas beschlagnahmten. Drittens schließlich zahlen die Banken nur minimale Zinsen, die Kunden dagegen können aus Angst vor Sanktionen keine großen Einlagen abheben, obwohl auch sie Dollarreserven benötigen, um ihrerseits ihre Zahlungsbilanzen zu decken. All das gibt den USA eine enorme Kontrolle über die globalen Finanzen. Trotz alledem schwankt Amerikas Haushaltssaldo immer noch, weil der instinktive Wunsch, die ganze Welt zu beherrschen, einfach unersättlich ist.

Während also das Verteidigungsbudget steigt, bricht die Infrastruktur weiter zusammen. Fast ein Drittel der amerikanischen Bevölkerung kann sich keine Gesundheitsversorgung mehr leisten und schlimmer noch – sie haben nicht ausreichend zu essen, können keine Miete zahlen und haben Schulden aus ihrer Studienzeit. Die USA sind vorbereitet auf einen globalen Krieg, nicht aber auf eine Pandemie. Die ganze Welt war verblüfft: der Kaiser nackt hinter der Fassade der Unbesiegbarkeit! Eine mächtige Präsenz auf der ganzen Welt ist nichts als Prahlerei! Amerika ist nicht einmal in der Lage, für sich selbst zu sorgen! China hatte zu Beginn der Pandemie etwas ungeschickt reagiert, aber die strengen Eindämmungsmaßnahmen ab Mitte Januar waren für die ganze Öffentlichkeit deutlich sichtbar. Die USA und Europäer dagegen bildeten sich ein, quasi immun gegen die Seuche zu sein. Sie verschwendeten wertvolle Zeit, schieben aber jetzt die Schuld auf China! Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte eine unabhängige, wissenschaftliche Untersuchung einleiten, um den Ursprung und die Wirkungsweise der Seuche zu ermitteln, damit sie nicht erneut auftritt. Sollten aber die USA und ihre Verbündeten weiterhin auf ihrer Hexenjagd bestehen, dann sollte auch eine UN-Kommission eingesetzt werden, die die Schäden bewertet, die der Kolonialismus, vor allem der der USA, in den letzten 100 Jahren oder mehr angerichtet hat.

John Perkins, Autor von »Confessions of an Economic Hit Man« (Bekenntnisse eines Economic Hit Man – erweiterte Neuausgabe: Unterwegs im Dienst der Wirtschaftsmafia, Okt. 2016) kommentierte folgendermaßen: „Die Zahl der amerikanischen Corona-Todesopfer ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie dieselben Menschen, die sich schwächere Regierungen mit schwer zu tilgenden Darlehen, korrupten Geschäften und gelegentlich auch mit inszenierten Staatsstreichen willfährig machen wollen, eigentlich der amerikanischen Öffentlichkeit schaden!“ Können sich die USA aus ihrer Schuldenfalle befreien? Wenn sich nichts ändert, sicher nicht! Wie sagt das Sprichwort: »Schulden holen dich immer ein!«

Aber das ist der Fluch der imperialen Logik. In schwierigen Zeiten suchen die Mächtigen immer nach schnellen Lösungen, was aber oft zu verzweifelten Maßnahmen führt. Das eine Prozent der amerikanischen Führung könnte durchaus drohen, Chinas finanzielles Vermögen zu beschlagnahmen, falls China nicht bereit sein sollte, klein beizugeben. Das wiederum könnte zur Konfrontation führen. Amerikas Führung könnte versuchen, einen zweiten »Kalten Krieg« mit China zu beginnen, oder versehentlich sogar einen »Heißen«. Der erste »Kalte Krieg« hat die USA bereichert. Das wäre eine starke Versuchung und es könnte sein, dass solche Gedanken in Washington überparteiliche Unterstützung finden. China ist aber weder militärisch noch wirtschaftlich schwach. Amerikas Rücksichtslosigkeit könnte die ganze Welt in Gefahr bringen. Vor einigen Jahren schrieb der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer: „Eine der wichtigsten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts wird es wohl sein, den Niedergang der US-Macht zu bewältigen.“ Er könnte damit durchaus Recht haben.

Verfasser: Ali Ahmed Ziauddin, ehemaliger Politologe an der Universität Dhakal Bangladesch und ehemaliger Freiheitskämpfer

Erstveröffentlichung – Originaltitel: »US imperialism in the wake of Covid-19« – in: The Daily Star, Dhaka, Bangladesch, Friday, June 5, 2020 – Übersetzer: Ulrich Lachenmair/Hermann Warth

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