Von Phosphor und Uran wie auch einem Dornröschenschlaf

Das Problem der Düngemittelverfügbarkeit und Düngerpreise für die landwirtschaftliche Produktion ist mit dem Krieg in der Ukraine inzwischen von manchen Medien aufgegriffen worden.

Marcus Haseitl, Bad Grönenbach

So gut wie ausschließlich wurde dabei der Stickstoffdünger thematisiert, der in der industriellen Herstellung (»Kunstdünger«) durch das Haber-Bosch-Verfahren vor allem auf den Energieträger Gas angewiesen ist. Dabei war Russland 2021 bezüglich der Stickstoffdüngerprodukte weltweit der größte Exporteur. Sozusagen ist russisches Gas der Hauptbestandteil von synthetischem Stickstoffdünger. Im März 2022 kam es nun aufgrund des Ukrainekrieges zu exorbitanten Preissprüngen. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass es schon im Verlauf des Jahres 2021 – also lange Zeit vor dem Krieg – zu rund einer Verdreifachung des Stickstoffdüngerpreises kam.[1] Wir haben es bei den Düngemittelpreisen also nicht mit einem neuen Problem zu tun. Ebenso ist es selbstredend aus der Vergangenheit bekannt, dass eine Begrenzung der Düngemittelverfügbarkeit mit einer Ernteminderung einhergeht und Hunger auf dieser Welt erzeugt. Man bedenke dabei, dass in der konventionellen Landwirtschaft kurzfristig betrachtet knapp die Hälfte der Ernteerträge von synthetischen Düngemitteln abhängt.

Grundsäulen der Pflanzendüngung

Dabei deckt Stickstoff nur eine Grundsäule der Pflanzendüngung ab. Neben Stickstoff sind als Basisdüngerstoffe Phosphor und Kalium zu nennen. Diese drei Stoffe bilden das Grundgerüst, zu dem dann je nach Bedarf noch weitere Substanzen wie Magnesium, Schwefel, Calcium oder weitere (Spuren-)Elemente dazukommen. In diesem Artikel soll es nun vor allem um den Phosphor gehen. Der Handel mit Phosphordünger zeigte uns bereits 2008/09, zu welchen Kapriolen Rohstoffmärkte fähig sind: Durch Handelseinschränkungen gegenüber China und Börsenspekulation stiegen die Phosphorpreise damals auf 800 %. Die Handelsengpässe trafen vor allem die ärmeren Länder des Südens.

Phosphor hat im Energiehaushalt der Pflanze eine zentrale Stellung und ist ein existenzieller Zellbestandteil, der unter anderem die Zellstruktur aufrechterhält. Praktisch ist Phosphor an allen biochemischen Prozessen der Pflanze beteiligt. Er ist für das Wurzelwachstum genauso notwendig wie für die Blüten-, Frucht- und Samenbildung. Phosphor ist im Pflanzenbau unverzichtbar! Leiden Pflanzen unter Phosphormangel, stagniert zunächst das Wachstum, Blätter verfärben sich, Stiele und Blattadern werden rötlich bis violett. Dies betrifft die Pflanzen grundsätzlich, egal ob im Ackerbau, Grünland oder Gemüseanbau.

Durch die Entnahme von Pflanzenmasse als Erntegut wird der entsprechenden Agrar- oder Gartenbaufläche anteilig natürlich auch Phosphor entzogen. Zwei Mengenbeispiele (die natürlich nur als grobe Richtwerte zu sehen sind): Bei Mais gibt es pro Hektar einen Nährstoffentzug von rund 75 bis 100 kg Phosphorpentoxid (P2O5), im Grünland zwischen 50 und 100 kg/Hektar. Dieser Nährstoffentzug durch die Ernte wird dann über Düngung wieder ausgeglichen.

Woher kommt nun dieser Phosphor für den Dünger?

