U wie … Ungemach

Irmgard Deml, Weilheim

„Es dräut Ungemach“, denke ich mir, als ich am Pfingstmontagvormittag die Balkonpflanzen pflege. Der relativ kühle Wind riecht immer mehr nach Gewitter, nach Blitz und Donner, von Westen her ziehen erst immer mehr graue Wolken, dann Wolkenbänke auf. Mal sehen, was sich daraus entwickelt.

Gestern am Ammersee unterwegs, kaufe ich seit vielen Jahren mal wieder eine tz, da mich die Titelseite mit der Schlagzeile »Das Grauen von Garmisch« anlockt. Als ich den Artikel gelesen habe, schenke ich die Zeitung weiter. Meine Lebenszeit ist mir zu kostbar, um sie mit dem Lesen von vermutlich vielem für mich Unwichtigen zu verbringen, da ich täglich neu lerne, für mich Prioritäten zu setzen.

Dieses Zugunglück, das Tote und teils schwer Verletzte forderte, zeigt uns einmal mehr, dass immer und überall jeden von uns irgendetwas treffen kann, das unser Dasein massiv beeinflusst oder gar völlig abrupt beendet. Die meisten Menschen machen sich wohl kaum Gedanken darüber, jedoch steht über unser aller Leben – meiner Meinung nach – eine höhere Macht, die uns leben und auch nach Ablauf der uns geschenkten Zeit sterben lässt.

Denn ein Geschenk ist es auf alle Fälle, hier sein und viele Erfahrungen machen zu dürfen. Diese können uns freudig stimmen, traurig, ja gar bis hin zu „am Boden zerstört“. Dennoch geht es immer weiter, solange jemand atmen kann. Erst nach dem letzten aktiven Einatem und passiven Ausatem finden sich vermutlich, laut Berichten von Nahtod-Erlebnissen, alle Seelen in Licht und Liebe wieder.

So Gott will, haben wir bis dahin noch eine Weile vor uns. Was mir dazu immer wieder einfällt, ist der Begriff »Demut«. Im Gegensatz zu »Hochmut«. Vor Jahren ging ich zu einem Vortrag in einen Saal, wo die Technik hierfür noch nicht ganz aufgebaut war. Ich sah nach vorne zur Bühne, war dankbar dafür, dass mich ein Mann auf ein am Boden liegendes Kabel aufmerksam machte, was mich wohl davor bewahrte, darüber zu stolpern. Nur seine Bemerkung „Hochmut kommt vor dem Fall“ fand ich hier absolut unpassend.

Für mich sind es ganz andere Vorkommnisse, die damit zusammenhängen können. Nachdem ich seit nunmehr über einundzwanzig Jahren – mangels Gerät und Zeit dafür – nicht mehr fernsehe, geht es mir selbst immer mehr um das »Nahsehen« – ein Begriff, den ich schon ganz lange vermisse. Wir sind so oft im Außen und Gott weiß wo – vor allem die jüngeren Generationen – auf der Welt unterwegs, dass wir teils verlernen zu begreifen, was um uns herum und direkt in uns geschieht.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, sich über Globales zu informieren, jedoch werden unsere Gehirne oft so vollgestopft, dass es nicht möglich ist, das tatsächlich für uns selbst Wichtige herauszufiltern. So wie ein Luftballon nicht endlos aufgeblasen werden kann, so wie ein Mensch sich nicht endlos mit Nahrung vollstopfen kann, so führt das immer wieder gepredigte wirtschaftliche Wachstum ohne Ende in eine Katastrophe für die Menschheit.

„Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuß.“ Wie wahr, wie wahr, denke ich mir, wenn ich als Pilgerbegleiterin unterwegs bin und mir (zusammengenommen) ganze Rudel E-Radlfahrer begegnen. Darunter vermutlich sehr viele, die genauso gut frei von Stromverbrauch fahren könnten. Verständnis habe ich hier nur für jene, die das aus gesundheitlichen Gründen tun. Und die anderen? Zu gedankenlos oder gar dumm? Zu bequem oder zu faul, um sich etwas mehr anzustrengen? Wer weiß, was dahintersteckt. Mir selbst ist es lieber, einen Weg aus eigener Kraft von A nach B gehen zu können, mit Rucksack und dem was ich unterwegs brauche. Das ist für mich auch gelebter Umweltschutz. Meist beziehe ich hier Bus/Bahn mit ein, vermeide es, mit dem Auto zu fahren, soweit das von der Streckenführung her möglich ist.

Wenn eine junge Frau meint, sie möchte auf der Berghütte mit Übernachtung auf alle Fälle eine Dusche dort haben, denke ich mir: „Mädel, überlege dir mal, was du da sagst.“ Eine derartige Anspruchshaltung steht keinem von uns zu. Klares, kaltes Wasser reicht vollauf aus, sich zu waschen, und ist für Mensch und Natur wesentlich gesünder, als mit überzogenen Vorstellungen dafür zu sorgen, dass gerade in sensiblen Naturgebieten diese immer noch mehr zerstört werden. Wenn das, was dort vorhanden ist, mir nicht genügt, sollte ich in meiner Freizeit wohl eher etwas anderes tun. So wie lange VOR den Städtern, die auf’s Land ziehen, Hähne, Kirchen- und Kuhglocken da waren, gegen die manche dann Gerichtsprozesse führen und so Unfrieden stiften. Wer mit dem Landleben nicht klarkommt, kann und darf in der Stadt bleiben.

Beharren »wir« auf solchen Forderungen, genauso wie anderem, wovon wir meinen, das würde uns »zustehen«? Das ist absolut unrealistisch. Niemand ist eine Insel und die Menschen werden immer mehr. Ungemach ist bei einer solchen Einstellung vorprogrammiert. Für uns alle, vor allem jedoch für Mutter Erde, die uns vielleicht eines Tages einfach abschüttelt.

Das Gewitter entlud sich übrigens nach Sonnenschein nachmittags um vier mit teils heftigem Donner und ebensolchem Regen.

Irmgard Deml, Weilheim

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