Barbie verführt Schulkind

2015_10_BarbieWie Wirtschaftsunternehmen unsere Kinder zu gefügigen Konsumenten dressieren

Unsere 8-jährige Enkelin – nennen wir sie hier Leonie – hat einen Teil ihrer Ferien bei uns im schönen Voralpenland verbracht. Als wir sie in der Großstadt abholten, hatte sie ein buntes Heft in der einen Hand und in der anderen ein silbriges Spielzeug-Handy. Ihre Begrüßung war flüchtig; viel wichtiger war ihr, uns diese beiden Dinge vorzustellen. Das Heft hatte ihr die Mutter gekauft, damit die Fahrt im Zug nicht gar zu langweilig wird.

Ich fürchte, meine Reaktion fiel für die kleine Leonie ziemlich enttäuschend aus, denn mein Entsetzen beim Anblick des unsäglich kitschigen Titelblatts wurde noch gesteigert, als ich das Inhaltsverzeichnis studierte: „Glamour-Styling“, „Glamour-Make-up“, „Eine Party für Ken“, „Die Super-Prinzessin“ usw. Dazu als „Extra“ ein „Glitzer-Handy“, Display mit Barbie inklusive („An deinem Handy musst du nur noch den Anhänger befestigen – fertig zum Spielen“).

Im Textteil werden den kleinen Mädchen – sprich: künftigen Konsumentinnen – die »Lieblingsaccessoires« der drei Freundinnen (Barbie, Nikki und Teresa) erklärt, als da sind: Handy, Schmuck, Handtaschen („In eine Clutch passt alles rein, was Teresa immer dabei haben möchte: Lippenstift, Puder, Parfum“). Damit die Leserinnen auch ja genau hinschauen, werden kleine Suchspiele eingestreut („Welche der drei Freundinnen trägt einen Haarreifen?“), und dann wird angemalt: „Auf der nächsten Seite kannst du die drei Freundinnen auch noch schminken!“ Zwei Seiten weiter treffen sich die Barbie Fashionists: „Alle tragen Partykleider und haben tolle Handtaschen, Schmuck und High Heels dabei. Perfekt gekleidet für eine tolle Partynacht!“

Gefeiert wird der Geburtstag von Ken, dem Freund von Barbie: „Ken hat sich zum Geburtstag einen schicken neuen pinkfarbenen Wagen gegönnt, den Barbie einfach hinreißend findet…“ Besagte Barbie rollt verzückt am Bildrand die Augen und gibt nur ein bewunderndes „Wow!“ von sich.

Bevor mir vollends übel wird, muss ich noch zur Kenntnis nehmen, dass die kleinen Leserinnen unverblümt zum Kauf all der nutzlosen Dinge animiert und zum link »Perfekt gestylt mit Barbie.com« geleitet werden. Hingewiesen wird auch auf „Barbie und ihre Schwestern im Pferdeglück – ab 7. Juli im Handel“. Und die Kleinen sollen sich „jetzt Tickets sichern!“ für den Kinofilm „Barbie – Eine Prinzessin im Rockstar Camp“.  Abgerundet wird die Werbetour auf der Rückseite mit einer bunten Reklame für einen „Freizeitpark und Erlebnisresort“ sowie für „Monster-Backe, der bunte Youghourt-Spass mit Knisterstückchen“.

Die Lektüre des Heftchens ließ mich wütend und deprimiert zurück. Wütend wegen der Raffinesse und Unverantwortlichkeit, mit der Kinder aus Profitinteressen manipuliert, zum sinnlosen Konsum verführt und in überkommen geglaubte Rollenmuster gedrängt werden. Und dafür werden auch noch schlappe EUR 3,50 fällig, das bekommt eine Näherin in Bangladesh – wenn sie Glück hat – für 16 Stunden harte Arbeit!

Deprimiert bin ich, weil gegenüber der Macht großer Wirtschaftsunternehmen die eigenen Bemühungen um eine Bewusstseinsveränderung in unserer Gesellschaft sinnlos erscheinen. Man sage nun nicht, kleine Mädchen hätten doch immer schon für schöne Prinzessinnen und fesche Prinzen in goldenen Kutschen geschwärmt: Abgesehen von der Frage, ob solche Leitbilder noch zeitgemäß sind, muss dem entgegen gehalten werden, dass Prinzessinnen, Prinzen und goldene Kutschen früher im Reich der Träume und Fantasien angesiedelt und somit von vornherein unerreichbar waren. Barbie und Ken aber begegnen uns täglich, sie sind greifbar, ebenso ihre Glitzer-Handys und pinkfarbenen Cabriolets, man muss sie »nur« kaufen, zur Not auf Pump. Und als Schulkind kann man ja schon mal im Supermarkt so lange quengeln, bis Mama, Papa oder auch die Großeltern entnervt die Geldbörse zücken und sich zur Kasse begeben.

Nachtrag: Mit viel Energie, Geduld und – vor allem – Zeit ist es uns tatsächlich nach ein paar Tagen gelungen, die kleine Leonie von Barbies Glitzerwelt wegzulocken und für die Feuersteinschlucht, den Auerberg oder die Kenzenhütte zu begeistern. Kleine Frösche, Grashüpfer, grasende Kühe und seltene Blumen, plätschernde Bäche, dramatische Wolkengebirge und grandiose Fernblicke ließen Barbie und Ken samt »Accessoirs« in Vergessenheit geraten. Aber welche Eltern verfügen heute noch über die Energie, Geduld und Zeit, die notwendig sind, um den Kampf mit den Verführern der Werbeindustrie erfolgreich zu bestehen?

Wolfgang Fischer
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