Verdrängung

Saskia Hoffmann, René Herder und Holger Kant, Schüler einer Abiturklasse am Gymnasium Weilheim, während einer Unterrichtspause im Gasthof Dachs (Gym-Tradition)

S: Übrigens, meine Großeltern haben vor Kurzem ihre Führerscheine abgegeben und ihr Auto verkauft.

R: Ist doch nicht wahr?!

H: Doch.

S: Woher weißt jetzt du das schon wieder?

H: Ich habe sie letzte Woche am Marienplatz getroffen. Sie saßen bei einem Cappuccino vorm Quadriga, und da haben sie mir das erzählt.

R: Führerschein abgeben, Auto verkaufen – Leute, das macht man doch nicht so einfach, oder?

S: Sie haben sich das fast ein Jahr lang überlegt und sich dann kühl und locker dafür entschieden.

H: Zu mir haben sie gesagt, dass sie das Auto schon lange nicht mehr freut, wegen der Umwelt, dem zunehmenden Verkehr und der Parkplatzsucherei.

S: Dabei gab es für die beiden bis Ende der Neunziger nichts Schöneres, als jeden Mai für drei Wochen nach Süditalien zu düsen.

H: Zu mir sagten sie, dass sie bei ihrer letzten Heimfahrt von Zweifeln überfallen wurden. Sie fragten sich, ob das wirklich noch zu vertreten ist, was sie da machen. Sie haben auf einmal gespürt, dass sie die Schattenseiten ihrer Italientouren bisher einfach verdrängt haben.

R: Schattenseiten verdrängen gehört offenbar zum Menschsein, wenn ich mich so umschaue.

S: Und wir Deutschen sind diesbezüglich leider nicht allein. Die halbe Welt liefert sich derzeit geradezu ein Rennen in dieser Richtung.

R: Sogar die Klimaaktivisten verdrängen, dass sie bei der Vorbereitung und Durchführung ihrer Aktionen gehörig Strom verbrauchen: Handy, Internet, Computer usw. Fast zehn Prozent unseres Stromverbrauchs resultieren inzwischen aus dem Betrieb der digital vernetzten Welt. Und die funktioniert halt nicht ohne gigantische, stromfressende Rechenzentren und deren gewaltigen Kühldurst.

H: Die beiden erzählten mir auch, dass sie nach der letzten Heimfahrt aus Italien noch ein paar Mal mit Bahn und Bus an den Weißensee in Kärnten gefahren sind. Seit einigen Jahren machen sie aber nur mehr Tagesausflüge mit dem Fahrrad zu den Seen in der Umgebung und sind glücklich dabei.

R: Kann ich mir vorstellen. Aber, Saskia, warum kein kleines Elektroauto? So ganz ohne Auto, das geht doch eigentlich nicht.

S: Sie sagen, dass die massenhafte Nutzung der Autos so oder so schlecht ist, dass es ohne klaren Schnitt nicht geht. Ihnen genügt inzwischen Fahrrad, Bus und Bahn – gegebenenfalls wollen sie sich ein Taxi rufen.

R: Respekt! Bezüglich Entschlusskraft könnten sich auch die Grünen eine Scheibe von den beiden abschneiden.

H: Tun sie aber nicht. Du, die verdrängen doch inzwischen hemmungslos ihre ureigenen und ursprünglichen Ideen und Zielsetzungen.

S: Ja, so konsequent handeln, wie das meine Großeltern schon lange machen, ist nicht einfach. Aber, René, wenn »ich« mich einmal so umschaue, dann wird die Menschheit nicht darum herumkommen, ihre Verdrängungsmentalität schleunigst abzulegen.

Guggera

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