Als chemisches Element ist Phosphor in der Natur an andere Stoffe gebunden. Die Salze der Phosphorsäure (H3PO4) werden als Phosphate bezeichnet. In der Natur kommen Phosphate, die mehr oder weniger direkt zur Düngung genutzt werden können, in Pflanzenresten und tierischen Nebenprodukten wie Knochenmehl wie auch in tierischen und menschlichen Ausscheidungen vor. Ein bekannter Dünger aus Vogelkot ist zum Beispiel der Guano-Dünger, der im 19. Jahrhundert weltweit einen regelrechten Guano-Boom auslöste, nachdem er schon in der alten Inka-Kultur ein wichtiger Faktor in deren landwirtschaftlichen Praxis war. Mit Guano konnten im 19. Jahrhundert Bauern in Europa plötzlich eine Ertragssteigerung von rund 30 bis 200 % umsetzen. Das weltpolitische Gewicht eines solchen Düngers erkennt man auch daran, dass damals wegen Guano auch Kriege geführt wurden, z. B. der spanisch-südamerikanische Krieg in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zur selben Zeit erließ man in den USA den »Guano Act«. Damit erklärten die USA jede unbewohnte und staatenlose Insel, auf der Guano gefunden wurde, zu US-amerikanischem Eigentum. Mit dem Raubbau an Guano endete der Guano-Boom mit Beginn des 20. Jahrhunderts. Neue Phosphatquellen mussten gefunden werden.[2]

Dazu wurde man in Gesteinsschichten fündig, mit unterschiedlichen phosphathaltigen Mineralien und in unterschiedlich nutzbarer Qualität. Je nach Lagerstätte begann dann die bergmännische Nutzung.

Weltweiter Phosphatabbau seit 1900 (Quelle: Wikipedia)[3]

Phosphatvorkommen weltweit

Die mineralischen Phophorlagerstätten sind allerdings auf dem Erdball ungleich verteilt. Die mit Abstand größten Phosphatvorkommen werden in Marokko und der West-Sahara gesehen. Knapp drei Viertel des gesamten weltweiten Phosphatvorkommens liegen in diesem nordwestafrikanischen Land. Mit Riesenabstand folgt China. Neben Algerien in Nordafrika gibt es im arabischen Raum noch größere Vorkommen (Syrien, Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien). Weitere größere Vorkommen finden sich dann noch weltweit verstreut in Brasilien, Südafrika, Australien, USA und wiederum mit erheblichem mengenmäßigen Abstand in Russland. Europa besitzt mit Finnland nur ein Land mit nennenswertem Phosphatabbau, mit etwa 1,5 % Anteil am weltweit prognostizierten Phosphatvorkommen.[4] Die Einordnung bezüglich den verschiedenen Phosphatvorkommen beruhen auf geologischen Schätzungen, zum Teil von den Minenbetreibern mit wirtschaftlichen Interessen selbst erstellt, und beinhalten keinerlei Aussagekraft bezüglich der Abbauwürdigkeit.

Phosphat, eine endliche Ressource

Während Stickstoff als Substanz für die konventionelle Landwirtschaft über das Haber-Bosch-Verfahren – zwar mit erheblichem Energieaufwand – substanziell schier unendlich über den Wasserstoff und Stickstoff der Luft gewonnen werden kann, sind die Phosphate eine endliche Ressource. Da die geologischen Schätzungen mehr oder weniger ungeprüft und an sich vage sind, gehen die wissenschaftlichen Meinungen bezüglich der materiellen Verfügbarkeit von Phosphor für die landwirtschaftliche Düngung auseinander. Ein internationales Netzwerk von Instituten und Wissenschaftlern sieht einen Peak Phosphor, also den Zeitpunkt der maximalen Phosphatproduktion, durchaus noch im 21. Jahrhundert als möglich an.[5][6] Wissenschaftler wie der deutsche Torsten Müller (Universität Hohenheim) befürchten eine Erschöpfung der Vorräte in 250 bis 300 Jahren und suchen nach Methoden der Kreislaufwirtschaft.[7]

