Was haben die Revolutionär*innen in Bayern 1918/19 erreicht – und was wurde ihnen angedichtet?

  1. Die Revolution 1918 war kein Werk landfremder »Sozialisten und Juden« oder eines »entwurzelten Mobs« wie es über lange Zeit von führenden bayerischen Historikern denunziatorisch behauptet wurde. Sie wurde in ihrem Kern getragen und durchgeführt von Arbeiterinnen und Arbeitern und deren Organisationen.
  2. Und sie beschränkte sich auch nicht auf München, ausgehend von »Schwabinger Literaten«, sondern ergriff mehr oder weniger weite Teile Bayerns. In 7000 von 7400 bayerischen Gemeinden gab es Räte, so Günter Baumgartner in seinem akribisch recherchierten Buch »Die bayerische Revolution 1918/19 in Stadt & Land«.
  3. Nicht nur die katastrophalen Folgen des Ersten Weltkrieges führten zu revolutionären Zuständen und zum Sturz der Wittelsbacher. Auch die Vorkriegszeit war nicht die »gute, alte Zeit« wie sie zum Beispiel in der Fernsehserie »Königlich Bayerisches Amtsgericht« glorifiziert wurde.
  4. Die Revolution am 7. November 1918 war eine der friedlichsten der Weltgeschichte. Kurt Eisner proklamierte in seinem Aufruf an die Bevölkerung am 8. November 1918: „In dieser Zeit des sinnlos wilden Mordens verabscheuen wir alles Blutvergießen. Jedes Menschenleben soll heilig sein!“ Seine Ermordung im Februar 1919 durch den Grafen Arco von Valley bedeutete eine Zäsur.
  5. Bereits unter der kurzen Regierung Eisner geschahen fundamentale Reformen. Heinrich Mann urteilte darüber so: „Die hundert Tage der Regierung Eisners haben mehr Ideen, mehr Freuden der Vernunft, mehr Bewegung der Geister gebracht, als die fünfzig Jahre vorher“.
  6. Was wurde erreicht? Einige Beispiele:
    allgemein: Beseitigung der Monarchie; Wahlrecht für Frauen; Einführung des Acht-Stunden-Tages
    die Schulen betreffend: Beseitigung der kirchlichen Schulaufsicht; Prügelstrafe an Schulen wurde verboten; Zölibat für Lehrerinnen wurde aufgehoben;
  7. Die wenigen Gewalttaten auf Seiten der Revolutionäre wurden maßlos übertrieben dargestellt, zum Beispiel der »Geiselmord«, der kein Geiselmord war, an – überwiegend – Mitgliedern der Thule-Gesellschaft.
    Das grausame Wüten und die Massaker der Weißen Garden wurden verharmlost, wenn nicht ganz verleugnet.
    Während die Verteidigerinnen und Verteidiger der Revolution drastisch bestraft wurden, auch mit dem Tode, kamen die »Kämpfer« der Weißen Garden mit Freisprüchen oder allenfalls milden Urteilen davon.
  8. Von den zu Tode gekommenen etwa 650 Opfern der Kämpfe, die quellenmäßig belegt sind, waren 233 Soldaten der Roten Armee und 335 Zivilpersonen. Von den Regierungssoldaten / Freikorpsangehörigen kamen 38 ums Leben.
    Die Dunkelziffer weiterer Todesopfer liegt hoch, es werden bis zu 400 weitere Tote geschätzt, die wesentlich den Erschießungskommandos der Freikorps zum Opfer gefallen sein dürften.
  9. Gewalttätig und grausam waren überwiegend die Gegenrevolutionäre. Dennoch werden die vereinzelten Gewalttaten der Revolutionäre im April 1919 – bisweilen bis heute – als verständliche, nachvollziehbare Ursache für das Entstehen der »Ordnungszelle Bayern« und den Aufstieg der NSDAP angeführt.
  10. „München erlebte im November 1918 einen weitgehend friedlichen und gewaltlosen, vom Verlangen nach mehr Demokratie getragenen Umsturz (…) Im Kontrast dazu erlebte dieselbe Stadt Anfang Mai 1919 einen kurzen und blutigen Vorgeschmack auf die »totale Gewalt« des 20. Jahrhunderts“.
    Zitat aus »Am Anfang war Gewalt« von Mark Jones (S. 329)

Schorsch Wiesmaier, Geschichtswerkstatt Dorfen
(Diese 10 Thesen waren Grundlage einer Diskussion über die Revolution 1918/19 auf einem Seminar der GEW Oberfranken.)

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