Ackerbau gegen Waldschutz (6)

Kinder Transportieren

Transport ist am billigsten auf Kinderköpfen

Im Mitte Oktober aktualisierten Welthungerindex belegt Haiti den 77. Platz von 79 Ländern mit ungenügender Nahrungsmittelversorgung. Ich kenne die exakten Fakten und Zahlen nicht, doch im Fall von Haiti würde ich sagen: keine Aussicht auf wesentliche Besserung.

Mehrere Faktoren führen mich zu dieser Einschätzung. Haiti ist ein bergiges Land mit wenig geeigneten Flächen für intensive Landwirtschaft. Das andauernde Bevölkerungswachstum würde eine Vervielfachung der Ernten erfordern, die herrschende Bodendegradation dagegen verringert die Erträge stetig.

Haiti - Lokaler Markt

Lokaler Markt: Lebensmittel werden oft in Tassenportionen getauscht.

Die Bildungsmisere erschwert die Versuche, die Menschen zu einer nachhaltigen Bodenbewirtschaftung zu führen. Die Insellage macht den Austausch zwischen vorhandenen und benötigten Nahrungsmitteln teuer. Dazu kommt, historisch-kulturell bedingt die Abwesenheit von nachhaltigen Anbautechniken. Die Kolonialherren hatten Ausbeutung des Landes als Hauptinteresse. In der parallel etablierten kleinbäuerlichen Landwirtschaft der Sklaven gab es keinen dauerhaften Landbesitz, was eine Voraussetzung für sorgsamen Umgang mit Ressourcen wäre.

Tiefe Rinnen in den Feldern, und doch wird bis an den Rand geackert. Die dringend nötige Katasterreform ist bis heute ein Thema, an das sich weder Regierungen noch NGO’s wagen. Zu unpopulär wären damit verbundene Besitzverschiebungen.

Im Alltag hier oben ist es nicht so, dass man verhungerte Menschen antrifft. Doch magere Leute sind die Regel, Kinder mit aufgeblähten Bäuchen sind nicht selten. Essen ist ein zentrales Bedürfnis.

Essensausgabe

Ernährungsprobleme gibt es neben der Menge auch bei der Qualität des Essens. Selbst meine gut versorgten Kollegen achten nicht auf gesundes Essen. In unserem »Kompanieessen« finde ich wenig Gemüse oder Salat, und wenn, dann in völlig zerkochtem Zustand. Doch das ist angesichts der unhygienischen Küche vielleicht angeraten.

Wenn wir Fortbildungen machen, kommen die Leute zwar, ohne die in anderen Ländern oft üblichen »per diems«, also Bezahlung für die Teilnahme zu verlangen. Doch wenn wir weniger als die üblichen zwei warmen Mahlzeiten servieren, gibt es Unmut. Die Mahlzeiten sind billig, müssen aber reichlich Kalorien enthalten, meist in Form von viel Öl. Gemeinnützige Arbeit und gemeinsames Arbeiten auf den Feldern anderer Leute sind verbreitet. Die Bezahlung besteht üblicherweise aus warmem Essen und einem stark gezuckerten Getränk.

Den Waldschutz voranbringen oder Wiederaufforstung fördern ist mit einer Bevölkerung die zu wenig zu Essen hat, eine mühsame Aufgabe. Daher besteht mehr als die Hälfte unserer Projektaktivitäten aus der Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen. Erosionsschutzmaßnahmen bezahlt per »cash for work« sind ein wirksames Bindeglied zwischen unmittelbarer Verbesserung der Versorgung und langfristiger Verbesserung der Bodennutzung.

Aber ob die Bauern wirklich freiwillig den Ackerbau an Hängen mit 40 Grad Neigung aufgeben? Vielleicht dann, wenn der Humus weggespült ist und bei aller Mühe nicht mehr genügend zu ernten ist. Den Ruf nach dem Staat, der verbieten oder regeln solle, höre ich oft. Realistisch ist er nicht, erst recht nicht hier oben.

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