„Abrechnung mit Kurt Eisner“ oder „Ein Kreisheimatpfleger auf historischen Abwegen“

„Ich hasse die Juden!“ … Zitat aus einem Schreiben des Eisner Mörders Graf Arco

I

Kurt Eisner (1867 – 1919), der erste bayerische Ministerpräsident, der am 21.02.1919 auf dem Weg zum Sitzungssaal des Landtages von Anton Graf Arco-Valley erschossen wurde, ist für viele Konservative auch 100 Jahre nach der Revolution von 1918 noch immer ein rotes Tuch. Für diesen Personenkreis kann und darf es immer noch nicht sein, dass der Freistaat Bayern von einem Linken gegründet wurde. Obwohl Eisner den Sturz der Monarchie herbeigeführt hat und als Begründer des Freistaates Bayern angesehen werden muss, wird er auch heute noch in nationalpopulistischen und monarchistischen Kreisen als Unperson mit einem historisch verfälschten Zerrbild fehlgedeutet und massiv verunglimpft.

Auch die CSU und die Bayerische Staatsregierung tun sich nach wie vor schwer mit Kurt Eisner. So musste man bis vor wenigen Jahren überall da, wo in staatlichen Einrichtungen eine Bildergalerie der bayerischen Ministerpräsidenten aufgereiht war den ersten Ministerpräsidenten des Landes vergeblich suchen. Er kam ganz einfach nicht vor! Und so erwähnte Ministerpräsident Markus Söder im November 2018 im offiziellen Festakt zum 100. Geburtstag des Freistaates Bayern Kurt Eisner mit keinem Wort, dafür aber (sinnigerweise?) mehrfach „seine Königliche Hoheit“ im Publikum der Veranstaltung. Gemeint war damit der Chef des Hauses Wittelsbach, der Bürger Franz von Bayern. Nicht eingeladen zum Staatsakt waren dagegen die Enkelkinder von Kurt Eisner, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt, eingeladen von der Gewerkschaft Verdi, in München anwesend waren. Söders Festrede wurde dem Anlass so wenig gerecht, dass sie vom SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Markus Rinderspacher nicht zu Unrecht als „geschichtsklitternd und geschichtsvergessen sondergleichen“ beurteilt wurde. So passte auch diese Veranstaltung zum nach wie vor gepflegten Zerrbild, das immer wieder über Kurt Eisner verbreitet wird. Er wird dabei zum Beispiel als weltfremder Literat, linker Spinner, politischer Traumtänzer oder gar als Volksverräter hingestellt.

Immerhin, die Anti-Eisner-Front in der CSU kommt allmählich ins Bröckeln. So sieht man auf entsprechende Anfragen im Kultusministerium Kurt Eisner „außerordentlich positiv … beim Ende der Monarchie“ und „für die demokratische Verfasstheit Bayerns“ und „beim Bemühen, den künftigen deutschen republikanischen Bundesstaat föderal auszugestalten“. Hier erkennt man auch an, dass unter Eisners kurzer Regierungszeit das Frauenwahlrecht, die Pressefreiheit und der 8-Stundentag eingeführt sowie der Kirche die Aufsicht über die bayerischen Schulen entzogen wurde.

II

Einer, der Kurt Eisner wider aller historischen Tatsachen ausschließlich negativ beurteilt, ist der Kreisheimatpfleger des Landkreises Weilheim-Schongau, der pensionierte Gym­nasiallehrer Helmut Schmidbauer. Im Jahrbuch »Lech-Isar-Land 2020« rechnet er einerseits gnadenlos mit Kurt Eisner ab und stellt ihm andererseits eine „geradezu hymnische Wertung“ (Zitat aus dem Münchner Merkur) des Eisner-Mörders Graf Arco-Valley gegenüber. Dabei geht Schmidbauer in seinem 51-seitigen Machwerk keinesfalls so vor, wie er selbst es auf Seite 145 als geschichtswissenschaftlichen Grundsatz fordert. „Opfer wie Täter sind ausschließlich aus ihrer Zeit und den damaligen Umständen in gleicher Weise zu beurteilen“, schreibt er da.

