Vom neuen Götzen

Wolfram Mertin

Wolfram Mertin

Das Wort wird oft im Gegenteil erst wahr. Dies trifft vor allem in der Politik zu. Vor allem wenn die Politiker von „Leit(d)­kultur“ faseln, denn Staat und Kultur, das geht überhaupt nicht. Denn es liegt ja auf der Hand, dass die deutsche Kultur niedergeht, es fehlt auch nicht an zureichendem Grund dafür. Niemand kann zuletzt mehr ausgeben, als er hat – das gilt vom Einzelnen, das gilt von Völkern ( außer den Stammtisch-Philosophen der Politik). Um mit anderer Leute Besitz umzugehen, braucht es Verantwortungsgefühl. Und davon besitzen diese nicht viel.

Denn – gibt man sich für Macht, für große Politik, für Wirtschaft, Weltverkehr(Globalisierung), Parlamentarismus aus, gibt man das Quantum Verstand, Ernst, Wille, Selbstüberwindung, das man ist, nach DIESER Seite weg, und FEHLT so auf der anderen Seite. Die Kultur und der Staat – man betrüge sich hierüber nicht – sind Gegensätze: „Kultur – Staat“, „Leitkultur“ sind bloß moderne Ideen, Export-Artikel. Das eine lebt vom anderen, das eine lebt auf Kosten des anderen.

Und diese sogenannte Leitkultur besitzt eine Junkie-Mentalität, der Sucht nach immer neuen und immer stärkeren Reizen. Ein extremer Materialismus, wo Geld die allgemeine Gottheit ist, der jeder willenlos opfert und die alle Schicksale souverän modelt und lenkt.

Diese Zeit hat es nicht mehr nötig, vom christlichen Gott zu wissen, denn sie besitzt einen neuen Gott: nämlich das Geld!

Die Politik war eigentlich dafür gedacht, langfristig – auch für kommende Generationen – zu planen und zu entscheiden, eben „nachhaltig“. Heute jedoch ist die Politik dabei, nur die Gelegenheit auszubeuten und nur auf den Moment Rücksicht zu nehmen, auf der Suche und Sucht nach dem schnellen Geld, um damit die Zukunft kommender Generationen zu zerstören. Und wenn man sich die Praktiken der Parteien anschaut, wenn es um Machterhalt und Wahlerfolge geht, was dieses pausenlose Misstrauen und Ängste schüren, das Füttern von Gefühlen der Verunsicherung, das Spielen mit den Ängsten der Bürger, im Seelen-Leben der Menschen anrichtet, erkennt man den minderen Charakter dieser Demagogen.

Denn, wenn man schaut, was auf dem Altar dieses neuen Götzen »Materialismus« geopfert wird – Menschenwürde, Menschenrechte und die Zerstörung von Natur und Völkern, so sind wir keinen Deut besser als frühere »primitive« und Menschenopfer bringende Kulturen.

Eben weil die Politik, das Regieren, sich zum Sklaven von wirtschaftlichen Zwängen macht und sich abhängig macht von Renditen, BIP und wirtschaftlichen Wachstumsquoten.

Persönliche Vorteilinteressen der politischen und wirtschaftlichen Funktionseliten haben längst jegliche Gemeinwohl-Interessen zur Seite geschoben. Das Wort „Gemeinwohl“ ist für jene nur ein Fantasie-Produkt, für sie ein sehr gefährliches, erdacht zum Zwecke „ungerechter Belastung“ der Wohlhabenden. Und so sind auch Gesetze und Bestimmungen für diese Leute äußerst schädlich und hinderlich, außer man kann sie für diese Gruppen ausnutzen oder gleich mitgestalten.

Dies ist eine Zeit, wo die Grenzen überschritten werden, wo private Freiheit und ein perverser Egoismus, die Entfesselung der Privatperson durch einen pervertierten Neoliberalismus, zum Verderben aller oder zumindest vieler führt. Und hier hat die Politik, der Staat versagt, denn er hat in seiner eigentlichen Aufgabe versagt, den Privaten vor den Privaten zu schützen. „Die verfaulten herrschenden Stände haben das Bild des Herrschenden verdorben!“* Mit diesem Standpunkte erreicht der Mensch die letzte Stufe der Erniedrigung, bei welcher er freilich zugleich um so hochmütiger ist, als er sich diese Erniedrigung als das Höchste und als seine wahre Bestimmung erwiesen zu haben glaubt.

Ob nun der Einzelne von einer Einrichtung leide, die dem Ganzen frommt, ob er an ihr verkümmere, ihretwegen zugrunde gehe – egal – die Sitte muss erhalten, das Opfer gebracht werden. Eine solche Gesinnung „entsteht“ aber nur in denen, welche „nicht“ das Opfer sind! Und bei aller berechtigten Kritik an den „Führungseliten“ sollte sich jeder Bürger einmal selbstkritisch fragen, ob und wie weit er dieses perverse Spielchen mitmacht. Oder ob er, wie früher beim kirchlichen Ablasshandel, mit der Zahlung von Steuern, sich seiner Mündigkeit und Selbst- oder Mitverantwortung entledigt.

In der Werteskala der menschlichen Lebensäußerungen, also der menschlichen Kultur, nimmt das Wirtschaftsleben den untersten Rang der menschlichen Betätigungen ein.

In unserer Kultur bestimmen jedoch die „materiellen Produktionsverhältnisse“ den „gesamten sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess“.* Das Wirtschaftsleben sollte eigentlich weit davon entfernt sein, ein adäquater Ausdruck der jeweiligen Kultur zu sein, gehört, genaugenommen, überhaupt noch gar nicht zur Kultur, bildet nur eine ihrer Vorbedingungen und nicht einmal die vitalste, jedenfalls in einer sogenannten Kultur-Nation.

„Mit Geld wuchern heißt nicht arbeiten, sondern andere schinden in Müßiggang!“*

Wolfram Mertin

 

*Alle Zitate aus: Egon Fridell, »Kulturgeschichte der Neuzeit«

 

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