Kreyol, das Schweizer-Deutsch Haitis (8)

Yes we can HaitiEs war in der Grundschule, antwortet Claudy »mein« Praktikant, als ich ihn nach seiner ersten Wahrnehmung der französischen Sprache frage. Es sei bizarr gewesen, denn er habe mit französischen Büchern lesen gelernt und konnte lesen, aber ohne zu verstehen, was er da las. Von zu Hause bis weit in die Universität hinein spricht Haiti Kreyol.

Wer nicht wie Claudy enormen Ehrgeiz und eine Sprachbegabung hat, tut sich am Ende des Studiums noch immer schwer, flüssig französisch zu sprechen.

Um mein Kreyol zu verbessern, hatte ich in den drei bis vier nicht schlecht bestückten Buchläden der Hauptstadt leichte Jugendbücher gesucht und zirka sieben gefunden. Ein paar mehr gibt es bei weiterführender Kreyol-Lektüre schon. Aber gemessen an dem, was haitianische Autoren Tolles auf Französisch hervorbringen, ist es nichts. Und so ist Lesen auch unter einigermaßen gebildeten Leuten, zu denen ich meine Agronomen-Kollegen zähle, kein weit verbreitetes Hobby.

Die mangelnde Lektüre gleicht das Kreyol mit wunderbaren oralen Bildern und tollen Wortschöpfungen aus.

Zum Beispiel ist jemand, der gern im Mittelpunkt steht ein »Fèwè«, auf Französisch ein »faire-voire«, also jemand, der dafür sorgt, gesehen zu werden.

Ein »Paladò« ist ein »Wort-Bewunderer« im negativen Sinn, ein »parler-adorder«, also einer, der viel spricht.

ErdbebenDas Erdbeben 2010 ist zwar auch »tranblman de tèr« oder »sèsm«, aber, neu entstanden und überall bekannt einfach »Goudougoudou«– und steht für den Ton der einstürzenden Betonmassen.

Wer jetzt noch meint, dass Kreyol nur ein französischer Dialekt ist, kann den Versuch machen, einen Schweizer »Lands-Mann« (Mensch vom Land) zu verstehen, wenn er nicht gerade sein bestes Hochdeutsch spricht. So ähnlich unähnlich sind Kreyol und Französisch.

Eine andere, wenn auch einfache Grammatik, eine uneinheitliche Schreibweise und eine enorm kreative Kombination von Sprachbildern machen Kreyol für mich zur unaufhörlichen Herausforderung, geben der Sprache aber auch sehr viel Charme. Sich mit den vielen Sprichwörtern beschäftigen, ist sehr reizvoll. Sie geben mir Einblick in die noch zu entdeckenden Tiefen der Kultur. Wie alle Sprachen mit wenig Grammatik und Regeln verwendet Kreyol viele Umschreibungen und bekannte Vergleiche, um Details genau wiederzugeben. Starke Dialekte gibt es glücklicherweise aber nicht.

Kreyol sprechen und verstehen ist in der Arbeit mit den Leuten nicht Garantie, aber schon fast Voraussetzung zum Erfolg. Das hat sich seit dem Erbeben noch verstärkt, als zehntausende Helfer präsent waren. Denn anhand ihrer sprachlichen Limits lassen sich die kurzfristigen, manchmal mehr gut gemeinten als guten Hilfsaktionen ganz leicht von den bleibenden, mit Glück etwas beständigen Maßnahmen, absondern.

Französisch hat es in Haiti nicht nur als Sprache der Oberschicht und ehemaligen Kolonialherren schwer. Wollte die karibische Sprachinsel ihren Standard ändern, fiele die Wahl zwischen Englisch oder Spanisch als Verkehrssprache schwer. So ist Sprache immer wieder eher Hindernis als Herausforderung. Und so lässt sich verstehen, dass Kreyol sprechen dürfen und können eine leuchtende Landmarke auf der Insel bildet.

Haiti Graffiti

 

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