Dabei zeigt Schmidbauer sich im ganzen Text als eine Art unerbittlicher Ankläger Eisners, um andererseits für Graf Arco den trickreichen Winkeladvokaten zu geben. Bei Eisner wird von der Schulzeit über Studium, Journalisten- und Literatentätigkeit bis hin zum politischen Wirken jedes Zitat, jede Beurteilung jede Quelle, dabei vielfach Aussagen von politischen Gegnern, dazu benutzt, ein negatives Charakterbild aufzubauen. Bei Graf Arco geht er dagegen genau andersherum vor:

Bei Eisner wird der umstrittene Berliner Journalist, der Agitator, der arrogante bürgerliche Intellektuelle mit ausuferndem und nie abgeschlossenem Studium, der Revolutionär mit unverkennbar bolschewistischem Gedankengut, der a-religiöse aus dem Osten zugewanderte Jude mit verschwurbelten philosophischen Darstellungen, der nie etwas zu Ende gebracht hat, in entsprechenden Zitatfunden dargestellt. Schmidbauer resümiert dann auch: „Kurt Eisner ist nicht der erste frei und demokratisch gewählte Ministerpräsident Bayerns, sondern er hat dieses Amt mit Hilfe der von ihm gesteuerten revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte usurpiert.“ Und weiter: „Eisner hat eine turmhohe Schuld auf sich geladen … sein Umsturz war eines der größten Verhängnisse in der bayerischen Geschichte.“ Besonders deutlich wird diese einseitige Methode bei den Zitaten, die Schmidbauer für sein subjektives Bild benutzt, bei den Reaktionen auf Eisners Ermordung. Da wird der rechtsnationale Gymnasiallehrer und Schriftsteller Josef Hofmiller zitiert. „Er habe an diesem Tag in München viele fröhliche Gesichter gesehen und nur ganz wenig Trauer; im Schulhof unten habe alles Hurra! geschrieen.“ Dann berichtet Schmidbauer, dass Professor Röntgen eine Vorlesung unterbrechen musste, weil der Jubel auf die Ermordung so ungeheuer gewesen sei. Klaus Mann wird genannt, der berichtete, dass in seiner Gymnasialklasse die Nachricht mit großem Jubel aufgenommen worden sei. Lediglich „Frauen, die außer sich waren und ihre Trauer hinausschrien“ finden sich im Text als Pro-Eisner-Reaktion. Nicht herum kommt der Autor aber um die Tatsache, dass der Leichnam Kurt Eisners in einem feierlichen Staatsbegräbnis unter der Teilnahme Hunderttausender durch die Stadt zum Ostfriedhof gefahren und dort beigesetzt wurde. Für einen Kreisheimatpfleger aus dem Landkreis Weilheim-Schongau wäre es aber schon noch zu erwarten gewesen, dass er darüber berichtet, dass bei diesem Trauerzug auch die vielköpfige Knappschaftskapelle des Bergbauortes Penzberg mitmarschiert ist.

Graf Arco wird im Gegensatz zu Kurt Eisner vollkommen anders behandelt. Schmid­bauer spricht zunächst klar von Mord, aber alles weitere liest sich wie ein großes »Aber«. Da lernen die Leser den konservativ bayerischen Patrioten kennen, der als Kriegsverwundeter das Eiserne Kreuz und die Braunschweigische Tapferkeitsmedaille verliehen bekam. Wir erfahren von seiner Mitgliedschaft in der Katholisch-Bayerischen Studentenverbindung Rhaetia und dass er Ehrenmitglied des Bayerischen Heimat- und Königsbundes wurde, dem Vorläufer des heute aktiven Bayernbundes, dem auch der Schongauer Gymnasiallehrer angehört. Außerdem, so schreibt Schmidbauer, sei Graf Arco ein Kritiker Hitlers und immer gegen den preußisch-deutschen Nationalismus gewesen. Zur Verwunderung auch des Münchner Merkurs spricht Schmidbauer Graf Arco trotz vorhandener gegenteiliger Quellen absolut vom Antisemitismus frei. Schmidbauers Geschichtsklitterung gipfelt zum Abschluss in der gewagten These, dass ohne Eisners Revolution Bayern den Weg einer konstitutiven Monarchie unter einem König Rupprecht I. gegangen wäre. Der Berliner Zentralismus hätte sich dann nie so entfalten können, und ebenso wenig die völkisch-nationalistisch-rassistische Szene in Bayern. Eisner habe somit nicht den Grundstein für ein freies und demokratisches Bayern gelegt, sondern es spräche vieles dafür, dass „die hauptsächlich von Eisner zu verantwortenden Ereignisse des Jahres 1918/19 den Weg für eine unheilvolle Entwicklung eröffneten, für Bayern und für Deutschland“.

Hans Schütz, Peiting


… „Nicht unwidersprochen bleiben darf indes Schmidbauers geradezu hymnische Wertung des Eisner-Mörders Arco. Er ist für ihn „bayerisch-patriotisch-konservativ“, ein Patriot, eine Art Parade-Bayer. Von Antisemitismus spricht er ihn einfach frei. Dass Arco in Aufzeichnungen, die die Polizei nach dem Mord in seinem Pensionszimmer fand, ein eindeutiges Bekenntnis ablieferte („Ich hasse die Juden“), ignoriert Schmidbauer einfach.“ …

Aus dem Artikel »Die ungeliebte Revolution« von Dirk Walter: Münchner Merkur Nr. 301 vom 31.12.1919, Seite 11
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