Kinder zu Fuß gehen lassen – ein Geschenk fürs Leben?

Kinder zur Schule gehen lassen? Deutschlandweit haben Mütter und Väter ihren ganz persönlichen Grund, es nicht zu tun: Die Zeit ist wirklich knapp, der Weg – nach eigener Einschätzung – zu weit, Ängste vor Konflikten auf dem Schulweg und letztlich natürlich auch die Angst, dass dem eigenen Kind etwas zustoßen könnte. Auch die Gewohnheit mag eine Rolle spielen – bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger.

Wie bringen Sie Ihr Kind zur Kindertagesstätte? Wie zum Kindergarten, zum Fußballplatz, zur Turnstunde? Kinder, die in der, nicht selten rastlosen, Wohlstandsgesellschaft von heute aufwachsen, sind früh daran gewöhnt, mit dem Auto unterwegs zu sein.

Eine Arbeitskollegin erzählte mir kürzlich über ihren Laptop hinweg, dass ihre Tochter einen sehr kurzen Schulweg habe. Sie gehe immer zu Fuß, bedauere aber sehr, dass der Schulweg nach fünf Minuten vor ihrer Haustür endet. Das Mädchen kommt im Herbst in die zweite Klasse. Sie bat ihre Mutter, ihre Freunde nach der Schule noch ein Stück weiter begleiten zu dürfen. Seitdem macht die Siebenjährige fast jeden Tag ganz bewusst einen Umweg auf ihrem eigentlich kurzen Heimweg. Kinder sind nicht von Natur aus darauf getrimmt, schnell unterwegs zu sein. Für sie gibt es keinen Anlass. Entdeckungen brauchen Zeit. (Klein)kindern geht es (noch) um ganz andere Dinge. Der Weg zur Grundschule dient der sozialen Vernetzung fernab von Digitalisierung und Alltagsstress. Der Schulweg ist gepflastert mit Gesprächen über dies und das: Der Austausch mit Gleichaltrigen über die letzte Sportstunde, die Lehrerin, die echt lustig ist, das Wochenende in den Bergen, die neuen Ballettschuhe oder die Freude auf die Sommerferien. Kinder beschäftigt viel und die Bedeutung von Gesprächen wird unterschätzt oder, in der Hektik des Alltags, schlichtweg vergessen.

Eine Freundin von mir nutzt ihren arbeitsfreien Tag hin und wieder, um ihren Zweitklässler zu Fuß von der Schule abzuholen. Der Junge geht den Weg täglich entweder allein oder mit Freunden. Zweimal im Monat auch mit seiner Mutter. Zwanzig Minuten nur für die beiden. Wertvolle Zeit, in der sie nebeneinander gehen, sich zwischendrin anschauen und reden. Über dies und das.

Unser Kind ist sechs, kommt im September in die Schule und wird laufen. Entweder zur Bushaltestelle am Dorfplatz oder in etwa 25 Minuten direkt zur Schule. Unsere Ängste?

Die große Hauptstraße, eine Bundesstraße, die hoch-frequentiert ist. Die uneinsehbaren Ecken im Dorfkern, an denen Autos nach wie vor zu schnell fahren, Kurven schneiden und auf ihr Tempo-Recht bestehen.

Der Schulweg von mir und meinen Schwestern war »einmal über die Straße«. Kürzer geht es wohl kaum. Was für viele heute aufgrund des generellen Zeitmangels als ideal gelten mag, war für mich damals ein guter Grund, auf dem Schulhof zu trödeln und Umwege zu gehen. Nicht, weil ich nicht nach Hause mochte, sondern weil ich meine Freunde noch ein Stückchen begleiten wollte. »Einmal über die Straße« reichte nicht für einen wohltuenden Ratsch.

Vielleicht schenken Sie Ihren Kindern – wenn Sie es einrichten können – mit der Schultüte einen bunt-gepflasterten Schulweg? Aus meiner Sicht ein wichtiges Wegstück auf dem großen Lebensweg.

Stephanie Bartl, Huglfing

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