Ein Pfarrer plus Mut und Humor = KZ-3

Marcus Haseitl, Bad Grönenbach

Zugegeben, die obige Formel ist stark verkürzt. Denn neben Mut und Humor geht es bei diesem Pfarrer um Zuversicht und Hoffnung, um Unbeugsamkeit und Direktheit, um akribisches Arbeiten und die Liebe zum Apfel. Dieser Beitrag erzählt vom bayerischen Apfelpfarrer Korbinian Aigner und einem besonderen Apfel.

Frühjahr 1885 in Hohenpolding, ein oberbayerisches Dorf an der Grenze zu Niederbayern: Hier kommt der kleine Korbinian als erstes von elf Kindern des Großbauern Aigner zur Welt. Als Erstgeborener ist zu jener Zeit der Lebensweg meist vorgezeichnet. Nicht so bei Korbinian. Er entscheidet sich früh gegen die Hofnachfolge und beschließt, Pfarrer zu werden.

1906 wird er in Freising am Priesterseminar aufgenommen. Nach Unterlagen zu urteilen, tat er sich mit dem Studium wohl etwas schwer, erreicht aber 1911 sein Ziel: Er wird zum Priester geweiht. Das Abschlusszeugnis klingt wenig verheißungsvoll: Er sei „seicht im Wissen und ziemlich oberflächlich im Charakter“, ist ebenso zu lesen, wie er sich „sehr auf Pflichtbewusstsein und Vertiefung seines Wesens besinnen [muss], wenn er erbaulich und ersprießlich wirken will“.

Parallel zu seinem priesterlichen Werdegang geht Korbinian Aigner seiner Liebe zum Obstbau nach. 1908 gründet er in seiner Geburtsgemeinde den Obstbauverein, vertieft sein Obstbauwissen, was aber nicht nur Wohlwollen erzeugt. So schließt das obige Abschlusszeugnis: „Ist mehr Pomologe als Theologe.“ Irgendwann beginnt er mit einfachen Wasserfarben Bestimmungskarten zu malen. 649 Apfel- und 289 Birnensorten bringt er so sein Leben lang zur Darstellung. Die Bilder sind dabei so präzise, dass sie zum Teil heute noch in der pomologischen Fachliteratur verwendet werden.

50 Jahre nach Korbinian Aigners Todesjahr erschien von der TU München ein umfangreiches Werk zu Lebensgang und Lebenswerk.
Peter J. Brenner: Korbinian Aigner (ISBN 978-3-95551-017-6)

Neben seiner Liebe zu den Äpfeln interessierte er sich auch für das Zeitgeschehen, war Mitglied in der konservativen Bayerischen Volkspartei. 1923 besuchte Korbinian Aigner eine Versammlung Adolf Hitlers und erkannte schon damals die Gefahr. In Sittenbach im Landkreis Dachau bekommt er 1931 seine erste eigene Pfarrstelle. Auch hier duckt sich Korbinian Aigner nicht vor den Nationalsozialisten. Er setzt Zeichen: So läutet er zu Parteianlässen die Glocken nicht, Kinder sollen nicht auf den Vornamen »Adolf« getauft oder den Nazi-Fahnen der Zugang zur Kirche verwehrt worden sein. Er wird zu einer Geldstrafe verurteilt, Akten werden angelegt und letztlich wird er Ende 1936 nach Hohenbercha im Landkreis Freising strafversetzt.

Hier ergibt sich dann eine ungute Allianz zwischen Staatsmacht und einzelnen Denunzianten. Am 13. November 1939, einige Tage nach dem Attentat von Georg Elser auf Hitler, setzt sich das Räderwerk gegen Korbinian Aigner in Gang. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter richtet ein Schreiben nach oben und beruft sich dabei auf die Aushilfslehrerin. Pfarrer Aigner habe im Unterricht gesagt: „Ich weiß nicht, ob es Sünde ist, was der Attentäter im Sinne hatte. Dann wäre halt vielleicht eine Million Menschen gerettet worden.“

Verhöre werden geführt. Aber offensichtlich steht die Gemeinde hinter dem Pfarrer. Auch er selbst wird verhört, widerspricht dabei den Vorwürfen nicht grundsätzlich, sondern sieht seine Aussage als Frage in einem theologischen Zusammenhang. Am 22.11.1939 wird er festgenommen.