Wer hier nun im gegenwärtigen ökologischen Landbau schon die Lösung sieht, wird zunächst enttäuscht sein. In der heutigen Biolandwirtschaft wird zwar die Stickstoffversorgung der landwirtschaftlichen Kulturen über tierische Dünger und luftstickstoffsammelnde Pflanzen abgedeckt, z. B. durch verschiedene Kleearten. Die Phosphatversorgung ist allerdings offen, der Kreislauf ist auch hier nicht geschlossen.[8] Im ökologischen Landbau sind zum Ausgleich des erntebedingten Phosphorverlusts Rohphosphate zugelassen[9], also Düngemittel, die Phosphat aus fein vermahlenen Mineralien beinhalten. Einen zusätzlichen Pferdefuß gibt es hierzu auch noch: Rohphosphate sind in aller Regel nicht so leicht pflanzenverfügbar wie die wasserlöslichen Kunstdüngerprodukte der konventionellen Landwirtschaft. Im Biobereich, aber auch darüber hinaus, will man zukünftig mehr auf Recycling-Phosphor setzen, also den Phosphor aus Klärschlämmen nutzen. Klärschlämme haben allerdings das Problem, dass neben Schwermetallen auch hormonaktive Substanzen, Medikamentenreste und allerlei anderes Problematische im Gemenge vertreten sind. Dazu gibt es verschiedene Ansätze, die sich allerdings oft noch in der Erprobungsphase befinden oder im Vergleich zur Rohphosphatnutzung ein Mehrfaches in der Produktion kosten.[10][11]

Phosphat mit Uran und Cadmium

Noch dazu gibt es einen weiteren Pferdefuß bei der Phosphatdüngung: Phosphatgestein ist sehr häufig mit schwermetallhaltigen Mineralien vergesellschaftet, besonders Uran und Cadmium treten hier als Problemstoffe auf. Nur etwa 10 % des weltweit abgebauten Phosphats gelten als cadmium- und uranarm. Mehr als die Hälfte dieses Phosphats kommt von der russischen Halbinsel Kola. Während EU-weit für Cadmium seit 2019 ein Grenzwert von maximal 60 mg/kg Phosphatdünger gilt, in Deutschland in Teilbereichen schon länger bei 50mg/kg, gibt es für Uran in Phosphatdüngern keine(!) Kennzeichnungspflicht und auch keinen(!) Grenzwert der Maximalbelastung! Obwohl dieses Problem der Uranbelastung seit Langem bekannt ist, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Grundwasser, und selbst vom Umweltbundesamt – mindestens seit 2012[12] – eindringlich eine Kennzeichnungspflicht für Uran bei Phosphatdüngern ab 20 mg/kg und ein Grenzwert ab 50 mg/kg gefordert wird, herrscht hier auf politischer Ebene Stillstand und Schweigen. Hier darf wohl die Frage formuliert werden: Meinen es die Politiker und Politikerinnen in diesem Land wirklich ernst, wenn es um grundlegende Gesundheitsfragen geht? Die Frage wird wohl in ihrer Berechtigung noch unterstrichen, wenn man weiß, dass 2011 dem in Düngerfragen renommierten Wissenschaftler Prof. Ewald Schnug (Julius-Kühn-Institut Braunschweig) von seiner vorgesetzten Behörde, dem Bundeslandwirtschaftsministerium, für einen NDR-Dokumentationsfilm Redeverbot erteilt wurde.[13]

Uran ganz konkret

Damit man ein konkreteres Bild bekommt, um wie viel Uran es da nun geht, hier einige Zahlen aus den Arbeiten von Ewald Schnug[14]: In Phosphatdüngemitteln sind bis zu 200 mg Uran pro kg vorzufinden. Konservativ geschätzt wurde zwischen 1951 und 2011 über Phosphor-Düngemittel auf deutschen Agrarflächen bis zu 14.000 Tonnen Uran verbracht. Im Durchschnitt bedeutet dies, dass in diesen 60 Jahren in der Summe ein Kilogramm Uran pro Hektar ausgebracht wurde. Je nach Berechnungsansatz wurden auch 2016 weiterhin zwischen 114 und 228 Tonnen Uran im Jahr auf deutschen Agrarflächen ausgestreut. Schnug erinnert auch daran, dass Uran kanzerogene, mutagene und östrogene Wirkungen besitzt … und das bei einer schier unvorstellbaren Halbwertzeit, bei Uran-238 z. B. deutlich mehr als 4 Milliarden Jahre.

