Die Bahn AG – Werdegang und Wirkungen

Über 40 Jahre kostete dem Bund seine Bahn 1 Milliarde DM jährlich. Ende der 1980er Jahre verordnete die EU, dass alle »subventionierten« Leistungen der öffentlichen Hand wie Wasser, Müll, öffentlicher Verkehr auf kaufmännische Abrechnung mit Kostendeckung umzustellen sind. So wurde die Bahn AG ein Konzern mit fahrenden Tochterunternehmen und einer Gleisnetz-Instandhaltungsfirma.

Alles, was die Schiene benutzt, ob BahnAG oder die neue Bayerische Oberland-Bahn musste Maut zahlen. Die Benutzer von Gleisanschlüssen in ihrem Gelände mussten von da an auch die Instandhaltung ihrer Gleise finanzieren. Einem Lagerhaus-Betrieb in Holzkirchen kostete das im ersten Jahr 40.000 DM. Weil das so weitergegangen wäre, kündigte er und stieg auf LKW-Transport um. Das geschah bundesweit. Holzkirchen hatte 1992 noch 1502 Wagenladungen umgeschlagen.

Weil Gleise und Weichen auch für DB-eigene Nutzer viel kosteten, wurden z. B. im Bereich München Ost von 2000 Weichen 1000 Stück zugeschweißt und hundert Kilometer Gleis »stillgelegt«. 

Nur geradeaus hintereinander durchfahren kann man noch, elegant ausweichen, überholen im Störbetrieb war vorbei. Arbeiten mit Gleisfahrzeugen wie an der Fahrleitung wurde zeitraubend. 

Der Personalbestand wurde – unkommentiert von den Medien – auf die Hälfte reduziert, die Zugzahlen aber verdoppelt, bei der S-Bahn auf 10-Minuten-Takt. Waren die Mitarbeiter vor der AG in vielen regionalen Meistereien für Gleisbau, Brücken, Fahrleitung, Signale, Bahnübergänge, Weichen, Fernsprechtechnik schnell vor Ort zur Entstörung, hatten in Instandhaltung und Neubauten an einem Strang gezogen, so wurden sie jetzt zentralisiert und in viele kleine Spezialfirmen ausgelagert.

Der frühere große Pool der vielfältigst trainierten Fachleute, der für rasche Störungsbeseitigung sorgen konnte, ist einer computergesteuerten, trägen, kostenverrechnenden, personalarmen Firmenstruktur mit Marionetten gewichen. Der schnelle S-Bahn-Aufbau zur Olympiade 1972 mit der ersten Stammstrecke war so möglich. Die 2. Stammstrecke ohne absehbares Ende des Baues ist das Ergebnis der Neuorganisation.

Im Vorstand wurden erfahrenste Eisenbahner wie Heinz Dürr durch Lufthansa und Autoindustrie ersetzt. Die Führung auf allen Ebenen wurde von außen besetzt. Mangelndes Bewusstsein über die »vernetzten« Wirkungen einzelner Sparmaßnahmen auf das ganze Bahnnetz führten von 95% Pünktlichkeit weg.

Flickwerk an den Gleisen mit unzähligen »Schlagloch«-Langsamfahrstellen veranlasste 2005 den Vorstand Rüdiger Grube, eine Generalsanierung der Strecken bis 2020 anzuordnen, die auch zur Umsetzung kam. Eingleisige Strecken, durch bayerische Netzbetreiber gepflegt, traf das wohl nicht. Das offenbarte sich erst durch den Unfall bei Garmisch-Burgrain 2022.

Die Betonschwellen hatten Risse an den Schienenbefestigungen bekommen. Die »KI« der kostengünstigen, schnellen, digitalen Gleismesszüge hatten das nicht gesehen. Der frühere Streckengeher hätte vielleicht auch bemerkt, dass der Katzenbach wegen der Farchant-Tunnel- Straßen sehr nahe an den Bahndamm verlegt wurde. Jetzt prüfen Sensoren den Damm, Baujahr 1912, auf mögliches Absinken.

Das Personal des Betriebes, das auf Signale die Züge fahren lässt, wurde so reduziert, dass auf der Werdenfelsbahn für 80 Kilometer Strecke bis Mittenwald mit 15 Bahnhofs-»Resten«, unzähligen Straßen-Bahnübergängen und unterschiedlichstem Wetter eine einzige Stelle mit Personal in Weilheim die Züge steuert. Ein Ansprechpartner im Störungsfall für viele Züge, ein Dutzend Fachdienstpersonal, Schaffner und fremde Zuständige wie Polizei oder Feuerwehr. Da müssen die Züge warten, bis sie wieder sicher weiterfahren dürfen.

Die lobenswerte Vermehrung der Zugzahlen erfordert aber auch mehrspurige »Straßen«, Gleisanlagen zum Überholen, Ausweichen und Parken, zumindest keine »Single Traffic Road« wie noch im äußersten Norden von Schottland.

Ein Ausbau von Strecken wird aber von vielen mit »Nicht vor meiner Haustüre« bekämpft. Es wird als Freiheitsbeschränkung empfunden. Im Tierreich beißt man bei hoher Populationsdichte, bei Bedrängung des Freiraumes auch um sich. Viele Menschen sind wohl auch an diesem Punkt angekommen. In unserer Gedankenwelt machen zu viele unverarbeitete Informationen die Seele krank. Im materiellen Raum beansprucht das Auto jeglichen freien Spielraum unserer Orte. Kinder können nicht mehr einfach zum Spielen »auf die Straße« gelassen werden. Eltern müssen sie ständig in sicheren Räumen halten und überwachen oder – mit dem Auto?! – an andere sichere Orte bringen. Ordnungshüter setzen Gesetze durch, ohne die göttliche Vernunft anzuwenden, die uns über das Tierreich erheben sollte. 

Der Weg der Bahn war der Weg der Autofahrer-Nation Deutschland. Die Entscheidung, wie viel Bahn (oder Bus) wir haben wollen, ist auch die Entscheidung, welche Freiräume wir haben wollen.

Roland Brendel, Weilheim

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