Ein kurzer Schwenk: Was macht zu jener Zeit sein oberster Vorgesetzter, Kardinal Faulhaber? Ein Kirchenherr, der einen zwiespältigen Umgang mit den Nazis hatte. Er schreibt Hitler am Tag nach dem fehlgeschlagenen Attentat ein Glückwunschtelegramm und lässt in der Münchner Frauenkirche einen Dankgesang anstimmen.

Dagegen wird Korbinian Aigner sieben Monate in Stadelheim inhaftiert und dann übergangslos der Gestapo übergeben: Kein weiteres juristisches Verfahren, Überstellung ins KZ. Er kommt in das KZ Sachsenhausen, ringt dort auch mit dem Tod.

Das KZ Dachau kristallisiert sich in der Folge als KZ-Lager für katholische Priester heraus. So kommt Korbinian Aigner 1941 nach Dachau und wird dort in der Plantage eingesetzt. Bewohner aus seinen ehemaligen Gemeinden bringen immer wieder unter dem Vorwand der Apfelbestimmung als Teil der Ernährungssicherung Äpfel zum KZ … und zur Bestimmung müssen diese natürlich auch gegessen werden. Sicherlich war dies für Korbinian Aigner und sein Umfeld ein dankbarer Zusatz für die unmenschliche Hungerkost.

Korbinian Aigner ist in dieser Zeit den Äpfeln noch viel mehr verbunden: Er beginnt auf dem KZ-Gelände, mit züchterischer Zielsetzung aus Apfelkernen Sämlinge zu ziehen. Apfelsortenzucht erfolgt an sich oft über Generationen und wird deswegen meist von staatlichen Versuchsanstalten geleistet. Hier aber kümmert sich in den dunkelsten Zeiten Mitteleuropas ein inhaftierter Pfarrer um seine Sämlinge. Rund 100 Stück betreut er, von denen wiederum vier hoffnungsvolle Eigenschaften andeuten. An dieser Stelle zeigt sich dann auch Korbinian Aigners besondere Art von Humor. Er gibt diesen vier Sämlingen in pomologischer Tradition Namen: KZ-1 bis KZ-4. Irgendwie kann er diese vier nach draußen schmuggeln. Drei gehen mit den Jahren verloren, aber KZ-3 bleibt erhalten.

Korbinian Aigner kehrt nach Kriegsende nach Hohenbercha zurück und übernimmt bis zu seinem Lebensende die Pfarrstelle. Hier kann er dann seine vier Sämlinge pflanzen und betreuen, von denen KZ-3 als widerstandfähige Sorte bis heute erhalten blieb. Nach dem Krieg ist er einige Jahre Landesvorsitzender des bayerischen Obstbauverbandes und stirbt 1966. 1985, am 100. Geburtstag von Korbinian Aigner, wird die Sorte zu »Korbiniansapfel« unbenannt.
Nach dem ich vor einigen Jahren meine ganz persönliche Verbindung zu Korbinian Aigner entdecken durfte, habe ich mir seither vorgenommen, jedes Jahr einen Korbiniansapfel zu pflanzen. Vielleicht findet sich in der Leserschaft auch ein Anstoß, dieses an anderer Stelle ebenso zu tun … eben, ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft zu pflanzen.

Marcus Haseitl, Bad Grönenbach

Aus einem Abschiedsgedicht für Korbinian Aigner,
bevor er 1931 an seine Pfarrstelle in Sittenbach kam:

Bei Eibach in den Gärten steht manch ein Apfelbaum,
im Feld und auf den Wegen wär noch für viele Raum.
Herr Aigner hat’s gepflanzt veredelt manchen Stamm
weshalb er auch nicht selten zu spät zur Kirche kam.

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