Das sind nun alles keine neuen Erkenntnisse, sondern zum Teil jahrzehntelanger Wissensstand. Es betrifft den Ackerbau genauso wie die zu Hause mit Mineraldünger gedüngten Tomatenpflanzen auf dem Balkon. Es betrifft die tägliche Nahrung und das Grundwasser. Die Zahlen sind an verschiedenen Stellen veröffentlicht worden … und so gut wie niemand interessiert sich dafür. Es ist schon ein sonderbares Land, eine sonderbare Zeit, wo Derartiges so in Vergessenheit gerät bzw. in Vergessenheit befördert wird.

Und wo ist denn nun das Dornröschen aus der Artikelüberschrift?

Vor rund 100 Jahren haben Menschen zum Teil aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen heraus das Thema der Kreislaufwirtschaft – insbesondere in der Landwirtschaft – zum Thema gemacht. Man denke dabei an Dr. Rudolf Steiner mit der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise, an Dr. Raoul H. Francé mit der Entdeckung des Edaphons oder auch an den Entwickler des organisch-biologischen Landbaus, Dr. Hans Müller, dessen ursprünglicher Impuls zur ökologischen Kreislaufwirtschaft aus einer tief sitzenden sozialen Verantwortung heraus kam. Grundlegendes ist also vor rund 100 Jahren nicht nur ganz konkret gedacht worden, sondern auch schon im Konkreten in der landwirtschaftlichen Praxis umgesetzt worden. Nur wir Menschen haben dem an vielen Stellen nicht den entsprechenden Raum gegeben. Wir haben Dornenranken um die Lösung herum wachsen lassen. Wer wird nun der Prinz des Dornröschens sein? Der Bauer? Der Konsument? Der Wissenschaftler? Oder gar alle miteinander?

Marcus Haseitl, Bad Grönenbach


Quellenangaben / Hinweise
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  1. https://www.agrarheute.com/markt/duengemittel/duengerpreise-2022-extrem-hoch-duengermarkt-ausser-rand-band-589181#kommentare
  2. Ein lesenswertes, kurzweiliges Buch über phosphatbedingten Raubbau im 20. Jahrhundert am Beispiel des Südseestaates Nauru, bei dem es um Phosphorit geht, der wahrscheinlich durch Guano entstanden ist: Luc Folliet: Nauru – Die verwüstete Insel, ISBN: ‎ 978-3803126542
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Peak_Phosphor#/media/Datei:Phosphateproductionworldwide.svg
  4. US-Behörde US-Geological Survey: „Phosphate rock“ (Stand 2019) https://pubs.usgs.gov/periodicals/mcs2020/mcs2020-phosphate.pdf
  5. Global Phosphorus Research Initiative (GPRI) http://phosphorusfutures.net/global-research/
  6. Dana Cordell (Universität Sydney) 2006, https://danacordell.wordpress.com/peak-phosphorus/
  7. https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=46729
  8. https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/grundlagen-pflanzenbau/duengung/phosphor-duengung/phosphor-duenger-aus-der-klaeranlage/
  9. https://www.oekolandbau.de/landwirtschaft/pflanze/spezieller-pflanzenbau/gruenland/duengung/stickstoff-phosphat-und-kali/
  10. Abwasser-Phosphatrecycling, Stand 2016: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs00506-016-0295-6.pdf
  11. Abwasser-Phosphatrecycling durch Bakterienprozess, Stand 2020 https://www.fraunhofer.de/de/presse/presseinformationen/2020/januar/duenger-aus-klaerschlamm.html
  12. https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/461/publikationen/4336.pdf
  13. https://www.ndr.de/der_ndr/presse/mitteilungen/pressemeldungndr8123.html
  14. Ewald Schnug (2016) https://www.researchgate.net/publication/302415614_Wege_aus_der_Bodenbelastung_durch_Uran_und_Cadmium_aus_der_Dungung_mit_mineralischen_Phospordungern
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